Archiv für den Monat: März 2014

11. März – ein Gedenk- und Bedenktag

IMG_518111. März – wieder ein Gedenktag, alles Andere als ein Jubiläum: Vor drei Jahren ereignete sich die Katastrophe von Fukushima. Es war eine doppelte, eine sozusagen kombinierte Katastrophe. Erst ein selten starkes Erdbeben, gefolgt von einem ungeahnt wuchtigen Tsunami, der ganze Ortschaften an der Küste wegspülte und Schiffe weit weg von ihren Häfen im Lande absetzte – und damit noch nicht genug, hatten Erdbeben und Tsunami im Zusammenwirken die Stromversorgung des Atomkraftwerks (AKWs) von Fukushima gekappt, und während die Techniker des AKWs im Dunkeln tappten und falsche Messdaten über die Kühlung der Reaktoren registrierten, liefen diese heiß, sodass es schließlich in drei Reaktorblöcken zu Explosionen kam. Radioaktive Dämpfe traten aus, später lief verstrahltes Kühlwasser ins Meer.
Wer die Filmaufnahmen vom Tsunami sieht, glaubt sich in das unwirkliche Szenario eines Katastrophenfilms versetzt – doch die Aufnahmen bilden die Wirklichkeit vor Ort ab, man hört das Brausen und Gurgeln der Flutwelle, das Rufen und Schreien von Menschen, die sich nicht alle in höher gelegenes Gelände retten können…
Die hohe Zahl der Todesopfer, die Massen von unvermittelt obdach- und besitzlosen, traumatisierten Menschen, das alles sackt erst im Gefolge dieser Bilder ins Bewusstsein.
Hinzu kommen die immensen Auswirkungen und Folgeschäden des GAUs im AKW. Tausende Einwohner im Umkreis wurden wegen der Strahlung evakuiert, etliche davon erst mit Verspätung. Und die Fischerei an einem langen Küstenabschnitt kam zum Erliegen – nicht nur wegen der Zerstörungen in den Küstenorten und Fischereihäfen, sondern auch wegen der ins Meer laufenden, verstrahlten Wassermengen aus dem AKW-Gelände (Kühl-, Lösch- und Überschwemmungswasser).
Unsere AKWs sind sicher und auf dem technischen Stand der Zeit! Das hatten Politik und Atomwirtschaft Hand in Hand in Japan ständig verkündet, bis sie es selbst glaubten. Das wollten nun viele Japaner nicht mehr hinnehmen und verlangten weitreichende Konsequenzen.
Die sahen so aus: Wir, Regierung und Betreiberfirma Tepco, sitzen die erste Empörung mit ein paar öffentlichen Entschuldigungen aus, schalten erstmal alle AKWs ab, und nach etwas Zeit erklären wir, dass Japan gar nicht aus der Atomernergie aussteigen kann, dann fahren wir die AKWs wieder an.
Dabei zeigt sich bis heute, dass sie mit so einer Katastrophe heillos überfordert sind. Weder bekam Tepco sein havariertes AKW in den Griff, noch konnte die Regierung überzeugende Katastrophenpläne für die Zukunft vorlegen – kam sie doch schon mit der Bewältigung der Fukushima-Katastrophe nicht nach.
In der Region Fukushima liegen an vielen Sammelplätzen die Beutel mit vertrahlter Erde, die entwurzelten Menschen dürfen nicht in ihre Heimat zurück, leben z.T. immer noch in Notunterkünften und warten auf wirksame Unterstützung zur Normalisierung ihres Lebens, wenn es so etwas denn gibt (Das Trauma bleibt). An manchen Stellen hat man alles dekontaminiert, sagt man, und lässt die Evakuierten zurückkehren. Experten warnen dennoch. Man hat in der Region bereits Strahlenschäden an Tieren beobachtet, z.B. häufige Missbildungen an Schmetterlingen. Aktuelle Lage 2015: >Japans Atomkrise | Greenpeace – japans-atomkrise-09032015.pdf
Das Wort „Katastrophe“ klingt angesichts des Geschehens und der Folgen eher zu harmlos, um all das zusammenzufassen.

Und die Sicherheit? Alles Beteuern und Verharmlosen nach Katastrophen wie Tschernobyl (26. Aprl 1986) und Fukushima (2011), alle Ablenkung vom weltweit ungelösten Problem der Endlagerung von Atommüll (krass: Der Müll aus dem ehemaligen Salzbergwerk Asse muss aufwändig wieder herausgeholt werden) bedeutet nichts Anderes als die Feststellung: Auf offizielle Verlautbarungen ist kein Verlass, wir werden im Zweifel nur über das nicht mehr zu Verheimlichende informiert.

IMG_0632(zum Scharfstellen die Karikatur anklicken)

Radioaktive Strahlung ist zwar messbar, aber unsichtbar und geruchlos. Unsere Sinne (und anscheinend auch die der Tiere) sind nicht auf diese Gefahr eingestellt. Ich erinnere mich noch gut, wie verunsichert wir im Mai 1986 bei strahlendem Wetter nach draußen blickten und uns fragten, ob wir da draußen gefahrlos spazierengehen könnten, ob wir das Laub der Sträucher anfassen und uns auf eine Wiese setzen könnten, ohne mit verstrahltem Material in Berührung zu kommen. Der Wind hatte über Europa den strahlenden Auswurf des geschmolzenen Reaktors von Tschernobyl verteilt: Vielerorts waren frisch geerntete Lebensmittel unverkäuflich geworden und wurden vernichtet. In Bayern durften längere Zeit keine in der Natur gepflückten Pilze verzehrt werden.
Das war noch gar nichts gegen die Schäden an Leben und Gesundheit, die die Bevölkerung in Teilen der Ukraine und Weißrusslands erlitt.
Und gerade auch in Japan weiß man sehr genau, was Strahlungsschäden bedeuten: Bis heute leiden dort Menschen an den Folgen der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Davon wurde aber ungern gesprochen, besonders nachdem japanische Regierungen das Land in der Energieversorgung auf Atomkurs festgelegt hatten.

Es geht beim Thema „Atomkraft“ (die positiv gefärbte Wortwahl sagt „Kernkraft“) nicht nur um die Gefahr großer Katastrophen, sondern auch um Gefahren unterhalb der Katastrophenschwelle. Große Energiekonzerne lassen sofort ein Rudel Experten von der Leine, die Gefahren dementieren oder herunterspielen, wenn jemand z.B. ein statistisch erhöhtes Krebsrisiko im Umfeld von Atomkraftwerken öffentlich macht: Da werden Messwerte angezweifelt, als zufällig oder fehlerhaft hingestellt und als nicht aussagekräftig abgetan. Zuverlässig sind dagegen nur die von den AKW-Betreibern veröffentlichten Messwerte, Aussagen und Statistiken. Na klar. Und wieder hören wir im Falle eines nicht vertuschbaren „Störfalles“ im AKW: „Für die Bevölkerung bestand zu keiner Zeit eine Gefahr.“

In Deutschland wird weiter nach einem sicheren Endlager für Atomabfall gesucht. In einigen Jahren wird nach Ausstiegsplan das letzte AKW abgeschaltet – wenn nicht noch einmal eine Kehrtwende der Politik dazwischenkommt. Der strahlende Müll bleibt. Auf Jahrhunderte…

-SR-

Aktueller Nachtrag am 11.03.2020: Jahrestag des Reaktorunglücks: Die Zeit wird knapp in Fukushima | tagesschau.de

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