Archiv für den Monat: März 2020

Es geht ohne „starken Mann!“

In der Corona-Krise fallen die Masken der Populisten und Autokraten (Selbstherrscher). Erst leugnen sie die Pandemie, dann überlegen sie, wie sie die Krise für sich nutzen können: Sie spielen „Starker Mann“ und sperren die Landesgrenzen (weil angeblich alles Schlechte mal wieder aus dem Ausland kommt), als Nächstes greifen sie zum weitreichenden Mittel einer Ausgangssperre; doch sie erweisen sich als unfähig und machtlos gegen die Krise.

Let’s think of the wavering millions
Who need leaders but get gamblers instead
(heißt es in Salt of the Earth, einem Lied der Rolling Stones)

Leider sind die „wavering millions“ (kann man übersetzen mit „wankelmütige Massen“) in gewisser Hinsicht auch unbelehrbar. So gab es in der Nachkriegszeit in Deutschland viele Menschen, die in der Nazizeit sozialisiert waren und im Bestand ihrer eingetrichterten Lebensweisheiten einfache Botschaften mitschleppten wie den Mythos vom „starken Mann“, der in schwieriger Lage „durchgreifen“ und „Ordnung schaffen“ sollte/könne/müsste/werde, Menschen, die den Parlamentarismus der westlichen Demokratie mit dem Diskutieren und Debattieren verschiedener politischer Lösungen als zu langwierig und als geistig anstrengend empfanden und daher für „schnelle Lösungen“ plädierten, dabei auch brachiale Hauruck-Verfahren in Kauf nehmen wollten (solange sie selbst davon nicht Schaden nahmen).

Und in Ländern, in denen die Menschen jahrzehntelang von sozialistischen Diktaturen gegängelt und kontrolliert wurden, fehlt Vielen ohnehin die politische Bildung, um sich vorzustellen, wie parlamentarische Demokratie funktioniert, und wie Wahlen mit einem durch freie Medien informierten Wahlvolk funktionieren.

Leider scheint das auch auf viele Menschen im „Mutterland der Demokratie“, in Großbritannien, zuzutreffen. Wie sonst erklären wir uns die Brexit-Abstimmung? Ja klar, zuerst damit, dass nicht „leaders“, sondern „gamblers“ das Wahlvolk in den Brexit getrieben haben, denen persönliche Profilierung und Parteipolitik wichtiger waren als das Wohl des Landes und seiner Bevölkerung. Erst recht sehen wir solche Machtpolitik in der Türkei, wo gerade (wegen Corona) jede Menge Kriminelle aus den überfüllten Gefängnissen entlassen werden, während die Massen an politischen Häftlingen drin bleiben — weil Präsident Erdogan das so will. Da haben wir ein „schönes“ Beispiel für den Unfug vom „starken Mann“, der angeblich einem Land gut tut.

Gegen diesen Unfug hilft nur, eine Demokratie, wo sie vorhanden ist und leidlich funktioniert, vor der Gefahr der Aushöhlung durch Machtkonzentration, Aufhebung der Gewaltenteilung und Einschränkung der Meinungsfreiheit zu schützen. Was diese Bedrohung anrichtet, sehen wir derzeit z.B. in Ungarn oder Polen.

Aber auch der Troll im Weißen Haus in Washington tut so, als sei die in der Verfassung verankerte Gewaltenteilung etwas Lästiges und Überflüssiges, jedenfalls da, wo sie seinem Ego und seinen persönlichen Interessen im Wege steht. Sein platter Slogan „Make America great again“ ist ein gutes Beispiel für nationalistische Augenwischerei. Egomanen wie Trump unterscheiden nicht zwischen nationalem Interesse und Eigeninteresse, sie meinen: Ist doch klar, dass mein Vorteil der des Landes ist. So wird in vielen Ländern Nationalismus als Ablenkung und Betrug am Wähler benutzt, von China bis Großbritannien, von Russland bis in die USA, und bis Brasilien. Und auch bei uns, wer hätte das gedacht, versuchen einige Polit-Chaoten, die nationalistische Karte zu spielen und die Leute zu behumsen, als lebten wir in den 1930er Jahren.

Wollen wir hoffen, dass es weiterhin in diesem Lande genug Leute gibt, die politisch gebildet und wachen Geistes aufpassen, dass die Lehren aus den Diktatur-Zeiten in Deutschland nicht vergessen werden. Es wäre schön, wenn auch im übrigen Europa die Menschen das Denken nicht vergessen würden und sich erinnern, was für Unheil uns droht, wenn wir wie Lemminge den Volksverführern hinterherlaufen.

W. R.

P.S.  Der Bundestag beschließt am 27.03.20 im beschleunigten Verfahren ein Gesetzespaket zur Unterstützung der Wirtschaft. Gut so, denn damit beweist das demokratische System, dass es in der Krise handlungsfähig ist (und keinen „starken Mann“ braucht).

P.P.S. Ungarns „starker Mann“ Victor Orban ergreift am 30.03.20 die Gelegenheit, anlässlich der Corona-Krise mit einem Ermächtigungsgesetz seine Macht auszuweiten (Das Parlament entmachtet sich selbst per Beschluss) und gleich auch noch die Presse- und Meinungsfreiheit weiter zu reduzieren. Heil, Orban! — oder was? Was nun, Wertegemeinschaft Europäische Union? Man denke mal in Ruhe über die Folgen nach: Ungarn: Viktor Orbán beschädigt die Demokratie – DER SPIEGEL  Der Schaden ist größer, als es auf den ersten Blick scheint!

Die USA sind auch derzeit mit einem „starken Mann“ gesegnet, der nicht einmal merkt, was für eine unernste Figur er macht: Vom Coronavirus völlig überfordert: Trumps Narzissmus wird zur tödlichen Bedrohung für die USA – Politik – Tagesspiegel

Die Evangelikalen, die Trump und Bolsonaro begeistert unterstützen, behaupten: Die Corona-Pandemie ist eine Strafe Gottes für die Sünden der Menschen. Nicht gerade originell, das Muster war schon im Mittelalter gängig in den christlichen Kirchen. Und welche Sünden straft Gott jetzt? Die Evangelikalen haben es direkt von Gott erfahren: Sexuelle Freizügigkeit, Abtreibungen, offen gelebte Homosexualität, und alles, was einem Konservativen in einer

Trump: 2015 zeigte er schon, wes Geistes Kind er ist

modernen, offenen Gesellschaft missfällt. Wer käme da noch auf den Gedanken zu überlegen, ob Gott nicht andere Sünden missfallen, z.B. der Missbrauch der christlichen Religion für tagespolitische Zwecke, z.B. die Instrumentalisierung Gottes für ganz irdische Auseinandersetzungen, etwa um eigene Moralvorstellungen durchzusetzen, z.B. die Leugnung der ursprünglichen Botschaft eines Jesus von Nazareth… durch Waffenverherrlichung und Förderung einer frauenfeindlichen Gewaltkultur.

Klopapier gegen Coronaviren?

OTRUF wählen, weil im Supermarkt das Klopapier alle ist. Geht’s noch? Ein Witz? Nein, so geschehen am letzten Wochenende in einem Kölner Stadtteil. Ist das Dummheit oder Unwissen? Oder ist das ein sicheres Symptom dafür, dass der Homo Sapiens zu degenerieren beginnt?
Wer hat denn so wenig Durchblick, dass er für solche Sachen den Notruf wählt, der nur für Fälle eingerichtet wurde, in denen es um Leib und Leben geht und schwere gesundheitliche Schäden verhindert werden sollen? Man denkt: Sowas weiß doch jede(r). Denkste!
Ebenso daneben ticken Leute, die Rettungssanitäter oder Feuerwehrleute anpöbeln und angreifen. Das ist auch mit Drogen (z.B. Alkohol) nicht zu entschuldigen, denn sowas sollte einfach tabu sein. Ist es ja auch für die Mehrheit der MitbürgerInnen. Aber wieso nimmt die Minderheit der Dummen und zugleich Gewalttätigen zu?
Vielleicht liegt es daran, dass der Trend zu mehr individueller Freiheit bei einigen Leuten den Irrtum auslöst, ohne Regeln und Einschränkungen funktioniere das Leben noch viel besser. Man erlebt das heutzutage öfter z.B. im Straßenverkehr, und zwar nicht nur bei Autofahrern. Man beobachtet vermehrt egoistisches Verhalten, gepaart mit rücksichtsloser Ellbogenmentalität.  Aber selbst bei eigentlich harmlosen Dingen wie Feiern schütten sich vor allem jüngere Menschen so mit Alkohol zu, dass sie desorientiert und bald besinnungslos, auf jeden Fall würdelos Unfug und Pöbeleien veranstalten. Ist das so toll, die Sau rauszulassen bei (vermeintlicher) Freiheit von Verantwortung?

Vielleicht ist es z.T. auch eine Folge des Jugendwahns: Unter Jungsein verstehen Viele nicht nur körperlich fit und gutaussehend sein, sondern auch mental unbeschwerter, spontaner, risikofreudiger und hemmungsloser (gern unter Drogeneinfluss) zu handeln. So laufen denn z.B. vermehrt ältere Menschen spontan über die Straße, ohne auf eine größere Lücke im Verkehr zu warten oder die paar Meter bis zum Zebrastreifen zu gehen. Bleibt man so länger jung, oder erhöht man so lediglich sein Unfallrisiko? Oder ist das der Mode geschuldet, spontanen Bauchentscheidungen zu folgen, ohne den Verstand zu beteiligen?

Es ist geradezu Realitätsverweigerung, wenn Menschen in der gegenwärtigen Corona-Krise alle Warnungen ignorieren, keine Sicherheitsabstände einhalten, sich sogar in Gruppen treffen; und da gibt es sogar welche, die glauben, sie müssten sich schnell infizieren, um dann auch schnell immun zu sein gegen erneute Ansteckung. Selbst schuld? Wenn es nur sie allein beträfe! Aber sie stecken Andere an, ehe sie überhaupt wissen, dass sie infiziert sind, und sie verursachen womöglich das vorzeitige Sterben von Älteren, mit denen sie in Kontakt kommen.

Und ganz egoistisch gesehen: Wer weiß denn, wie im Fall einer Infektion sein eigener Krankheitsverlauf sein wird? Wer auf die Vorsichtsregeln von Experten schon nicht hört, der weiß doch erst recht nicht, was bei einer Erkrankung auf ihn zukommt. Wer weiß denn, ob nur Menschen aus der „Risikogruppe“ der Alten und Vorerkrankten daran sterben können? Selbst die Virologen können derzeit keine sicheren Aussagen darüber machen, sie lernen das Virus erst kennen.

Es kursierte bei jungen Leuten einmal der Spruch: „No risk, no fun.“ Selten habe ich einen dümmeren Spruch gehört! Frau/man kann eine Menge Spaß und Lebensfreude genießen, ohne dabei gefährliche Risiken einzugehen. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten: Es macht Spaß und erfüllt eine/n mit großer Genugtuung, wenn frau/man besonnen und mit Verantwortung für sich und Andere handelt. Und dann kommt man auch nicht auf die Idee, Klopapier zu horten oder Experten-Ratschläge zu ignorieren.

W. R.

P.S.(1)  Wie schon oft, tauchen auch zu diesem Thema angebliche Experten auf und behaupten Dinge, die die Bevölkerung verwirren. Ein Lungenfacharzt geht derzeit damit hausieren, dass es gar keine gefährliche Pandemie gebe und das aktuelle Corona-Virus wie andere zuvor nur wieder ein Erkältungserreger sei. Dem widersprechen andere Wissenschaftler heftig: Das aktuelle Virus aus der großen Familie der Corona-Viren verhält sich anders als zuvor bekannte Viren dieser Gruppe.

Hatten wir nicht vor einiger Zeit schon mal einen Lungenfacharzt, der zu einem aktuellen Thema der allgemeinen Ansicht der Wissenschaft widersprach und sogar in mehreren Talkshows im Fernsehen auftrat? Als er dann massiv widerlegt wurde, hörte man nichts mehr von ihm. (Da ging es um Grenzwerte beim Schadstoff-Ausstoß von Diesel-Fahrzeugen.)

Inzwischen ist es aber offenbar noch leichter, Falschmeldungen im Internet zu streuen und Verwirrung zu stiften. Ich sag jetzt mal: Dahinter steckt eine Verschwörung, um unseren Staat zu destabilisieren. Wie das? Ganz klar: Da treten Leute auf, die sich mit konträren Thesen wichtig machen wollen, ferner agieren da Leute aus dem „Flügel“, „Reichsbürger“, diverse rechtsradikale Kampfgruppen, Putins Trollfabriken, und Hobby-Unruhestifter, um das Vertrauen in unsere Regierung und die Institutionen zu untergraben — damit es zu Chaos kommt, das bewaffnete Hitler-Fans nutzen wollen, um ihren „Tag X“ ausrufen und die Macht zu ergreifen (wovon sie unentwegt träumen).

Und ich vergaß zu erwähnen: Die Corona-Pandemie ist eine Erfindung der US-Demokraten (sagte Donald Trump), schließlich war die Klimakatastrophe (laut Trump) ja auch eine Erfindung der Chinesen oder ist zumindest maßlos übertrieben. Und ich sage Euch: Gegen Corona-Infektion hilft Unmengen Cola saufen (weil ich gerade ein Aktienpaket von denen gekauft habe), und… Wollt Ihr noch mehr Unsinn lesen und glauben? Dann „informiert“ Ihr Euch am besten gleich bei Fox News (Trumps Lieblingskanal) und bei RT (von Putin finanziert).

Nachtrag dazu: Wer sich eine ganze Palette von verqueren bis abstrusen Wortmeldungen zum Thema Corona antun möchte, klicke diesen Link an: (5) Verschwörungstheorien zum Coronavirus: Die Schäbigen, die Tödlichen und die Saudummen – Reportageseite – Tagesspiegel  Und versucht nicht, mit Anhängern von Verschwörungs-„theorien“ zu diskutieren! Wollt Ihr Leuten mit Fakten kommen, die unbedingt an fantastischen Schwachsinn glauben wollen? Da tut’s auch der Glaube an den Weihnachtsmann: Kann man den sachlich widerlegen?

P.S.(2)  In den Medien fragen manche Journalisten, ob und wie lange sich die Leute gefallen lassen, dass ihre persönlichen Freiheiten, ihre Grundrechte eingeschränkt werden. Hallo? Will da jemand die Menschen zur Unvernunft aufwiegeln? Es ist doch zuallererst meine persönliche Freiheit, nach meinem eigenen gesunden Menschenverstand zu handeln und deshalb den Empfehlungen der kompetenten Gesundheitsexperten zu folgen! Das schränkt meine Freiheit überhaupt nicht ein, weil ich das tue, was ich tun will — nämlich meine Gesundheit schützen, so gut es geht nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Wer dagegen opponiert, ist entweder nicht ganz bei Trost, oder ist sowieso gegen alles, nach dem pubertären Motto: Ich lasse mir von niemandem vorschreiben, was ich zu tun habe. Deshalb schlage ich auch gute Ratschläge in den Wind – aus Trotz, nicht aus besserem Wissen.

Pubertär oder kindisch, jedenfalls hat Trump mit dem anfänglichen Abwiegeln ein Eigentor geschossen. Und dem Land geschadet. Die hochfliegenden Börsenkurse und eine gute Wirtschaftslage, die er seiner „fantastischen“ Politik gutschrieb, sind dahin, dunkle Wolken verdüstern damit auch die Aussichten auf seine Wiederwahl…