Archiv für den Monat: März 2021

Macht und Moral

Macht ist wichtiger als Moral – nach dieser Parole verfahren derzeit eine Menge Machthaber auf dieser Welt. Gerade zeigt der Präsident der Türkei wieder, woran ihm am meisten liegt, und dass er dafür viel zu opfern und zu verraten bereit ist.
Nicht nur Ex-US-Präsident Trump verwechselte seinen persönlichen Nutzen mit dem Wohl seines Landes, es gibt dafür weltweit viele weitere (schlechte) Beispiele. Brasiliens Machthaber Bolsonaro lässt die Corona-Pandemie in seinem Land laufen und redet Schutzmasken schlecht, fingert bei öffentlichen Auftritten mit Schusswaffen vor den Kameras herum und lässt den Regenwald-Vernichtern freie Hand. Chinas Führung nutzt jegliche Überwachungstechnik zur Kontrolle der Bevölkerung und drangsaliert ethnische und religiöse Minderheiten*, wobei chinesische Politiker sich mit religiösen Hardlinern in der Türkei einig sind: Die im Westen hochgehaltene Idee der allgemeinen Menschenrechte passt nicht zu unserer (türkisch-islamischen bzw. chinesischen) Kultur, und deshalb lehnen wir sie für uns ab. Die Türkei wollte eigentlich näher an Europa rücken und der EU beitreten, doch Präsident Erdogan setzt aus innenpolitischen (Machterhaltungs-)Gründen auf die islamisch-konservativen Kräfte und versucht sie durch Annäherung für sich zu gewinnen.
(mehr zur Politik Erdogans >https://www.sueddeutsche.de/politik/tuerkei-erdogan-istanbul-konvention-1.5241502 )
Was sind das für Kulturen, die (angeblich!) nicht für allgemeine Menschenrechte sind? Was für ein Armutszeugnis stellen diese Politiker und Religionsvertreter ihrer Kultur aus! Denn sie sagen im Klartext: Unsere Kultur kennt nur Mächtige und Ohnmächtige, das Volk hat nichts zu melden und ist die Knute der Unterdrückung gewohnt, und das gilt insbesondere für Frauen, die bei uns traditionell und immerwährend Menschen zweiter Klasse sind und bleiben sollen.
Andere Machthaber bzw. ihre Propagandisten sagen das nicht immer so deutlich, meinen aber z.B. (siehe Russland): So ein Riesenreich kann nur mit harter Hand und despotisch regiert werden, und die Menschen sind schon seit Jahrhunderten gewohnt, die Knute zu spüren, ihnen bleibt nur zu beten, dass sich ein neuer Zar als guter Zar erweisen möge, einen Einfluss darauf haben sie nicht, und kennen sie auch nicht.
Was für ein Menschenbild steht dahinter? Wenn wir da von Kultur reden, müssen wir ja fast annehmen, eine permanente Unterdrückung und Ausbeutung der Masse durch Wenige gehöre zur Kultur dieser Länder dazu. Aus den Machtverhältnissen wird dann auch noch Verhöhnung derer da unten abgeleitet: Die haben es nicht besser verdient, wir Ausbeuter und Unterdrücker sind eben die Schlaueren, die Besseren (d.h. besser in Skrupellosigkeit und Menschenverachtung).

Und so sehen die Verhältnisse in vielen Gegenden dieser Welt aus. Es wird rücksichtslos ausgebeutet, Mensch wie Natur sind reine Verfügungsmasse für Machtgelüste und Geldgier.

Um die Mehrheit der ausgebeuteten Menschen zu verwirren und für dumm zu verkaufen, faselt man von kulturellen und religiösen Gründen, die diese Verhältnisse rechtfertigen (und zementieren) sollen. Und im Zweifel werden alle als unpatriotisch hingestellt, die den Machthaber nicht unterstützen; Kritiker werden heuzutage gern als „Terroristen“ diffamiert (siehe Türkei) und in Gefängnisse und Umerziehungslager gesteckt. Wir in Deutschland kennen das aus unserer jüngeren Geschichte (siehe KZs).**

Passt gut auf! Es fängt immer damit an, dass Menschen diffamiert, ausgegrenzt, unterdrückt werden. Erst sind es Minderheiten; wenn das gut klappt, kommen die Machthungrigen erst recht in Fahrt, dann sind immer mehr von Unterdrückung betroffen… Lasst Euch das nicht gefallen! Widersprecht, wehrt den Anfängen! Verteidigt die Minderheiten, die Schwachen, stellt Euch an ihre Seite! Lasst Euch nicht zum Stimmvieh für machtgeile Großmäuler machen, die insgeheim noch über Euch lachen, wenn Ihr auf sie hereinfallt.

W. R.

* ein Update vom 25.03.21 > Adidas, Nike und H&M bekommen Chinas Wut zu spüren – Wirtschaft – SZ.de Hier zeigt sich, wie dünnhäutig autoritäre Machthaber auf Kritik reagieren. Sie wollen eben nur positiv gesehen und dargestellt werden, ein fast schon kindisch zu nennender Wunsch, der im Übrigen zeigt, was sie von ihrer Bevölkerung halten: alles Kindsköpfe, die man auf blöd-patriotisch drillen kann. Wie blöd ist das? Die Chinesen sind ein altes Kulturvolk, da kann man nicht die Gedanken steuern. Da hilft auch die weitestgehende Überwachung nicht.

Nachtrag: Ungeniert präsentiert die chinesische Führung in Hongkong, wie ein autoritäres Regime gegen Demokraten vorgeht. Ein Schein von Legalität wird gewahrt, im Zweifel scheut man keine nackte Gewalt – wie derzeit das Militärregime in Myanmar. Dazu liefert der Machthaber von Belarus, Lukaschenko, im Mai 2021 ungeniert ein weiteres Beispiel: Vor den Augen der Weltöffentlichkeit lässt er ein Flugzeug entführen und zur Landung zwingen, um einen oppositionellen Journalisten zu verhaften.

Diese Machthaber kennen kein Halten, sobald sie bemerken, dass die „internationale Gemeinschaft“ ihnen nicht in den Arm fällt und es bei verbalen Protesten belässt – oder ein paar milde Sanktionen beschließt (die dann noch teils unterlaufen werden und kaum schmerzen).

** Kennen wir doch, hoffe ich – oder etwa nicht? Dann wird’s aber Zeit, dass Ihr Euch informiert und dann Bescheid wisst über die Nazi-Diktatur, wie sie entstand, wie sie erst mit Gewalt in Deutschland, dann in Teilen Europas ihre Macht ausübte und keinen Respekt vor Menschenleben zeigte. Ein mörderisches Regime kann man nicht schönreden.

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So geht’s halt nicht…

Meckern ist hierzulande anscheinend Volkssport. Den Eindruck kann zumindest bekommen, wer sich in die Echokammer der Medien – egal welche – begibt.
Und wieder, wie schon Ende August 2015, habe ich den Eindruck, die „Stimmung in der Bevölkerung“ wird herbeigeredet, bevor überhaupt eine solche klar zu erkennen ist. Damals hieß es, Willkommenskultur schön und gut, aaaaber „die Stimmung könnte kippen.“ Das wurde über Tage ständig in Nachrichten und Kommentaren wiederholt, bis… ja, die AfD Aufwind bekam und damit Wahlerfolge erzielen konnte. (Die Parteiführung bezeichnete das Thema „Flüchtlinge“ als „Geschenk“, denn sie stand bis zum Sommer 2015 nicht gut da, konnte aber die aufgeputschte Stimmung dankbar nutzen und weiter befeuern.)
Derzeit (Febr./März 2021) habe ich wieder den Eindruck, dass eine Stimmung herbeigeredet wird: Die Leute hätten „die Schnauze voll“, sie wollten endlich Lockerungen und Öffnungen – ungeachtet der keineswegs entspannten Lage in der Corona-Krise (denn das ist diese Pandemie auf jeden Fall).
Dann wird auf die Bundesregierung eingeschlagen, als machte sie nur noch Fehler. Jeder denkende Mensch weiß: Das kann so nicht stimmen. Egal, die Medien (ganz besonders die „sozialen Netzwerke“) setzen heutzutage immer mehr auf Emotionen. Das geht natürlich leicht… zu Lasten des nüchternen Abwägens.
Statt emotional draufzuhauen und das Regierungshandeln in Bausch und Bogen schlechtzureden, sollte frau/man besonnen draufschauen und genau hinsehen. „Im Ausland machen sie es besser“, wird gesagt. Die Wahrheit ist differenzierter: Kommt darauf an, wo frau/man hinschaut.
Und die lauten Kritiker und die sehr lauten Verweigerer und Corona-Leugner sollten mal auf Australien oder auf Portugal schauen. Da haben sich die allermeisten Leute an die verordneten Regeln gehalten, die paar unbelehrbaren Leugner drangen nicht durch und traten daher auch nicht in großen Demos auf, wie bei uns. Australien und Portugal hatten sehr hohe Infektionszahlen – und sind davon vergleichsweise schnell, ja fast sensationell, heruntergekommen. Da kann guten Gewissens wieder gelockert und geöffnet werden.
Und bei uns schreien die am lautesten, die sich nicht an Regeln halten, aber auch auf nichts verzichten wollen. Ja, so geht’s halt nicht.
Über Portugal hörte ich: Das ist eine Frage der Mentalität. Was ist bei uns anders? Na, ein Anspruchsdenken an den Staat, gekoppelt mit Individualismus (Mir sagt keiner, was ich zu tun habe) und Egoismus (Die Anderen sind mir egal, Hauptsache, ich komme gut durch). Sogar im Straßenverkehr sehe ich Viele, die die Verkehrsregeln als Option und Vorschlag verstehen, aber den Sinn von Regeln offenbar nicht kapieren. Dass viele Regeln und Konventionen das Miteinander ermöglichen und erleichtern, das sehen sie nicht, weil sie egozentrisch orientiert sind. Dass Regeln auf der Straße zur Vermeidung von Konflikten und Unfällen taugen, das haben Viele nicht auf dem Schirm (Ach, mir ist doch noch nie was passiert!).
Kein Wunder also, dass wir noch lange unter Lockdown etc. werden leiden müssen.
W. R.

P.S.: Jetzt richtet sich massive Kritik gegen den aktuellen Stopp der Impfungen mit AstraZeneca. Für den Stopp wie für das einstweilige Weiterimpfen gibt es Gründe. Ich möchte da nicht mit den verantwortlichen PolitikerInnen tauschen: Wie sie auch entscheiden, es gibt immer Kritik. Hätte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn verkündet, dass trotz Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts weiter mit AstraZeneca geimpft wird, hätte er sofort zu hören bekommen: Sie spielen mit dem Leben der Menschen! Da er das Impfen gestoppt hat, wird ihm vorgeworfen, durch Weiterimpfen hätten Leben gerettet werden können.

Ein undankbarer Job – in dieser Situation, da die „dritte Welle“ mit teils aggressiveren Virus-Mutationen anrollt, trotzdem viele Leute Lockerungen, Öffnungen, Auslandsreisen wollen und wir oberdrein (ünglücklicherweise) ein „Super-Wahljahr“ haben. Gerade Letzteres wird einige PolitikerInnen erst recht dazu verleiten, den Leuten nach dem Munde zu reden. Und diejenigen, die klaren Kopf behalten und das Richtige tun wollen, können nicht in einem Handbuch der Corona-Politik nachschlagen (Das gibt es nicht, weil so eine Pandemie noch keiner erlebt hat).

Unglücklich ist auch, dass die Bundesländer z.T. aus Vereinbarungen ausscheren und gemeinsam beschlossene Empfehlungen oder Regeln nicht umsetzen. Da wurde eine Inzidenzzahl 100 als Grenze ausgerufen, dennoch verbietet die Landesregierung NRW z.B. der Stadt Duisburg, bei höheren Inzidenzwerten die Schulen (Präsenzunterricht) wieder zu schließen. Das ist, sage ich als selbsternannter Kommunikationsberater, ein Desaster.

Gern würde ich diesen Blog-Beitrag mit einem positiven Schluss beenden. Dass am 18.03.21 AstraZeneca wieder „freigesprochen“ wird und nun mit Hochdruck weitergeimpft werden soll, habe ich erwartet. Aber auch dieses Hin und Her, ungeachtet der Frage der Verantwortlichkeit, war ein Kommunikationsdesaster, weil es Verunsicherung ausgelöst hat. Da brauchen gewisse ausländische Dienste nicht mehr viel Verunsicherung ins Internet und seine „sozialen Netzwerke“ zu streuen – wir machen die Verwirrung schon selbst. —

Daran anschließend, ein Nachtrag vom 09.04.2021: Am frühen Abend des 08.04. höre ich die Nachrichten und kann es kaum glauben. Statt ernsthaft auf die Mahnungen der WissenschaftlerInnen zu hören und – wie vor Tagen Armin Laschet – einen „harten Lockdown“ zum Brechen der dritten Pandemiewelle in Betracht zu ziehen, reden einige PolitikerInnen in den Bundesländern weiterhin über mögliche Lockerungen und „Modellversuche“ mit Lockerungen. Mit den Kitas und Schulen verfährt auch jedes Bundesland nach eigenem Konzept. Um dem die Krone aufzusetzen, preschen Bayern und Meckpomm vor und bestellen schon mal den russischen Impfstoff Sputnik, der in der EU noch gar nicht zugelassen ist (und, wie man hört, in absehbarer Zeit auch nicht soweit kommen wird).

Statt mehr Einheitlichkeit und Klarheit gibt es noch mehr Regelwirrwarr, und jedes Bundesland und z.T. jede Region hat andere Regeln und Maßgaben. Die Kanzlerin hat schon vorige Woche in einem Interview deutlich kritisiert, dass sich MinisterpräsidentInnen einiger Bundesländer nicht an die gemeinsamen Absprachen zur Pandemiebekämpfung halten. Dem Virus gefällt das. Und ich als selbsternannter Kommunikationsberater schlage die Hände über dem Kopf zusammen: Wie will man „die Bevölkerung mitnehmen“ und motivieren, sich weiter an die Regeln zu halten, wenn man so ein chaotisches Bild abgibt?

Hätten wir die „Merkel-Diktatur“, von der ein paar Verwirrte faseln, dann gäbe es dieses Chaos wohl nicht. Die Kanzlerin war immer auf Seiten derer, die vor zu schnellen Lockerungen gewarnt haben.

Jetzt (am Abend des 09.04.) kann man nur hoffen, dass sich das Vorhaben durchsetzt, auf Bundesebene das Infektionsschutzgesetz anzupassen und im beschleunigten Verfahren von Bundestag und Bundesrat verabschieden zu lassen. Die Zeit drängt, noch gefährlichere Virus-Mutationen werden wahrscheinlich auftreten. Und für die nächste Pandemie müssen wir auf jeden Fall besser vorbereitet sein. —

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