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Nichts ist gut…

Nichts ist gut in Afghanistan, sagte jemand vor Jahren öffentlich und wurde dafür viel gescholten. Und jetzt? Man kann der Bundeswehr keinen Vorwurf machen, man sollte fragen: Warum gab es keine größeren Bemühungen, dem Land im zivilen Bereich nachhaltige Verbesserungen zu ermöglichen? Und warum werden jetzt die zivilen Helfer der Bundeswehr wie der NGOs der Rache der Taliban überlassen?
Letzteres wird schlimmen Eindruck machen auf Menschen in Mali oder anderen Krisengebieten … Damit hat schon Trump als US-Präsident angefangen, als er z.B. die kurdischen Peschmerga im Stich ließ, die als Verbündete effektiv den IS in Syrien bekämpften. Müssen nicht die Menschen in destabilisierten Ländern Angst haben, dass ausländische Stabilisierungseinsätze (aus innenpolitischen Gründen) abgebrochen werden und die Menschen im Regen stehen gelassen werden?
Wer die Bundeswehr oder anderes Militär in Krisengebiete schickt, muss sich in Zukunft gut überlegen, was das bringen soll, ob das (klar definierte) Ziel erreichbar ist und welche Mittel dafür nötig sind. Und, vom Ende her gedacht: Wie gehen wir da wieder heraus, und was bleibt – auch als politisches Ergebnis für unser Bild in der Welt?
Wenn heutzutage Viele in Deutschland davon reden, dass wir mehr Verantwortung in der Welt übernehmen müssten (und nicht alles im Zweifel den USA überlassen), dann müssen die auch sehen, was das bedeutet, und dass man da nicht einfach mal wieder rausgehen kann.
Tatsache ist, dass Deutschland im 21. Jahrhundert, in einer globalisierten Welt, nicht die Außenpolitik des 20. Jahrhundert einfach fortführen sollte. Dazu gehört auch, dass die Verquickung von Außen- und Wirtschaftspolitik sowie Entwicklungshilfe kritisch geprüft werden muss. Das „deutsche Interesse“ soll nicht vernachlässigt werden, aber auch nicht vorrangig Entscheidungen bestimmen. Und im deutschen Interesse ist es auch, vor der Weltöffentlichkeit nicht als ein Land dazustehen, das nur für den Eigennutz Anderen hilft.

Einem Teil der Bevölkerung ist das schwer zu vermitteln, wie wir im Spätsommer 2015 gesehen haben: Merkel ließ die in Ungarn gestrandeten Flüchtlinge aus humanitären Gründen einreisen. Das passte einigen BürgerInnen gar nicht, auch einige Politiker in den eigenen Reihen kritisierten Merkel öffentlich. Die CDU/CSU verteidigt christliche Werte? Merkel schon, aber die kritischen Stimmen wollten nationalistischen Eigennutz in den Vordergrund rücken.

Das wird sicher von Merkels Amtszeit als wesentlicher, positiver Punkt in den Geschichtsbüchern bleiben: Sie hat die Grenzen für Menschen in Not geöffnet, ungeachtet der Kritik und der eigentlich nötigen Absprache mit den EU-Staaten. Das war Handeln statt wochen- oder monatelangem Verhandeln. Angela Merkel hat bewiesen, dass sie auch anders kann als Aussitzen oder Auf-die-lange-Bank-schieben. Im Ausland hat sie damit sowieso viele Sympathien gewonnen. Hierzulande wurde leider z.T. nach „Grenzen dicht!“ gerufen und auf einer Flüchtlings-Obergrenze herumgeritten (selbst als das sachlich längst geklärt war). Und derselbe Obergrenzen-Meister schiebt nun als Innenminister Menschen nach Afghanistan ab, ein angeblich „sicheres Land“ – immer noch, trotz der dortigen Lage!

Apropos EU: Einige Mitgliedsstaaten, die in Fensterreden als besonders christlich gesehen werden wollen, sperren sich seit Jahren ganz gegen die Aufnahme von Flüchtlingen und Migranten. Ganz schlecht steht die EU da, wenn man die Art und Weise betrachtet, wie sie im Mittelmeer mit den Geflüchteten umgeht. Man muss sich fragen, wie das zu den „europäischen Werten“ passt – oder zu den Grundwerten des „christlichen Abendlandes“.

W. R.

Nachtrag 15.08.21: Innenminister Seehofer ließ sich erst vor wenigen Tagen dazu bewegen, endlich die Abschiebungen nach Afghanistan zu stoppen. Am 14.08. stehen die Taliban bereits vor Kabul, der Flugverkehr ist unterbrochen, der afghanische Präsident will die Hauptstadt „friedlich“ übergeben. Die Ereignisse überrollen die langsame, bräsig wirkende Entscheidungsmaschinerie unserer derzeitigen Regierung und des Bundestages, wo zudem mehr oder weniger Alle mit Wahlkampf beschäftigt sind.

Wie und wann wollen die jetzt noch die Menschen ausfliegen, die für die Bundeswehr vor Ort gearbeitet haben? Ebenso werden die USA von der schnellen Übernahme des Landes durch die Taliban überrascht. Ja mei, haben da die Entscheider mal wieder nicht auf die Kenner des Landes gehört? Trump und Biden haben wohl in dieser Sache zuviel auf die Innenpolitik geschielt. Dabei geriet aus dem Blick, welche negativen außenpolitische Folgen in Kauf genommen wurden.

Nachtrag 19.08.21: Alle in der Bundesregierung geben sich überrascht von der schnellen Machtübernahme der Taliban, niemand in der verantwortlichen Politikerriege will etwas schuld sein (schon gar nicht im Wahlkampf). Für mich verdichtet sich der Eindruck, dass in der CDU/CSU Viele mit klammheimlich frohen Herzen in Kauf nehmen, dass jetzt vielen Afghanen die Flucht nach Deutschland nicht mehr gelingen dürfte. Laschet ließ neulich verlauten, ein 2015 dürfe sich nicht wiederholen, und Seehofer soll dagegen gesprochen haben, dass „unbürokratisch“ möglichst viele HelferInnen der Deutschen aus Afghanistan ausgeflogen werden. Mag sein, dass wir viele Hintergrundinformationen noch nicht haben, aber naheliegend ist der Verdacht, dass hier innenpolitische Gründe eine große Rolle gespielt haben – wie übrigens auch in den USA, als es bei Trump wie Biden um den Truppenabzug ging.

Natürlich ist das ein fatales Signal, in vielerlei Hinsicht. Bald wird es in der Welt womöglich heißen: „Hilfe, die Hilfe aus dem Westen kommt!“ Die USA haben Vieles vermasselt im Nahen und mittleren Osten, aber wir wissen nicht, ob wir an ihrer Stelle (als westliche Führungsmacht) eine bessere Performance geliefert hätten.

Tatsache ist: Die Bilder und Berichte vom Flughafen Kabul zeigen ein Szenario, das man sich eher in einem apokalyptischen Gruselroman denken könnte. Aber dieses ist offenbar real – einfach unglaublich! Und oft hört man von KommentatorInnen: Das macht mich fassunglos.

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Beati Pacifici

76+Beati Pacifici“, so lautet in Latein eine der Seligpreisungen Jesu in der Bergpredigt: „Selig sind die Friedfertigen.“ Dazu findet man allgemeingültige Aussagen und Überlegungen in dieser Website auf >Clio. Doch aktuell muss man sich dazu positionieren, dass in einigen Teilen der Welt Gewalt, Krieg und Terror gegen Schwächere das Bild der Nachrichten bestimmen. Pazifismus schön und gut – wenn man es sich leisten kann, mit sauberen, unblutigen Händen zuzuschauen. Aber was ist, wenn man Gewalt und Mord zuschaut und womöglich in der Lage wäre, einzuschreiten und Leben zu retten?

Im privaten Bereich mag das jeder Mensch für sich allein entscheiden können (aber sich ggf. auch dem Vorwurf der „unterlassenen Hilfeleistung“ stellen müssen). Und wie sieht es in der internationalen Politik aus? Derzeit (Sommer 2014) erscheint die Welt als Tollhaus, zumindest dann, wenn man mitbekommt, welche Themen und Schauplätze die Nachrichten beherrschen. Krisenherde zuhauf:  Syrien, Ukraine, Libyen, Nigeria, Palästina, Irak,… und das sind noch längst nicht alle aktuellen Konflikregionen. Dort scheinen unzugängliche Hardliner, Kriegstreiber und Fanatiker die Bühne zu beherrschen.

Ein Tollhaus, wenn man bedenkt, dass Rezepte für ein friedliches Miteinander längst vorliegen. Doch wer hört z.B. auf die Friedensforscher, die solche Rezepte erforscht und entwickelt haben? Wo erst einmal die Emotionen aufgeputscht sind, dringt die Stimme der Vernunft nicht mehr durch.

Und Deutschland, bisher immer abseits stehend, und mit Hinweis auf seine jüngere Geschichte sehr zurückhaltend mit militärischer Beteiligung an internationalen Befriedungsaktionen, kann sich auf Dauer nicht so heraushalten wie bisher. Es gab schon militärische Beiträge in Afghanistan und anderswo, aber als Weltpolizisten und deren Helfer ließen wir gern Anderen den Vortritt.

Nun Irak: Plötzlich heißt es, ein Genozid an Jesiden und anderen Volksgruppen im Irak muss verhindert werden. Und andere Regierungen, die eingreifen, fragen auch die deutsche: Was könnt, was wollt ihr beitragen? Die innerdeutsche Debatte ist eröffnet. Dazu ein Beitrag: Hilfe für Kurden: Deutschlands planlose Irak-Politik – Andere Meinung – Meinung – Tagesspiegel

Diese Debatte kann niemanden unberührt lassen. Deutschland hat mit Waffenexporten schon viel Geld verdient. Soll es weiter seine Hände in61+ Unschuld waschen und sich nicht darum kümmern, was Andere mit diesen Waffen anstellen? Das ist Gesprächsstoff!

Man bedenke auch die Konsequenzen, wenn man im fernen Ausland militärisch eingreift. Man kann das von Fall zu Fall entscheiden, dabei aber auch Überraschungen erleben, weil nicht alles nach Plan verläuft. Schön, dass die Regierung Schröder sich 2002 entschieden hat, im Irak nicht mit einzumarschieren. Afghanistan war dann ein anderer Fall, oder? „Nichts ist gut in Afghanistan“, stellte nach einigen Jahren Margot Käßmann fest. Und wer möchte ihr, nach weiteren Jahren, da widersprechen?

US-Präsident Obama wollte die US-Soldaten aus dem Irak nach Hause holen und tat dies dann auch. Und jetzt? Der Irak ist ein politischer Scherbenhaufen, und die Gewaltbesessenen, die sich „Islamischer Staat“ nennen, nutzen das zu einer Offensive, der sich einheimische Kräfte nicht entgegenstellen können. Zuschauen ist falsch, Eingreifen womöglich auch, wenn nicht alles nach Plan läuft.

Nun diskutiert mal schön!

W. R. 13.08.2014

016+

Homo sapiens, bei Teilabschaltung seines hochgelobten Gehirns, sich gegenseitig abschlachtend