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Es geht ohne „starken Mann!“

In der Corona-Krise fallen die Masken der Populisten und Autokraten (Selbstherrscher). Erst leugnen sie die Pandemie, dann überlegen sie, wie sie die Krise für sich nutzen können: Sie spielen „Starker Mann“ und sperren die Landesgrenzen (weil angeblich alles Schlechte mal wieder aus dem Ausland kommt), als Nächstes greifen sie zum weitreichenden Mittel einer Ausgangssperre; doch sie erweisen sich als unfähig und machtlos gegen die Krise.

Let’s think of the wavering millions
Who need leaders but get gamblers instead
(heißt es in Salt of the Earth, einem Lied der Rolling Stones)

Leider sind die „wavering millions“ (kann man übersetzen mit „wankelmütige Massen“) in gewisser Hinsicht auch unbelehrbar. So gab es in der Nachkriegszeit in Deutschland viele Menschen, die in der Nazizeit sozialisiert waren und im Bestand ihrer eingetrichterten Lebensweisheiten einfache Botschaften mitschleppten wie den Mythos vom „starken Mann“, der in schwieriger Lage „durchgreifen“ und „Ordnung schaffen“ sollte/könne/müsste/werde, Menschen, die den Parlamentarismus der westlichen Demokratie mit dem Diskutieren und Debattieren verschiedener politischer Lösungen als zu langwierig und als geistig anstrengend empfanden und daher für „schnelle Lösungen“ plädierten, dabei auch brachiale Hauruck-Verfahren in Kauf nehmen wollten (solange sie selbst davon nicht Schaden nahmen).

Und in Ländern, in denen die Menschen jahrzehntelang von sozialistischen Diktaturen gegängelt und kontrolliert wurden, fehlt Vielen ohnehin die politische Bildung, um sich vorzustellen, wie parlamentarische Demokratie funktioniert, und wie Wahlen mit einem durch freie Medien informierten Wahlvolk funktionieren.

Leider scheint das auch auf viele Menschen im „Mutterland der Demokratie“, in Großbritannien, zuzutreffen. Wie sonst erklären wir uns die Brexit-Abstimmung? Ja klar, zuerst damit, dass nicht „leaders“, sondern „gamblers“ das Wahlvolk in den Brexit getrieben haben, denen persönliche Profilierung und Parteipolitik wichtiger waren als das Wohl des Landes und seiner Bevölkerung. Erst recht sehen wir solche Machtpolitik in der Türkei, wo gerade (wegen Corona) jede Menge Kriminelle aus den überfüllten Gefängnissen entlassen werden, während die Massen an politischen Häftlingen drin bleiben — weil Präsident Erdogan das so will. Da haben wir ein „schönes“ Beispiel für den Unfug vom „starken Mann“, der angeblich einem Land gut tut.

Gegen diesen Unfug hilft nur, eine Demokratie, wo sie vorhanden ist und leidlich funktioniert, vor der Gefahr der Aushöhlung durch Machtkonzentration, Aufhebung der Gewaltenteilung und Einschränkung der Meinungsfreiheit zu schützen. Was diese Bedrohung anrichtet, sehen wir derzeit z.B. in Ungarn oder Polen.

Aber auch der Troll im Weißen Haus in Washington tut so, als sei die in der Verfassung verankerte Gewaltenteilung etwas Lästiges und Überflüssiges, jedenfalls da, wo sie seinem Ego und seinen persönlichen Interessen im Wege steht. Sein platter Slogan „Make America great again“ ist ein gutes Beispiel für nationalistische Augenwischerei. Egomanen wie Trump unterscheiden nicht zwischen nationalem Interesse und Eigeninteresse, sie meinen: Ist doch klar, dass mein Vorteil der des Landes ist. So wird in vielen Ländern Nationalismus als Ablenkung und Betrug am Wähler benutzt, von China bis Großbritannien, von Russland bis in die USA, und bis Brasilien. Und auch bei uns, wer hätte das gedacht, versuchen einige Polit-Chaoten, die nationalistische Karte zu spielen und die Leute zu behumsen, als lebten wir in den 1930er Jahren.

Wollen wir hoffen, dass es weiterhin in diesem Lande genug Leute gibt, die politisch gebildet und wachen Geistes aufpassen, dass die Lehren aus den Diktatur-Zeiten in Deutschland nicht vergessen werden. Es wäre schön, wenn auch im übrigen Europa die Menschen das Denken nicht vergessen würden und sich erinnern, was für Unheil uns droht, wenn wir wie Lemminge den Volksverführern hinterherlaufen.

W. R.

P.S.  Der Bundestag beschließt am 27.03.20 im beschleunigten Verfahren ein Gesetzespaket zur Unterstützung der Wirtschaft. Gut so, denn damit beweist das demokratische System, dass es in der Krise handlungsfähig ist (und keinen „starken Mann“ braucht).

P.P.S. Ungarns „starker Mann“ Victor Orban ergreift am 30.03.20 die Gelegenheit, anlässlich der Corona-Krise mit einem Ermächtigungsgesetz seine Macht auszuweiten (Das Parlament entmachtet sich selbst per Beschluss) und gleich auch noch die Presse- und Meinungsfreiheit weiter zu reduzieren. Heil, Orban! — oder was? Was nun, Wertegemeinschaft Europäische Union? Man denke mal in Ruhe über die Folgen nach: Ungarn: Viktor Orbán beschädigt die Demokratie – DER SPIEGEL  Der Schaden ist größer, als es auf den ersten Blick scheint!

Die USA sind auch derzeit mit einem „starken Mann“ gesegnet, der nicht einmal merkt, was für eine unernste Figur er macht: Vom Coronavirus völlig überfordert: Trumps Narzissmus wird zur tödlichen Bedrohung für die USA – Politik – Tagesspiegel

Die Evangelikalen, die Trump und Bolsonaro begeistert unterstützen, behaupten: Die Corona-Pandemie ist eine Strafe Gottes für die Sünden der Menschen. Nicht gerade originell, das Muster war schon im Mittelalter gängig in den christlichen Kirchen. Und welche Sünden straft Gott jetzt? Die Evangelikalen haben es direkt von Gott erfahren: Sexuelle Freizügigkeit, Abtreibungen, offen gelebte Homosexualität, und alles, was einem Konservativen in einer

Trump: 2015 zeigte er schon, wes Geistes Kind er ist

modernen, offenen Gesellschaft missfällt. Wer käme da noch auf den Gedanken zu überlegen, ob Gott nicht andere Sünden missfallen, z.B. der Missbrauch der christlichen Religion für tagespolitische Zwecke, z.B. die Instrumentalisierung Gottes für ganz irdische Auseinandersetzungen, etwa um eigene Moralvorstellungen durchzusetzen, z.B. die Leugnung der ursprünglichen Botschaft eines Jesus von Nazareth… durch Waffenverherrlichung und Förderung einer frauenfeindlichen Gewaltkultur.

Lasst mehr Frauen ran…

UM Weltfrauentag (8. März) finde ich einen Kommentar, der immerhin eins für sich hat: er klingt logisch > https://www.tagesspiegel.de/meinung/internationale-politik-ohne-gleichberechtigung-kein-frieden/24073842.html

Zum Thema „Waffen und Männer“ kann ich aus eigener Erfahrung und Einsicht beitragen: Entgegen der von populistischen Politikern wie Trump oder Salvini verkündeten Ansicht, dass mehr Waffen (insbesondere Schusswaffen) mehr Sicherheit geben sollen, sage ich: Mehr Waffen schaffen mehr Unsicherheit. Und eine Schusswaffe im Haus ist eine permanente Bedrohung für seine Bewohner. Denn oft wird diese Waffe, wenn sie denn zum Einsatz kommt, anders benutzt, als sich der Beschaffer das vorgestellt hat.

Gemeinhin denken die Leute, dass junge, heißblütige Männer die Welt unsicherer machen. Aber wenn man sich die älteren und alten Säcke anschaut, die einen großen Teil der Welt regieren, dann fragt man sich doch, wieso gerade unter deren Regierung so viele blutige Konflikte in der Welt existieren. Es ist offensichtlich, dass so ein Trump die Welt unsicherer macht, weil er multilaterale Abkommen kündigt und sich politisch unberechenbar verhält, weil er schon im Wahlkampf seine Nähe zu den Waffenfabrikanten nicht verbarg, und für zivile Amokläufe und Massaker nur das Mittel kennt, dass sich alle bewaffnen sollten. Toll, so einen Dummschwätzer hat die Welt noch gebraucht. Und wer hat ihn in dieses bedeutende Amt gewählt? Menschen, die einen politikunfähigen Selbstdarsteller als Rache am Establishment wählten, als Krawall-Otto und Anti-Kandidaten. Nur: Diese „Rache“ geht nach hinten los, wie die Ergebnisse seiner Politik zeigen. Am Ende haben auch und gerade viele Trump-WählerInnen* das Nachsehen.

Das haben auch diejenigen Briten, die 2016 für den „Brexit“ gestimmt haben. Ihre heillos zerstrittene Politiker-Kaste hat ihnen nicht nur das Plebiszit eingebrockt, sondern auch die endlosen Nervereien um die Art und Weise, wie der Brexit vollzogen werden soll. Männlicher Macht-Poker auf Kosten des Gemeinwohls findet da statt, auch die wenigen weiblichen Politiker mühen sich, auf männliche Art mitzumischen — wie es schon Margaret Thatcher tat (die sogar übte, ihre Stimme tiefer und damit männlicher klingen zu lassen). Was hat Thatcher dem Land beschert? Knallharte neoliberale Politik. Und auch Kriegsherrin war sie, um die Falkland-Inseln für Großbritannien gegen argentinische Ansprüche zu halten. Um welchen Preis?

Darum: Der oben verlinkte Kommentar ist zumindest diskussionswürdig.

W. R.

* Im Sinne von Gender-Sensibilität wird auf dieser Website oft, aber nicht in allen möglichen Fällen, das große i im Wort gesetzt (Binnen-I), um (im vorliegenden Fall) Wählerinnen und Wähler gleichermaßen zu benennen. Die Sache mit dem Sternchen (*) im Wort (Gendersternchen) hält der SR derzeit für nicht notwendig. Eine Diskussion darüber kann ganz schön vertrackt werden, wie z.B. dieser scharfsinnige und kompetente Artikel zeigt:  Debatte Geschlechtergerechte Sprache: Eine für alle – taz.de

Demokratie ja, aber bitte ohne Lemminge

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EMOKRATIE ist, wenn man abstimmt und die Mehrheit entscheidet — oder? So simpel sehen das anscheinend viele Leute. Und wählen mit dem Bauch den, der die einfachsten, aber emotional eingängigsten Parolen verbreitet.

So haben beim Brexit-Plebiszit viele Gebildete dagegen und für die EU-Mitgliedschaft gestimmt, also Leute, die gewohnt sind, ihren Kopf zum Denken zu benutzen und nicht nur als Hutablage. Eine Mehrheit ließ sich aber durch emotionale Retro-Parolen im Verbund mit dreisten Lügen für den Brexit mobilisieren. Es kam sogar zu einem Mord an einer jungen Politikerin, die sich für den Verbleib in der EU einsetzte.
Jetzt haben sie den Salat: Zank und Streit um die richtige Strategie bei den Austrittsverhandlungen, das jahrelang ruhende Nordirland-Problem kocht wieder hoch, Schottland liebäugelt mit einem erneuten Anlauf zur Unabhängigkeit, und die Wirtschaftsvertreter beschweren sich über drohende Nachteile für die britische Wirtschaft nach dem EU-Austritt.
Das alles konnte man vorher wissen.
Wenn da nicht die Desinformations-Kampagne der von Pressezar Rupert Murdoch gesteuerten Massenblätter gewesen wäre: Da konnte man einmal zu Recht von „Lügenpresse“ sprechen.
Ansonsten ist der Begriff „Lügenpresse“ ja bei uns von Rechten besetzt, die damit das Vertrauen in unsere Medien untergraben wollen. Klar: Gut informierte BürgerInnen werden den Teufel tun und Leute wählen, die ihre Parolen dem Heimatfilm der 1950er Jahre entnehmen, die folglich keine Lösungen für die heutigen und zukünftigen Probleme anbieten, stattdessen Gefühlsduselei als eine politische Haltung verkaufen und dumpfe Vorurteile als „gesundes Volksempfinden.“
Wer denken kann (und will!) und sich unsere heute drängenden Probleme im Land und in der Welt anschaut, der sieht, dass 1. die Welt komplizierter ist, als uns Populisten weismachen wollen, und dass 2. darum allein aus dem Bauch heraus gar nichts gelöst werden kann, sondern dass viele Lösungen nur möglich sind nach viel ernsthafter Sacharbeit und oft langwierigen Verhandlungen mit den Beteiligten und Betroffenen.
Sowas ist natürlich manchen Leuten zu langweilig und bietet keine Möglichkeiten, sich mit schnellen Lösungen in Szene zu setzen. Entsprechend führen sich die Vertreter rechter Parteien in den Parlamenten auf. Sie sind spezialisiert auf Sprücheklopfen und populistische Parolen, versagen aber in der Sacharbeit, wo es wirklich um Änderungen und Verbesserungen für die Bevölkerung geht.
Sie verweigern echte Sacharbeit mit der vorgeschobenen Begründung, das gehe ja eh alles in die falsche Richtung; dahinter steckt ihre kaum verhüllte Ablehnung der Demokratie überhaupt. Sie wollen einen autoritären Staat, gelenkt (natürlich) von einem der Ihrigen. In ihren Augen machen Putin, Orban, Erdogan und ja, auch Trump Vieles richtig.
Diese Politiker benutzen scheinbar demokratische Verfahren, um ihre Macht zu vergrößern. Ebenso die PiS-Regierung in Polen. Nachdem sie die Bevölkerung mit nationalistischen Bauch-Parolen in Stimmung und dazu gebracht haben, mit Mehrheit für sie zu stimmen, lassen sie die Macht nicht mehr los und gehen schrittweise daran, alle Teile des Staates umzukrempeln, wo sich noch Opposition regen und artukulieren könnte: „Machtergreifung“ nannten die Nazis ihr ähnliches Vorgehen.
Auch bei uns wollen Feinde dieses demokratischen Systems die Macht durch emotional beeinflusstes Abstimmungsverhalten erobern, um dann die Demokratie in ihrem Sinne umzubauen, d.h.: von innen auszuhebeln und abzuschaffen. Äußerlich bleibt eine ausgehöhlte Fassade von staatlichen Institutionen, die in Wahrheit gleichgeschaltet sind und sich eben nicht mehr gegenseitig kontrollieren, wie es in einer funktionierenden Demokratie sein sollte.
Aber damit sind wir noch nicht am Ende der Beschreibung, was Demokratie wirklich und dem Wesen nach ist. Freie und geheime Wahlen, Mehrheitsentscheidungen, Teilung der staatlichen Gewalt in Legislative, Exekutive und Jurisdiktion, damit verbunden die gegenseitige Kontrolle dieser klassischen „drei Gewalten“, dazu Meinungsfreiheit und freie Medien. Lange Zeit sprach man – besonders in den USA – von der Presse als „vierter Gewalt,“ weil sie nicht nur für informierte BügerInnen sorgte, sondern auch staatliches Handeln kritisch hinterfragte. Das ist bei einer Konzentration am Markt nicht mehr so einfach (siehe R. Murdoch beim Brexit); und das Internet macht die Sache noch schwieriger für die traditionellen Medien, in denen hauptberufliche Journalisten das Handwerk der Nachrichtenvermittlung noch gründlich gelernt haben.
Auch da setzen die Rechtsaußen an und wollen mit der Parole „Lügenpresse“ (oder vornehmer: „Mainstream-Medien“) die wenig durchblickenden Menschen verunsichern und auf Internet-Kanäle locken, wo genau das stattfindet, was die „Lügenpresse“ angeblich tut oder beabsichtigt. Geradezu grotesk: Da unterstellen braungefäbte Populisten unseren öffentlich-rechtlichen Medien eine vom Staat gelenkte Einheits-Berichterstattung (wie sie damals in der DDR geübt und davor von Goebbels vorgegeben wurde), empfehlen dann stattdessen (!!) den russischen Kanal Russia Today (RT). Das finden gut informierte Nachrichten-KonsumentInnen zum Lachen, doch Andere erhoffen sich tatsächlich, dort die „bei uns verschwiegene Wahrheit“ zu erfahren. Ach Leute, denkt doch mal nach: Putin mit seiner Karriere im Geheimdienst und als gewiefter Machthaber hat ganz andere Interessen…
Aber wem sage ich das?! Man kann vielseitig informiert sein, auch aus sehr unterschiedlichen Quellen. Aber man sollte dann in der Lage sein, das Gelesene, Gesehene, Gehörte vernünftig einzuordnen. Dabei ist Voreingenommenheit keine gute Hilfe. Denn dann läuft man Gefahr, mit den sprichwörtlichen Lemmingen in eine Richtung zu laufen, ohne zu sehen, wo es hin-, und womöglich: hinab geht.

W. R.

mehr über Demokratie und ihre Probleme  >Clio 10.

Und am Rande noch eine kleine Denkaufgabe: Warum lobt Donald Trump seinen „Freund“ Boris Johnson, das Gesicht der Brexit-Kampagne und Ex-Außenminister von GB?

Und eine Frage eines irritierten Fernsehzuschauers: Am 10. Juli 2018 schaue ich die Nachrichten und sehe ungläubig einen Bundesinnenminister Seehofer (CSU), wie er seinen „Masterplan“ zur Asylpolitik der Öffentlichkeit vorstellt. Wie bitte?? Der ist immer noch Innenminister, nach allem, was er sich in den letzten Wochen gelappt hat? Und bei seiner aktuellen Quertreiberei? (Und nach all seinen früheren Purzelbäumen, siehe z.B. >Blog vom 04.07.2015) Ein Politiker und Bundesminister, der verneint, dass der Islam zu Deutschland gehört, muss sich allmählich auch die Frage gefallen lassen, ob Bayern (mit seiner gegenwärtigen, Orban- und Putin-freundlichen Regierung) noch zu Deutschland gehört… Und wer (wie Söder) demonstrativ mit dem Kreuz vor den Kameras herumwedelt, muss sich fragen lassen, was er als Christ gegen das Ertrinken tausender Menschen im Mittelmeer zu tun gedenkt.

Da liegt noch viel Integrationsarbeit vor uns — bis diese Politiker unsere Werte verinnerlicht haben und sich als gute demokratische Vorbilder zeigen. —

Nachtrag am 03.08.2018: Horst Seehofer (CSU) scheint da vom Weg abgekommen zu sein. Anscheinend setzt er mehr auf Vorbild Trump: Er will in Kürze twittern, um seine Wahrheit unters Volk zu bringen, weil die bösen Medien Fake News über ihn verbreiten. Ja, Horst, heul doch! Oder erklärst du auch, wie Trump, die Medien demnächst zu „Feinden des Volkes“?

Das bayrische Rumpelstilzchen auf dem Sessel des Innenministers ist übrigens auch Bundesbauminister, denn das Ressort ist dem Innenministerium unterstellt. Hallo, Ihr verzweifelt eine bezahlbare Wohnung Suchenden: Habt Ihr vielleicht gehört, dass sich Horst um die lange fällige Reform der Mietpreisbremse und um vermehrten Bau von Sozialwohnungen kümmert? Bislang hält er das Land und die EU mit „wichtigeren“ Dingen in Atem, nämlich mit Detailfragen zur Flüchtlingspolitik, und mit Querschlägen gegen die Kanzlerin. Das kommt bei Vielen nicht gut an. So kam es, dass die CSU bei der Landtagswahl ein schlechtes Ergebnis einfuhr und von der erhofften Wiedererlangung der absoluten Mehrheit in Bayern weit entfernt blieb.

Eine Lektion „Newspeak“

Wollt Ihr mal wissen, wie Unterdrückung konkret aussieht? Habt Ihr genug von alten Geschichten aus dem Geschichtsbuch? Wollt Ihr wissen, wie das heute abgeht? Dann schaut euch an, was in der Türkei läuft: http://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/tuerkei-recep-tayyip-erdogan-will-wissenschaftler-in-deutschland-anklagen-a-1175459.html

Warum wird da überhaupt diese „Terroristen“-Show veranstaltet? Weil Erdogan, seit er sich im Bündnis mit Gülen in den Sattel geschwungen hat, die Konkurrenz ausschalten und Alleinherrscher sein will. Erdogans Kampf gegen Leute mit anderen Meinungen fing schon lange vor dem gescheiterten Putsch (Juli 2016) an. Danach ließ er die Maske ganz fallen und entließ eine Menge Kriminelle aus den Gefängnissen, weil er seine vielen politischen Gefangenen sonst nicht mehr hätte unterbringen können.

Wie man schon in Orwells „1984“ lesen konnte, wird auf dem Weg in die Diktatur auch „Newspeak“ eingeführt: So sind alle, die anderer Meinung als der Große Bruder sind, Staatsfeinde und Terroristen. Das ist also gar nicht originell. (Orwell hatte vor allen die Regime Hitlers und Stalins als Beispiele vor Augen.) In den letzten Jahren ist rund um den Globus die Bezeichnung „Terroristen“ zum Lieblingswort der Diktatoren geworden, um damit Andersdenkende zu kriminalisieren.

Was sagt denn so ein Wort noch aus, das inflationär gebraucht wird? Aus dem Munde gewaltbereiter Diktatoren klingt das ja fast schon wie ein Lob für ihre Gegner, zumindest zeigt es, dass sie diese Gegner fürchten. Erdogan hat fleißig darauf hin gearbeitet, alle „Terroristen“ in den Medien mundtot zu machen, viele sitzen in Haft (Neuer Straftatbestand: „Terrorpropaganda“ — schwammig und sehr dehnbar).

Gleichzeitig behauptet er, die Türkei sei „ein demokratisches Land“ — „Newspeak“ eben. Was er sonst an grotesken Behauptungen hinausschreit, konnte man z.B. im Blog-Eintrag „Drah di net um“ vom 24.3.2017 lesen. Im Zweifel kann man im Voraus erwarten: Alles, was Erdogan nicht passt, ist eine „Verschwörung des Auslandes gegen die Türkei.“ Aber sicher doch, Kritik an Erdogans Alleinherrschaft wird den Türken als Feindschaft gegen die Türkei verkauft, um die Solidarität der Bevölkerung mit ihrem Sultan einzufordern. Auch das ist ein alter Hut.

Noch nicht schlapp gelacht? Dann lies mal das hier: (2) Verschwörungstheorie in der Türkei: Geheimbotschaften in der Jeanshose – Politik – Tagesspiegel

Man könnte (siehe den o.g. Blog-Eintrag) das Gebaren Erdogans und seiner Regierung  nur noch als Realsatire verstehen und darüber lachen — wenn er es nicht todernst meinte. Man könnte sich zurücklehnen und sarkastisch sagen: Gut, dass Erdogan die Armee durch seine „Säuberungen“ geschwächt hat, das nützt immerhin den Kurden im Irak und in Syrien. Auch Stalin hatte seine Armee „geköpft“ — und wurde dann von Hitlers „Russlandfeldzug“ zunächst überrollt. Solche Egoshooter stellen eben die Sicherung ihrer persönlichen Macht über alles Andere.

Und wieso gibt es schon wieder so viele trollige Regierungschefs in der Welt? Wieso können Superreiche ihre Milliarden ungestört an Steuerforderungen vorbei in Oasen schieben? Seit Veröffentlichung der Panama-Papers und Paradise-Papers kann das niemand mehr leugnen. Hängt da vielleicht Manches miteinander zusammen? Das mutmaßt z.B. dieser Kommentar: Rechtsruck der Welt: Macht! Macht! Macht! – Kolumne – SPIEGEL ONLINE

Manche Milliardäre haben, wie wir gesehen haben, wirklich Macht und dabei die Bosheit, ihre privaten Anliegen gegen das Allgemeinwohl durchzusetzen — ich erinnere nur an die Anti-EU-Kampagne des Pressezars Rupert Murdoch in Großbritannien. Er hat großen Anteil am Ausgang des Referendums für den Brexit. Und er trieb (zusammen mit Anderen) genug Stimmvieh zusammen, um das Land in die Bredouille zu stürzen.

Donald Trump will in den USA Steuererleichterungen für Großverdiener durchsetzen. Ist sicher Zufall, dass er selbst davon profitieren würde, oder? Seine Steuererklärung sollen die Leute auch nicht sehen. Das ist die Arroganz der Egomanen an der Macht. Sie machen sich kaum die Mühe, ihren unverfrorenen Egoismus zu verschleiern. Das geht bald ganz ohne „Newspeak“, weil die meisten Leute verlernen, genau und kritisch hinzuhören und sich dabei etwas zu denken. Weil sie lieber auf einfache, gängige Slogans hören, an die sie durch ständige Werbe-Berieselung gewöhnt sind (und die Selberdenken überflüssig machen).

W. R.

Rabenschwarzer Tag für die EU

3h (2)Da haben wir’s: Die Briten stimmen mit knapper Mehrheit für den „Brexit“, den Austritt aus der Europäischen Union (EU). Im Fernsehen sieht man die Anhänger des Austritts jubeln, als das Ergebnis bekannt wird.
Als Freund der Briten frage ich mich allerdings etwas beklommen: Werden diese Menschen in ein paar Jahren auch noch jubeln können, wenn sie an den 23. Juni 2016 zurückdenken, den Tag des Referendums?
Ein zweiter Blick auf die Ergebnisse zeigt, dass Großbritannien keineswegs einheitlich abgestimmt hat. Mehr>Brexit: Die Ergebnisse in einer Karte – SPIEGEL ONLINE

Mal abgesehen von wirtschaftlichen Folgen — das Referendum, vor Jahren aus innenpolitischen Gründen von Premierminister Cameron losgetreten (mehr >Wie David Cameron versehentlich die Europäische Union opferte – DIE WELT) , beschert dem Land nun verschärfte innenpolitische Probleme. Im überwiegend EU-freundlichen Schottland stehen Kräfte in den Startlöchern, die vor Kurzem erst einen Austritt aus GB herbeiführen wollten und damals mit einem Referendum (noch?) scheiterten. Was die Brexit-Marktschreier den „Independence-Day“ nennen, könnte zum Startschuss für eine Independence-Aktion Schottlands werden und zu einem geschwächten Britannien führen. Damit würde das Gegenteil von dem erreicht, was sich vor allem ältere Briten vom EU-Austritt versprechen.

Überhaupt scheint mir die Brexit-Kampagne ein Lehrbeispiel für nationalistischen Populismus zu sein, wie er in vielen Teilen Europas aufkommt: Statt mit rationalen Argumenten operierte die Brexit-Kampagne mit emotionalen Appellen an Nationalstolz und nationalen Egoismus, vermischt mit ausländerfeindlichen Ressentiments, und scheute auch nicht Verdrehung von Tatsachen und freche Lügen, womit sich auch einige Blätter der Boulevardpresse hervortaten (In diesem Fall liegt es einmal nahe, von „Lügenpresse“ zu sprechen). Alles diente nur dem Aufputschen von Emotionen, um den Verstand zu vernebeln: Wählt mit dem Bauch! (Egal, ob ihr damit hinterher auf denselben fallt…)

Was Populisten nicht wollen, ist sachliche Aufklärung und Appelle an den Verstand. Das wäre nur hinderlich, wenn man Stimmvieh zusammentreibt. Wohlgemerkt: Nichts gegen Gefühle, aber dazu hat uns der Herrgott doch auch noch ein Denkvermögen geschenkt. Und er hat nicht verboten, diese Gottesgabe zu benutzen! Das sollte man gerade dann bedenken, wenn es um politische Entscheidungen mit weitreichenden Folgen geht.

Das Foto oben erinnert mich daran, dass ein alter Spruch sagt: „Solange die Raben um den Tower fliegen, geht das Empire (oder das United Kingdom) nicht unter.“ Wer die Raben am Tower of London beobachtet, stellt fest, dass sie viel über den Rasen schreiten, doch kaum fliegen — weil man ihnen vorsichtshaber die Flügel gestutzt hat, damit sie den Bestand des Empire bzw. United Kingdom sichern und nicht davonfliegen. Auch das passt symbolhaft zu der Brexit-Kampagne: Vorspiegelung falscher Tatsachen. In Wahrheit sind die Raben am Tower kein Zeichen mehr für den Fortbestand Großbritanniens.

Einige Brexit-Befürworter riefen in Fernsehkameras: „Freedom!“ Wie, durch den Brexit? Wenn das mal kein Aberglaube ist… Hier zitiert sich W. R. einmal selbst mit einem selten gebrauchten Spruch: „Volkes Mund tut Unsinn kund.“ (Trifft zumindest auf ein desinformiertes Volk zu.)

W. R. 24.06.2016

Nachtrag: Am Tag, an dem das Abstimmungsergebnis bekannt wurde, trat Boris Johnson, „das Gesicht der Brexit-Kampagne“, vor die Medien und säuselte Sätze von „Alle müssen jetzt wieder zusammenstehen“ und „Wir sind trotzdem alle Europäer.“ Mann, dachte ich, hast Du plötzlich Kreide gefressen? Boris will Premier Cameron beerben, doch in diesem Moment erschien er mir wie jemand, der Schiss in der Hose hat, weil er als Premier den ganzen Mist übernehmen und verantworten müsste, den er angerichtet hat. Daher versucht er sofort, Öl auf die Wogen zu gießen, die er wochenlang mit aufgepeitscht hat. Dann taucht er erstmal ab in sein Landhaus, um mit seinen Beratern in Klausur zu gehen.

Derweil erregen sich vor allem junge Briten — die wird er wohl kaum bei zukünftigen Unterhauswahlen für sich mobilisieren können. Und die Mehrheit der Schotten auch nicht. Die Tories werden sich also überlegen müssen, ob sie mit so einem Spitzenkandidaten Wahlen gewinnen könnten…

Nachtrag am 30.06.: Offenbar lag ich richtig, Boris J. hat erklärt, er werde nicht für den Parteivorsitz der Konservativen und das Amt des Premiers kandidieren. Damit verliert das Brexit-Lager seine populärste Führungsfigur. —

Nachtrag am 05.07.: Nun hat auch noch der UKIP-Vorsitzende Nigel Farage hingeschmissen. Auch ihm ist es wohl zu heiß, den Brexit zu verantworten, für den er vor dem Referendum jahrelang Stimmung gemacht hat. Ein Tollhaus, die britische Innenpolitik derzeit! Aber Farage kann es nicht ganz lassen, er will in Europa für weitere Austritte aus der EU werben. Mich beschleicht langsam das Gefühl: Diese Politiker gefallen sich in Volkstribun-Posen, putschen Emotionen auf und treiben Stimmvieh-Herden zu Wahlurnen, haben aber keine langfristigen politischen Konzepte und daher auch keine Lust, langfristig ernsthafte politische Arbeit zu machen — mit dem mühsamen „Bohren dicker Bretter“.

Schaut man sich in Europa um, so sieht man einige Chaoten dieser Art, vor allem im rechten, nationalistischen Lager. Dort schreiben sie sich Sabotage gegen „das System“ auf die Fahnen, können mit Demokratie wenig anfangen und streben mehr oder weniger autoritäre Machtapparate an. Zielvorgabe: Wir brauchen kein Sachprogramm und keine sachliche Mitarbeit in Parlamenten, wir wollen einfach nur an die Macht!

Und da man in diesem Lager gern Verschwörungstheorien hört, sage ich: Das alles ist Putins Werk, er fördert alles, was die EU stört und Unruhe macht. Typisch waren die Schlägertrupps, die zur Fußball-EM nach Frankreich geschickt wurden und bei ihrer Rückkehr fast wie Kriegsheimkehrer begrüßt wurden.

Ich kenne einen, der einen kennt, der gehört hat, wie russische Agenten in einem Hinterzimmer in London……. Stop: Wer weiß, ob diese Fantasie nicht schon von der Wirklichkeit überholt wurde? Wer weiß überhaupt noch irgendetwas sicher? Am besten baue ich die Fantasie von der Unterwanderung der EU noch etwas abenteuerlicher aus, stelle sie in sozialen Netzwerken ein, und mit Sicherheit verbreitet sich auch diese „Wahrheit“ im Netz! Da wimmelt es ohnehin schon von Desinformation und Schein-Enthüllungen.

W. R.

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