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Ein Desaster

Dieses Land könnte in Vielem besser werden, das hat die Corona-Krise gezeigt. Was Modernisierung und Innovation angeht, mag es in einigen technischen Feldern durchaus vorn liegen. Schaut man aber auf den Zustand der Gesellschaft, dann scheint es, dass sich Viele in diesem Lande auf dem Erreichten ausruhen und nicht ernsthaft daran denken, fortschrittlichen Gedanken und Parolen auch die entsprechenden Taten folgen zu lassen. Was heißt eigentlich fortschrittlich?

Seit wievielen Jahren wird die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern kritisiert, und was wird daran geändert? Seit wievielen Jahren wird kritisiert, dass vor allem in Pflegeberufen (Kranken- und Altenpflege) ebenso wichtige wie wertvolle Arbeit miserabel bezahlt wird? Was ist das für ein Land, in dem Krankenhäuser zu Geldmaschinen wurden und auf Teufelkommraus lukrative Operationen durchführen, die Kranken aber quasi noch „blutig“ schnellstens nach Hause entlassen, um Betten schneller neu zu belegen für neue „Kunden“, und mehr Kohle zu machen? Da wird weniger den Menschen geholfen, als vielmehr den Aktionären des Krankenhaus-Konzerns höhere Dividende erwirtschaftet.

Was leider in der „freien Wirtschaft“ um sich gegriffen hat, die neoliberale Denke (Profitsteigerung soweit möglich vor allem auf dem Rücken des Personals), wurde auf unverantwortliche Weise in Bereiche der Daseinsfürsoge übertragen. Der Mensch steht vielleicht noch in Werbesprüchen im Mittelpunkt, in Wirklichkeit tanzen die Verantwortlichen um das Goldene Kalb.

Die Folgen sind nicht mehr zu übersehen, die Corona-Krise zeigt das selbst dem Begriffsstutzigsten. Was besonders empört: „Die Politik“, genauer: die Entscheider in den Schlüsselpositionen, lassen sich jede Menge Zeit, daran etwas zu ändern. Als Beobachter rauft man sich die Haare! Speziell um Ostern, in der ersten Hälfte April 2021, brennt die Hütte, die Intensivstationen der Kliniken laufen voll, während die Bundesländer weder zu einheitlichen Maßnahmen finden noch einsehen, dass dieser Flickenteppich unterschiedlicher Maßnahmen ein Kommunikationsdesaster geworden ist. Denn die Bevölkerung versteht nicht mehr, was wo warum verfügt oder auch nicht verfügt wird.

Und zur Illustration des Ganzen wird dann nach Ostern der Vorschlag von Armin Laschet von fast allen Seiten kritisiert, teils sogar lächerlich gemacht: Er redete zuvor zwar selbst gern von Lockerungen, sah aber aktuell ein, dass man auf die Wissenschaft hören sollte, um die gegenwärtige „dritte Welle“ der Corona-Pandemie in Deutschland zu brechen. Laschet sah einen „harten Brücken-Lockdown“ von 2-3 Wochen als nötig an, während man die Impfungen forciert, bis deutlich mehr Menschen geschützt sind und damit die Ansteckungen zurückgehen.

Während noch Viele dabei waren, den „Brücken-Lockdown“ schlecht zu reden (vor dem Hintergrund übrigens, dass Laschet mit Söder um die Kanzlerkandidatur der Union konkurriert), stiegen die Infektionszahlen weiter, sodass die Kliniken Alarm schlugen. Das Personal arbeitet schon wieder am Limit. Pflegepersonal, chronisch überlastet und zugleich schlecht bezahlt (irgendwer muss ja den Profit erwirtschaften!), wird selbst krank und/oder schmeißt ganz hin. (In 2020 kündigten 6000 Pflegekräfte in Deutschland ihren Job – den sie eigentlich lieben.)

So rutschen wir sehenden Auges in ein Desaster, das vermeidbar wäre. Statt überlastetes Pflegepersonal und überarbeitetes medizinisches Personal nur mit warmen Worten zu loben, müsste dringend (schon vorgestern!!) das Gesundheitssystem verändert werden, und zwar an den Stellen, wo Geld verdient und wo Leistungen honoriert werden. Und es muss erlaubt sein, grundsätzliche Zweifel anzubringen an der privatwirtschaftlich-gewinnorientierten Ausrichtung vor allem der Kliniken. Denn hier sieht man deutlich, wohin die Parole „Privat vor Staat“ führen kann.

Neoliberales Profitdenken gehört nicht in die Bereiche der Daseinsvorsorge und -fürsorge. Das sollte, ja müsste sich längst herumgesprochen haben. Privatisierung ist kein Schritt zur effektiveren (und flächendeckenden!) Versorgung der Bevölkerung – im Gegenteil. Das wissen die meisten klugen Menschen längst. Doch sind die Entscheider offenbar zu fest im Griff der Lobbyverbände, um sich zu wirklichen Verbesserungen zu entschließen.

W. R.

P.S.: Wir reden hier hauptsächlich vom Gesundheitssystem, doch mögen die geneigten LeserInnen auch an andere Bereiche der Daseinsfürsorge denken. Die „öffentliche Hand“ hat seit den 1990er Jahren gern die Dienste von Unternehmensberatungen in Anspruch genommen, um in ihrer Verwaltung, an den öffentlichen Schulen, in der Polizei, in der Justiz „Sparpotential“ zu entdecken. Inzwischen beklagen wir (schon seit Jahren) akuten Personalmangel in diesen Bereichen. Während der Bedarf etwa an LehrerInnen wuchs, liefen die Einstellungen des Nachwuchses weiter auf Sparflamme. Schon seit Jahren weiß man nicht, woher man die dringend benötigten LehrerInnen so schnell nehmen soll. Die Fensterreden von PolitikerInnen, die ab 2001 (nach der ersten PISA-Studie) von „oberster Priorität auf der Bildung“ sprachen, sind längst folgenlos verhallt.

Wie hieß es doch schon in der Bibel: „An ihren Taten sollt Ihr sie erkennen.“ —

Nachtrag am späten Abend des 15.04.21: Man kann es sich kaum noch anhören! Da wird diskutiert, da wird taktiert, aber auf das nötige schnelle Handeln zur Eindämmung der Pandemie warten wir vergeblich. Müssen sich erst medizinische und Pflegekräfte reihenweise aus den Klinikfenstern stürzen – oder auf der Straße lauthals nach einer „Merkel-Diktatur“ rufen?

Auch am 18.04.21 ist wirkliche Besserung nicht in Sicht. In Diskussionsbeiträgen im Fernsehen das übliche Bild: Zu allem gibt es Zweifel und Kritik, egal was vorgeschlagen oder angeordnet wird. Und eine eingeblendete Grafik zeigt die Belegung von Intensivbetten in den Krankenhäusern, wo die Kurve wieder steil ansteigt, aber noch nicht so hoch wie auf dem Höhepunkt der letzten Welle. Alles nicht so dramatisch? Ist da noch Luft? Wenn man daneben eine Grafik des einsatzfähigen Klinikpersonals zeigen würde, dann sähe man sofort: Der Vergleich mit Vorher trügt, er hinkt, weil für die vorhandenen Betten immer weniger Personal zur Verfügung steht… !

Nachtrag am 22.04.21: Berliner Intensivpfleger an der Corona-Front: „Die Ärztin schläft nach der Schicht im Auto, weil sie den Heimweg nicht schafft“ – Gesellschaft – Tagesspiegel

Übrigens zeigt mir das wieder, wie gut es ist, sich von den social media fernzuhalten (So muss ich nicht öfter solche – sorry – Idioten-Posts lesen wie die in diesem Artikel zitierten).

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So geht’s halt nicht…

Meckern ist hierzulande anscheinend Volkssport. Den Eindruck kann zumindest bekommen, wer sich in die Echokammer der Medien – egal welche – begibt.
Und wieder, wie schon Ende August 2015, habe ich den Eindruck, die „Stimmung in der Bevölkerung“ wird herbeigeredet, bevor überhaupt eine solche klar zu erkennen ist. Damals hieß es, Willkommenskultur schön und gut, aaaaber „die Stimmung könnte kippen.“ Das wurde über Tage ständig in Nachrichten und Kommentaren wiederholt, bis… ja, die AfD Aufwind bekam und damit Wahlerfolge erzielen konnte. (Die Parteiführung bezeichnete das Thema „Flüchtlinge“ als „Geschenk“, denn sie stand bis zum Sommer 2015 nicht gut da, konnte aber die aufgeputschte Stimmung dankbar nutzen und weiter befeuern.)
Derzeit (Febr./März 2021) habe ich wieder den Eindruck, dass eine Stimmung herbeigeredet wird: Die Leute hätten „die Schnauze voll“, sie wollten endlich Lockerungen und Öffnungen – ungeachtet der keineswegs entspannten Lage in der Corona-Krise (denn das ist diese Pandemie auf jeden Fall).
Dann wird auf die Bundesregierung eingeschlagen, als machte sie nur noch Fehler. Jeder denkende Mensch weiß: Das kann so nicht stimmen. Egal, die Medien (ganz besonders die „sozialen Netzwerke“) setzen heutzutage immer mehr auf Emotionen. Das geht natürlich leicht… zu Lasten des nüchternen Abwägens.
Statt emotional draufzuhauen und das Regierungshandeln in Bausch und Bogen schlechtzureden, sollte frau/man besonnen draufschauen und genau hinsehen. „Im Ausland machen sie es besser“, wird gesagt. Die Wahrheit ist differenzierter: Kommt darauf an, wo frau/man hinschaut.
Und die lauten Kritiker und die sehr lauten Verweigerer und Corona-Leugner sollten mal auf Australien oder auf Portugal schauen. Da haben sich die allermeisten Leute an die verordneten Regeln gehalten, die paar unbelehrbaren Leugner drangen nicht durch und traten daher auch nicht in großen Demos auf, wie bei uns. Australien und Portugal hatten sehr hohe Infektionszahlen – und sind davon vergleichsweise schnell, ja fast sensationell, heruntergekommen. Da kann guten Gewissens wieder gelockert und geöffnet werden.
Und bei uns schreien die am lautesten, die sich nicht an Regeln halten, aber auch auf nichts verzichten wollen. Ja, so geht’s halt nicht.
Über Portugal hörte ich: Das ist eine Frage der Mentalität. Was ist bei uns anders? Na, ein Anspruchsdenken an den Staat, gekoppelt mit Individualismus (Mir sagt keiner, was ich zu tun habe) und Egoismus (Die Anderen sind mir egal, Hauptsache, ich komme gut durch). Sogar im Straßenverkehr sehe ich Viele, die die Verkehrsregeln als Option und Vorschlag verstehen, aber den Sinn von Regeln offenbar nicht kapieren. Dass viele Regeln und Konventionen das Miteinander ermöglichen und erleichtern, das sehen sie nicht, weil sie egozentrisch orientiert sind. Dass Regeln auf der Straße zur Vermeidung von Konflikten und Unfällen taugen, das haben Viele nicht auf dem Schirm (Ach, mir ist doch noch nie was passiert!).
Kein Wunder also, dass wir noch lange unter Lockdown etc. werden leiden müssen.
W. R.

P.S.: Jetzt richtet sich massive Kritik gegen den aktuellen Stopp der Impfungen mit AstraZeneca. Für den Stopp wie für das einstweilige Weiterimpfen gibt es Gründe. Ich möchte da nicht mit den verantwortlichen PolitikerInnen tauschen: Wie sie auch entscheiden, es gibt immer Kritik. Hätte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn verkündet, dass trotz Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts weiter mit AstraZeneca geimpft wird, hätte er sofort zu hören bekommen: Sie spielen mit dem Leben der Menschen! Da er das Impfen gestoppt hat, wird ihm vorgeworfen, durch Weiterimpfen hätten Leben gerettet werden können.

Ein undankbarer Job – in dieser Situation, da die „dritte Welle“ mit teils aggressiveren Virus-Mutationen anrollt, trotzdem viele Leute Lockerungen, Öffnungen, Auslandsreisen wollen und wir oberdrein (ünglücklicherweise) ein „Super-Wahljahr“ haben. Gerade Letzteres wird einige PolitikerInnen erst recht dazu verleiten, den Leuten nach dem Munde zu reden. Und diejenigen, die klaren Kopf behalten und das Richtige tun wollen, können nicht in einem Handbuch der Corona-Politik nachschlagen (Das gibt es nicht, weil so eine Pandemie noch keiner erlebt hat).

Unglücklich ist auch, dass die Bundesländer z.T. aus Vereinbarungen ausscheren und gemeinsam beschlossene Empfehlungen oder Regeln nicht umsetzen. Da wurde eine Inzidenzzahl 100 als Grenze ausgerufen, dennoch verbietet die Landesregierung NRW z.B. der Stadt Duisburg, bei höheren Inzidenzwerten die Schulen (Präsenzunterricht) wieder zu schließen. Das ist, sage ich als selbsternannter Kommunikationsberater, ein Desaster.

Gern würde ich diesen Blog-Beitrag mit einem positiven Schluss beenden. Dass am 18.03.21 AstraZeneca wieder „freigesprochen“ wird und nun mit Hochdruck weitergeimpft werden soll, habe ich erwartet. Aber auch dieses Hin und Her, ungeachtet der Frage der Verantwortlichkeit, war ein Kommunikationsdesaster, weil es Verunsicherung ausgelöst hat. Da brauchen gewisse ausländische Dienste nicht mehr viel Verunsicherung ins Internet und seine „sozialen Netzwerke“ zu streuen – wir machen die Verwirrung schon selbst. —

Daran anschließend, ein Nachtrag vom 09.04.2021: Am frühen Abend des 08.04. höre ich die Nachrichten und kann es kaum glauben. Statt ernsthaft auf die Mahnungen der WissenschaftlerInnen zu hören und – wie vor Tagen Armin Laschet – einen „harten Lockdown“ zum Brechen der dritten Pandemiewelle in Betracht zu ziehen, reden einige PolitikerInnen in den Bundesländern weiterhin über mögliche Lockerungen und „Modellversuche“ mit Lockerungen. Mit den Kitas und Schulen verfährt auch jedes Bundesland nach eigenem Konzept. Um dem die Krone aufzusetzen, preschen Bayern und Meckpomm vor und bestellen schon mal den russischen Impfstoff Sputnik, der in der EU noch gar nicht zugelassen ist (und, wie man hört, in absehbarer Zeit auch nicht soweit kommen wird).

Statt mehr Einheitlichkeit und Klarheit gibt es noch mehr Regelwirrwarr, und jedes Bundesland und z.T. jede Region hat andere Regeln und Maßgaben. Die Kanzlerin hat schon vorige Woche in einem Interview deutlich kritisiert, dass sich MinisterpräsidentInnen einiger Bundesländer nicht an die gemeinsamen Absprachen zur Pandemiebekämpfung halten. Dem Virus gefällt das. Und ich als selbsternannter Kommunikationsberater schlage die Hände über dem Kopf zusammen: Wie will man „die Bevölkerung mitnehmen“ und motivieren, sich weiter an die Regeln zu halten, wenn man so ein chaotisches Bild abgibt?

Hätten wir die „Merkel-Diktatur“, von der ein paar Verwirrte faseln, dann gäbe es dieses Chaos wohl nicht. Die Kanzlerin war immer auf Seiten derer, die vor zu schnellen Lockerungen gewarnt haben.

Jetzt (am Abend des 09.04.) kann man nur hoffen, dass sich das Vorhaben durchsetzt, auf Bundesebene das Infektionsschutzgesetz anzupassen und im beschleunigten Verfahren von Bundestag und Bundesrat verabschieden zu lassen. Die Zeit drängt, noch gefährlichere Virus-Mutationen werden wahrscheinlich auftreten. Und für die nächste Pandemie müssen wir auf jeden Fall besser vorbereitet sein. —

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Ein wenig mehr Bildung

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey fordert mit gutem Grund, die politische Bildung bei Kindern und Jugendlichen zu stärken. Wer gehört oder gelesen hat, was alles an politischem Unfug und Falschbehauptungen im Internet kursiert – und z.T. geglaubt und weiterverbreitet wird – der muss die Forderung von Frau Giffey unterstützen.
Wenn Leute sich nicht entblöden, von einer „Merkel-Diktatur“ zu schwafeln, oder dass man hierzulande nicht alles äußern dürfe, dann fragt sich jeder halbwegs informierte Mensch, was denn bitte das sein soll, was z.B. in Weißrussland unter Lukaschenko praktiziert wird? Und was bitte war dann das, was die Nazi-Machthaber bei uns bis Mai 1945 veranstaltet haben?
Diejenigen, die das „Diktatur“-Gelaber nachplappern, wissen offenbar nicht, was dieser politische Begriff eigentlich bedeutet. Und wenn sie meinen, man dürfe hier nicht alles sagen, dann verkennen sie völlig, wie es in Staaten zugeht, wo tatsächlich Menschen wegen ihrer politischen Meinung verfolgt werden, wo sie schon wegen einer kritischen Äußerung von Geheimpolizisten abgeführt werden können und erstmal verschwinden…
Aber hinter den Kulissen ziehen Leute die Strippen, die sehr wohl wissen, was für Unwahrheiten sie streuen. Es geht ihnen darum, Leute aufzuhetzen, Unruhe zu stiften, dem bestehenden und gut funktionierenden Staat die Legitimation zu entziehen. Dazu werden gern auch Begriffe falsch und irreführend verwendet.
Mit diesen Mitteln arbeiten z.B. auch die „Reichsbürger“, die die Behauptung streuen, die BRD habe keine Rechtsgrundlage, und daher bestehe das Deutsche Reich nach 1945 fort. Wozu soll dieser Unfug gut sein? Was in den Ohren informierter Menschen wie ein Gag klingt, soll bei wenig Informierten Verwirrung stiften und Zweifel an der demokratischen Ordnung sähen.
Denn darum geht es den „Reichsbürgern“ und verwandten Rechtsauslegern: Den ganzen Staat in Zweifel ziehen, und nicht etwa diesen im Ganzen funktionierenden Staat da verbessern, wo er nicht so gut funktioniert. *
Und genau deshalb darf unser Staat die Bildung, auch und gerade die politische, nicht vernachlässigen und schleifen lassen. Da müssten sich zumindest alle Demokraten völlig einig sein. Müssten.
Aber: Wir hatten leider in den letzten drei Jahrzehnten eine fatalen Hang zum Sparen in vielen Bundesländern, man glaubte, man könne neoliberales Wirtschaften auf die Institutionen und Verwaltungen übertragen, und man hielt das für eine Super-Idee, um die öffentlichen Haushalte zu sanieren oder Schulden abzubauen. Das hieß vor allem: am Personal sparen. Die Folge: In Polizei, Justiz, Schulen und öffentlichen Verwaltungen wurde Personal reduziert, und in den Chefetagen (erst in der Wirtschaft, dann auch in Politik und Verwaltung) glaubte man, es ginge auch mit weniger Leuten, die halt mehr arbeiten müssten (Stichwort: „Arbeitsverdichtung“).
Die negativen Folgen zeigten sich unübersehbar in den vergangenen Jahren: Es fehlt an Personal bei der Polizei, in der Justiz, in den Schulen, darunter leidet nicht nur die Qualität der Arbeit, Vieles bleibt auch zu lange unerledigt… Darunter leiden auch diejenigen Menschen, die ihre Arbeit gern gut machen würden, aber durch Überlastung daran gehindert werden. Wen wundert es, dass allgemein die Zahl der psychischen Erkrankungen in der Bevölkerung zugenommen hat? Das hat seine Ursache wenigstens z.T. an chronischer Überlastung vieler Menschen.
Es soll auch an falschen Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung gelegen haben: Die Bevölkerungszahl in Deutschland würde sinken, weil man ein weiteres Absinken der Geburtenzahl erwartete. Begeistert nahmen Sparkommissare das auf, der ungute Wettbewerb des Sparens am Personal nahm Fahrt auf. Doch statt zu sinken, stieg die Geburtenrate an. Und noch beim Anstieg der Flüchtlingszahlen im Jahr 2015, der die Verwaltungen in Bund und Ländern überrollte, steuerten viele Verantwortliche nicht um, sodass z.B. der Zusammenbruch der Arbeit in dem Bundesamt, das Asylanträge bearbeitete, vorprogrammiert war. Das war eine Katastrophe mit Ansage: Schon bevor die Zahlen stark anstiegen, schob man Berge von unbearbeiteten Anträgen vor sich her.
Ja, das mag Schnee von gestern, von vor fünf Jahren sein – aber es zeigt beispielhaft, wie lange Zeit stur an falsch orientiertem Sparen festgehalten wurde. Zusammengespartes Personal hält steigenden Belastungen eben noch weniger stand. Und in dieser Misere stecken wir jetzt.
Leider gilt das auch für medizinisches und Pflegepersonal in Krankenhäusern und Heimen. Hier wie an vielen anderen Stellen wurde gespart, weil die leitenden Personen rein betriebswirtschaftlich und nicht menschenbezogen denken. Tja, hier wie an anderen Stellen legt die Corona-Krise diese Mängel schonungslos offen.** Die Kacke dampft wegen der personellen Unterbesetzung, und die ist auch nicht hauruck mit ein paar Euros mehr zu beheben, weil nicht nur die Bezahlung der unteren Ränge verbessert werden, sondern neues Personal erstmal einige Jahre ausgebildet werden muss.
Wer jahrelang die Schwarze Null anbetet und sich Sparen aus Prinzip als tolle Leistung anrechnet, muss sich nicht wundern, dass es einen immensen Investitionsstau gibt – übrigens auch in der Infrastruktur, wie wir schon lange täglich sehen.
Was hat das mit politischer Bildung zu tun? Ganz einfach: Statt realitätsfernem Geschwafel sein Ohr zu leihen, sollten die BürgerInnen lieber erkennen, wo es wirklich hakt und wo Öl im Getriebe fehlt, um diesen Staat gut am Laufen zu halten. Und nicht vergessen: Dieser Staat ist für uns da, und nicht umgekehrt. Aber selbst das verstehen politisch Ungebildete falsch. Wie sonst erklären Sie sich, dass manche BürgerInnen die eh strapazierten Menschen in Polizeiuniform anpöbeln oder gar angreifen? Und ganz Blöde (tut mir leid, das so nennen zu müssen) greifen auch Feuerwehrleute und Rettungssanitäter an. Geht’s noch??
Da fehlt wohl ganz, ganz viel politische Bildung, und da sind offenbar einige Leute geistig nicht einmal in der Lage, den Staat und seine Institutionen zu begreifen. Da sind Leute überfordert, wenn sie sich vorstellen sollen, dass in der arbeitsteiligen Gesellschaft jede Tätigkeit und jeder Beruf einen Beitrag zum Gelingen des großen Ganzen leistet. Diese Überforderten sind nicht in der Lage, sich in dieses Gefüge gedanklich einzuordnen und ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Ein wenig mehr Bildung könnte da schon weiterhelfen.

W. R.

* „Den Staat“ an sich als Feindbild findet man auch bei einigen Linksauslegern, die Angriffe auf die Polizei als sportliche Übung praktizieren. Da ist der Begriff „Staat“ missverstanden worden: Staat bedeutet erst einmal nur, dass für das Zusammmenleben der Menschen innerhalb der Staatsgrenzen einige Dinge organisiert werden müssen (unabhängig von Ideologien oder politischen Systemen). Wer „den Staat“ ablehnt, soll bitte schön einmal erklären, wie er das Ganze ohne Staat organisieren will. Chaos ist keine Alternative. Seht Euch mal um in der Welt, es gibt für Vieles gute und auch schlechte Beispiele.

** Wenn medizinische Einrichtungen gewinnorientiert arbeiten, rückt das Wohl der Menschen (Patienten wie Personal) an die zweite Stelle. Da verdrängt das neoliberale Wirtschaften das Prinzip des hippokratischen Eides, und statt flächendeckender Versorgung der Bevölkerung rangeln die Betreiber um die lukrativen Standorte und Patientengruppen. Ein Beispiel:(3) „Standort bewusst ausgetrocknet“: Wenn das einzige Krankenhaus während Corona dichtmacht – Gesellschaft – Tagesspiegel Kohle machen statt Allen helfen, die Hilfe brauchen – das kommt dabei heraus. Wundert euch also nicht über die Mängel unseres hochgelobten Gesundheitssystems.

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Klopapier gegen Coronaviren?

OTRUF wählen, weil im Supermarkt das Klopapier alle ist. Geht’s noch? Ein Witz? Nein, so geschehen am letzten Wochenende in einem Kölner Stadtteil. Ist das Dummheit oder Unwissen? Oder ist das ein sicheres Symptom dafür, dass der Homo Sapiens zu degenerieren beginnt?
Wer hat denn so wenig Durchblick, dass er für solche Sachen den Notruf wählt, der nur für Fälle eingerichtet wurde, in denen es um Leib und Leben geht und schwere gesundheitliche Schäden verhindert werden sollen? Man denkt: Sowas weiß doch jede(r). Denkste!
Ebenso daneben ticken Leute, die Rettungssanitäter oder Feuerwehrleute anpöbeln und angreifen. Das ist auch mit Drogen (z.B. Alkohol) nicht zu entschuldigen, denn sowas sollte einfach tabu sein. Ist es ja auch für die Mehrheit der MitbürgerInnen. Aber wieso nimmt die Minderheit der Dummen und zugleich Gewalttätigen zu?
Vielleicht liegt es daran, dass der Trend zu mehr individueller Freiheit bei einigen Leuten den Irrtum auslöst, ohne Regeln und Einschränkungen funktioniere das Leben noch viel besser. Man erlebt das heutzutage öfter z.B. im Straßenverkehr, und zwar nicht nur bei Autofahrern. Man beobachtet vermehrt egoistisches Verhalten, gepaart mit rücksichtsloser Ellbogenmentalität.  Aber selbst bei eigentlich harmlosen Dingen wie Feiern schütten sich vor allem jüngere Menschen so mit Alkohol zu, dass sie desorientiert und bald besinnungslos, auf jeden Fall würdelos Unfug und Pöbeleien veranstalten. Ist das so toll, die Sau rauszulassen bei (vermeintlicher) Freiheit von Verantwortung?

Vielleicht ist es z.T. auch eine Folge des Jugendwahns: Unter Jungsein verstehen Viele nicht nur körperlich fit und gutaussehend sein, sondern auch mental unbeschwerter, spontaner, risikofreudiger und hemmungsloser (gern unter Drogeneinfluss) zu handeln. So laufen denn z.B. vermehrt ältere Menschen spontan über die Straße, ohne auf eine größere Lücke im Verkehr zu warten oder die paar Meter bis zum Zebrastreifen zu gehen. Bleibt man so länger jung, oder erhöht man so lediglich sein Unfallrisiko? Oder ist das der Mode geschuldet, spontanen Bauchentscheidungen zu folgen, ohne den Verstand zu beteiligen?

Es ist geradezu Realitätsverweigerung, wenn Menschen in der gegenwärtigen Corona-Krise alle Warnungen ignorieren, keine Sicherheitsabstände einhalten, sich sogar in Gruppen treffen; und da gibt es sogar welche, die glauben, sie müssten sich schnell infizieren, um dann auch schnell immun zu sein gegen erneute Ansteckung. Selbst schuld? Wenn es nur sie allein beträfe! Aber sie stecken Andere an, ehe sie überhaupt wissen, dass sie infiziert sind, und sie verursachen womöglich das vorzeitige Sterben von Älteren, mit denen sie in Kontakt kommen.

Und ganz egoistisch gesehen: Wer weiß denn, wie im Fall einer Infektion sein eigener Krankheitsverlauf sein wird? Wer auf die Vorsichtsregeln von Experten schon nicht hört, der weiß doch erst recht nicht, was bei einer Erkrankung auf ihn zukommt. Wer weiß denn, ob nur Menschen aus der „Risikogruppe“ der Alten und Vorerkrankten daran sterben können? Selbst die Virologen können derzeit keine sicheren Aussagen darüber machen, sie lernen das Virus erst kennen.

Es kursierte bei jungen Leuten einmal der Spruch: „No risk, no fun.“ Selten habe ich einen dümmeren Spruch gehört! Frau/man kann eine Menge Spaß und Lebensfreude genießen, ohne dabei gefährliche Risiken einzugehen. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten: Es macht Spaß und erfüllt eine/n mit großer Genugtuung, wenn frau/man besonnen und mit Verantwortung für sich und Andere handelt. Und dann kommt man auch nicht auf die Idee, Klopapier zu horten oder Experten-Ratschläge zu ignorieren.

W. R.

P.S.(1)  Wie schon oft, tauchen auch zu diesem Thema angebliche Experten auf und behaupten Dinge, die die Bevölkerung verwirren. Ein Lungenfacharzt geht derzeit damit hausieren, dass es gar keine gefährliche Pandemie gebe und das aktuelle Corona-Virus wie andere zuvor nur wieder ein Erkältungserreger sei. Dem widersprechen andere Wissenschaftler heftig: Das aktuelle Virus aus der großen Familie der Corona-Viren verhält sich anders als zuvor bekannte Viren dieser Gruppe.

Hatten wir nicht vor einiger Zeit schon mal einen Lungenfacharzt, der zu einem aktuellen Thema der allgemeinen Ansicht der Wissenschaft widersprach und sogar in mehreren Talkshows im Fernsehen auftrat? Als er dann massiv widerlegt wurde, hörte man nichts mehr von ihm. (Da ging es um Grenzwerte beim Schadstoff-Ausstoß von Diesel-Fahrzeugen.)

Inzwischen ist es aber offenbar noch leichter, Falschmeldungen im Internet zu streuen und Verwirrung zu stiften. Ich sag jetzt mal: Dahinter steckt eine Verschwörung, um unseren Staat zu destabilisieren. Wie das? Ganz klar: Da treten Leute auf, die sich mit konträren Thesen wichtig machen wollen, ferner agieren da Leute aus dem „Flügel“, „Reichsbürger“, diverse rechtsradikale Kampfgruppen, Putins Trollfabriken, und Hobby-Unruhestifter, um das Vertrauen in unsere Regierung und die Institutionen zu untergraben — damit es zu Chaos kommt, das bewaffnete Hitler-Fans nutzen wollen, um ihren „Tag X“ ausrufen und die Macht zu ergreifen (wovon sie unentwegt träumen).

Und ich vergaß zu erwähnen: Die Corona-Pandemie ist eine Erfindung der US-Demokraten (sagte Donald Trump), schließlich war die Klimakatastrophe (laut Trump) ja auch eine Erfindung der Chinesen oder ist zumindest maßlos übertrieben. Und ich sage Euch: Gegen Corona-Infektion hilft Unmengen Cola saufen (weil ich gerade ein Aktienpaket von denen gekauft habe), und… Wollt Ihr noch mehr Unsinn lesen und glauben? Dann „informiert“ Ihr Euch am besten gleich bei Fox News (Trumps Lieblingskanal) und bei RT (von Putin finanziert).

Nachtrag dazu: Wer sich eine ganze Palette von verqueren bis abstrusen Wortmeldungen zum Thema Corona antun möchte, klicke diesen Link an: (5) Verschwörungstheorien zum Coronavirus: Die Schäbigen, die Tödlichen und die Saudummen – Reportageseite – Tagesspiegel  Und versucht nicht, mit Anhängern von Verschwörungs-„theorien“ zu diskutieren! Wollt Ihr Leuten mit Fakten kommen, die unbedingt an fantastischen Schwachsinn glauben wollen? Da tut’s auch der Glaube an den Weihnachtsmann: Kann man den sachlich widerlegen?

P.S.(2)  In den Medien fragen manche Journalisten, ob und wie lange sich die Leute gefallen lassen, dass ihre persönlichen Freiheiten, ihre Grundrechte eingeschränkt werden. Hallo? Will da jemand die Menschen zur Unvernunft aufwiegeln? Es ist doch zuallererst meine persönliche Freiheit, nach meinem eigenen gesunden Menschenverstand zu handeln und deshalb den Empfehlungen der kompetenten Gesundheitsexperten zu folgen! Das schränkt meine Freiheit überhaupt nicht ein, weil ich das tue, was ich tun will — nämlich meine Gesundheit schützen, so gut es geht nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Wer dagegen opponiert, ist entweder nicht ganz bei Trost, oder ist sowieso gegen alles, nach dem pubertären Motto: Ich lasse mir von niemandem vorschreiben, was ich zu tun habe. Deshalb schlage ich auch gute Ratschläge in den Wind – aus Trotz, nicht aus besserem Wissen.

Pubertär oder kindisch, jedenfalls hat Trump mit dem anfänglichen Abwiegeln ein Eigentor geschossen. Und dem Land geschadet. Die hochfliegenden Börsenkurse und eine gute Wirtschaftslage, die er seiner „fantastischen“ Politik gutschrieb, sind dahin, dunkle Wolken verdüstern damit auch die Aussichten auf seine Wiederwahl…