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Aber wozu?

Fanatismus und Terror wie im Mittelalter, das ist anscheinend das Wunschziel vieler „moderner“ Terroristen. Ob Christchurch (Neuseeland) im März oder Sri Lanka im April 2019, die Mordanschläge zeigen uns, wie die schlimmsten Mörderbanden ticken. Es gibt immer einen Grund zu morden, es kommt ihnen gar nicht darauf an, warum, und gegen wen sich ihre Bomben und automatischen Waffen richten. Hauptsache: Viel Kawumm erzeugen, viel Leid anrichten, großes Medien-Aufsehen erreichen. Toll, gelungen!
Aber wozu? Das ist Nebensache, auch wenn sie behaupten, es ginge ihnen um eine Sache, eine wichtige. Blutige Anschläge sind nie eine positive Reklame für eine Sache. Einziges Resultat: Sie setzen eine Spirale von Gewalt und Gegengewalt in Gang, befeuert von Rachegedanken — eine Steinzeit-Logik, die nicht in unsere Zeit passt.

An ihren Taten sollt ihr sie erkennen: Unfähig zu Aussprache und Versöhnung, kennen sie nur eine Fortsetzung der Gewalt. So auch die jüngste „Heldentat“ einer kleinen Gruppe namens Neue IRA, die in Nordirland wieder Bürgerkrieg herbeiwünscht und bei ihrer Aktion eine junge Journalistin erschießt, die nichts weiter tat als ihren Job zu machen. Diese Narren! Sie verstehen nicht, dass die Bevölkerung weder Krieg noch Bürgerkrieg wünscht, sie verirren sich in ihren krausen Gedanken zu der Illusion, eine „Propaganga der Tat“ würde ihnen Sympathien gewinnen und neue Anhänger zuführen. Ein Blick in die Geschichte lehrt, dass meist das Gegenteil eintritt: Mit Gewalttaten verscherzen sich Terroristen die Sympathie, die vielleicht bei einem Teil der Bevölkerung für ihre politischen Ziele bestand. Das lernen hoffentlich auch die Extremisten, die sich derzeit unter die Gelbwesten in Frankreich gemischt haben.

Anscheinend funktioniert es beim Homo Sapiens meist so: Je mehr Gewaltbereitschaft er entwickelt, umso weniger ist er fähig, kluge politische Konzepte zu denken, und noch weniger, sie mit kühlem Kopf umzusetzen. Was folgt daraus?

S. R.

Gewalt verstehen?

IMG_5949Was ist los in Europa, in der Welt? Sind es nur die Sensationsnachrichten, die dieses Bild vermitteln, oder nimmt die Bereitschaft zur Gewalttätigkeit unter den Menschen wirklich zu?
Man  gewinnt den Eindruck: Jeder durchgeknallte Wirrkopf glaubt inzwischen, er könne seine Aggressivität willkürlich an irgendwem abreagieren, und jeder Versager versucht mit einer Gewalttat in den Medien groß rauszukommen, und weil es mehr Beachtung bringt, bekennt er sich zu irgendeiner Terror-Ideologie.
Es sind gar keine politischen oder religiösen Motive, die die meisten Terror-Mordtaten auslösen, es sind vielmehr emotional gestörte Seelen, die ihre Gefühle nicht mehr kontrollieren können und ein beliebiges Objekt suchen, um sich abzureagieren.
Die meisten der in den Medien als Aufreger gemeldeten Gewalttaten haben einen gemeinsamen Hintergrund, egal ob es diese Einzeltäter-Attentate oder jene Gruppengewalt von Hooligans ist. Es sind kranke Seelen, oft von erlittener Gewalt geprägt, die von der Vorstellung beherrscht werden, ihr Dasein habe den einzigen Zweck, ihre angestaute Aggressivität in Gewalt zu entladen, koste es, was es wolle.
Hooligans bestärken und befeuern ihre Idee in der Gruppe und mit Alkohol (der bekanntlich enthemmt), politische oder religiöse Fanatiker heizen ihre Menschenfeindlichkeit oft im Internet auf, wo sie sich, wie wir hören, radikalisieren, d.h. wo sie eine passende Ideologie für ihre Gewaltbereitschaft finden, sodass sie bald selbst glauben, im Namen einer höheren Sache zu handeln. Das gibt dem Mörder ein besonderes Hochgefühl: Ich lande im Paradies, oder wenigstens für kurze Zeit im Focus der medialen Aufmerksamkeit – was für ein Höhepunkt, was für ein spektakulärer Abgang!
Ursprung dieser Gewaltbereitschaft ist eine aus persönlichen Kränkungen und Ohnmachtserfahrungen geborene Zerstörung ihres Glaubens an das Gute in der Welt, ein aus persönlicher Versagenserfahrung und Hoffnungslosigkeit gezeugter Glaube an die Verderbtheit der sie umgebenden Gesellschaft bzw. der Welt überhaupt — woraus die Folgerung gezogen wird, es sei eh alles egal, und es spiele keine Rolle mehr, wen und wieviele es treffe.
So sammelt sich ein Hass an, der nur noch danach trachtet, loszuschlagen und möglichst Vielen viel Leid zuzufügen. Der aus Versagensgefühlen geborene Selbsthass lässt dabei jede Rücksicht auf das eigene Leben vergessen — und fertig ist der ideale Selbstmordattentäter.
Wer sich mit den politischen oder religiösen Deklamationen in Bekennerschreiben etc. aufhält, sieht also am entscheidenden Tatmotiv vorbei. Da hilft kein „Verständnis“ für die (angeblichen) Motive der Mörder oder Terroristen, denn damit versteht man nicht wirklich, was solche Täter antreibt. Und damit versteht man auch nicht, warum noch lange nicht jeder zum Gewalttäter und Amokläufer wird, der sich gegen Unrecht ausspricht und auflehnt.
Man kann auch nicht mit einem Hooligan über angeblich ungerechtes Vorgehen der Polizei diskutieren, wenn der doch ohnehin in eine Gewalt-Kultur hineingewachsen ist und gerne Gewalt-Eskalationen provoziert. Es gibt Milieus, wo Gewalt die erste Wahl als Problemlösung ist, es gibt Kreise, in denen Gewalttaten gefeiert und die Täter aus den eigenen Reihen zu Helden gemacht werden. Das muss man nüchtern zur Kenntnis nehmen, auch wenn man selbst solchen Kreisen fern steht.

Kann man Gewalt verstehen? Ja, man kann im Einzelfall ihre Ursache verstehen, aber: verstehen bedeutet noch lange nicht entschuldigen und verzeihen. Und auf gar keinen Fall: tolerieren.

Wer zu Gewalttätigkeit neigt, möchte trotzdem moralisch in gutem Licht erscheinen, und Menschen finden meist Gründe, Vorwände oder Ausreden, um ihr Handeln (zumindest vor sich selbst) zu rechtfertigen. Gewaltbereite Menschen legen sich eine Begründung zurecht, die z.B. auf der Grundannahme IMG_5950fußt, die Welt sei nun mal von ständigem Kampf bestimmt, es gelte das Recht des Stärkeren, und man müsse sich ständig mit Gewalt durchsetzen. Darauf fußt auch die Weltanschauung von Faschisten: Sie meinen, Gesprächsbereitschaft und Kompromisse seien etwas für Schwächlinge. Daher verachten sie Demokratie und Völkerverständigung, setzen vielmehr auf Machteroberung und Machtpolitik, und — einmal an der Macht — planen sie Krieg gegen andere Völker… einfach aus Prinzip, denn Frieden langweilt sie.

Auch heute gibt es Menschen, die in pubertären und spätpubertären Machtfantasien z.B. an die nationalsozialistische Ideologie anknüpfen — oder sich von Propaganda des Terror-Machtapparates IS beeindrucken und faszinieren lassen. Wer charakterlich nicht so gefestigt ist,  wer die Identifikation mit Machokultur und großspurige Machtdemonstration braucht, um sich nicht als unsicheres Würstchen zu fühlen, der schließt sich leicht solchen Gruppen oder Organisationen an, fühlt sich als Teil von etwas Größerem, Höherem, und wird dabei meist unmerklich zum Werkzeug fremder Interessen.

Manchmal sind es die einfachen Erklärungen einer komplizierten Welt, gepaart mit emotionalen Parolen und der Nestwärme in der Gruppe oder Masse, die eine unwiderstehliche Anziehung auf verunsicherte, verstörte Geister und Gemüter ausüben. In wohliger Übereinstimmung mit der Masse lassen sich die zuvor friedlichen Mitläufer zu Ausschreitungen hinreißen, für die sie allein nicht die Traute hätten. Man braucht Beispiele nicht in der Geschichte zu suchen, die Gegenwart bietet dafür genug Anschauung.*

Gewalttätigkeit lässt sich schwer aus der Welt schaffen, wenn Menschen schon als Kinder in einem gewaltbereiten Umfeld aufwachsen, wenn sie Gewalt als natürliche Begleiterscheinung ihres Lebens akzeptiert haben, wenn sie nicht gelernt haben, Konflikte auch durch Gespräch, Kompromiss und Interessenausgleich zu lösen. Was in Familie und Gesellschaft für friedliche 10eKonfliktlösungen sorgt, kann und muss auch zwischen Staaten funktionieren. Die Geschichte Europas sollte doch 26bAbschreckung genug sein: Sie zeigt, welche Folgen es haben kann, wenn man lieber auf nationalistische Überheblichkeit, Größenwahn, Gewalt und militärische Macht setzt: Das Ding entwickelt eine unheilvolle Eigendynamik, und am Schluss fährt die größte Ernte der Sensenmann ein.

Leider lernen andere Regionen und Kontinente nicht aus unserer Geschichte, z.B. aktuell in Syrien: Der dortige Krieg, der das Land ruiniert, erinnert an den unsäglichen Dreißigjährigen Krieg in Europa (1618-48), dessen Schauplatz hauptsächlich Deutschland war. Damals mischten mehrere ausländische Mächte mit und griffen in ihrem eigenen Interesse in den Krieg ein — ohne Rücksicht auf die Bevölkerung. Lest die Folgen nach in den Geschichtsbüchern!

W. R., im Juli 2016

* Nach Ortega y Gasset gibt es eine typische Charakterstruktur, die den Menschen zum Element der Masse macht und ihn bewegt, seine Individualität aufzugeben; er schwimmt gern in der Masse, wo er scheinbar als Mitläufer keine Verantwortung hat, sich aber immer in der Masse geborgen fühlt. „Masse“ wird hier zum Kennzeichen auch des Einzelnen, der nicht individuell denken, fühlen, beurteilen und entscheiden will, sondern sich meist der Herde anschließt.

Menschen treten (egal in welcher Anzahl) als „Masse“ auf, wenn sie z.B. einem Verkehrsunfall, einer Vergewaltigung in der Fußgängerzone, einer Schlägerei gaffend zuschauen, ohne selbst in irgendeiner Weise helfend einzugreifen, ohne die Polizei zu rufen, ohne den Rettungskräften Platz zu machen, etc.

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Köln-Notizen 3/2016

50„Deutsche Männer können nicht mehr prügeln.“ So ist eine dpa-Meldung im Kölner Stadt-Anzeiger vom 21./22.5.2016 übertitelt. Nanu! Was heißt das denn?
Der Gewaltforscher J. Barberowski wird dort mit der o.g. These zitiert, die er am Beispiel der „Kölner Siivesternacht“ veranschaulicht sieht: Diese Vorgänge (>Köln-Notizen 1/2016) ließen erkennen, dass deutsche Männer ihre Frauen nicht gegen Übergriffe verteidigt hätten – weil „Männer in Deutschland gar nicht mehr wissen, wie man mit Gewalt umgeht.“ Und er meint: „Gott sei Dank.“ Deutsche Männer vertrauen auf den Staat, auch in einer Situation wie in der Silvesternacht. Sie erwarten, dass der Staat aber sein Gewaltmonopol auch wahrnimmt (was bekanntlich in jener Nacht in Köln nicht funktionierte, warum auch immer).
Es ist in der Tat ein Fortschritt, wenn in einem zivilisierten Land die Bürger friedlich zusammenleben und nicht wie im Wilden Westen zu Selbst- und Lynchjustiz greifen. Es ist ein weiterer Fortschritt, wenn die Bürger auch in privaten Auseinandersetzungen nicht gewalttätig werden, wenn sie sich im Griff haben, wenn sie nicht Frust oder schlechte Laune aggressiv an Schwächeren auslassen.
In patriarchalischen, männerdominierten Gesellschaften sieht man oft etwas Anderes: Männer dürfen zu Gewalt greifen, „weil sie nun mal so sind“, sie dürfen auch mal eine Frau vergewaltigen, „weil es mit ihnen durchging“ oder die Frau sie angeblich gereizt hat, usw. In solchen Gesellschaften wird üblicherweise der Mann entschuldigt und das Opfer für erlittene Übergriffe verantwortlich gemacht.
Deutsche Männer haben dazugelernt, und das nicht nur wegen Fortschritten in der Emanzipation der Frauen. Vielmehr ist es ein wichtiges Element demokratischer Gesinnung, Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung zu ächten und nur in Notwehr anzuwenden.
In einer gelebten Demokratie gibt es Regeln, die eine friedliche Diskussion und Auseinandersetzung ermöglichen. Und wer sich ungerecht behandelt sieht, kann sich beschweren oder Gerichte anrufen.

Hinzu kommt ein gesellschaftlicher Wandel: In der Wirtschaft werden immer weniger Muskelmänner benötigt, aber immer mehr Menschen mit Grips und Nerven, um mit der Digitalisierung der Arbeitswelt und der weitgehend automatisierten Produktion umzugehen. Diese Entwicklung findet schon seit Jahrzehnten statt und ist in den Industrieländern weit fortgeschritten. Trotzdem hinken einige Menschen mental dieser Entwicklung hinterher, z.B. in ihrer Auffassung von den Geschechterrollen. Das trifft umso mehr auf Migranten aus Ländern zu, wo dieser Wandel erst in Gang kommt oder noch gar nicht stattgefunden hat. Für Machos aus solchen Ländern muss es ein Kulturschock sein, dass in unserer Gesellschaft ein Mann nicht automatisch mehr gilt als eine Frau, und dass Männlichkeit hier nicht primär durch Muskeln und Gewaltbereitschaft gezeigt wird. Auch dürfte vielen von ihnen neu sein, dass sexuelle Übergriffe auf Frauen hier Empörung auslösen und nicht hingenommen werden. Ich möchte an dieser Stelle kein bestimmtes Herkunftsland als Beispiel nennen, vielmehr zu bedenken geben, dass es auch immer noch deutsche Männer gibt, die mental mindestens ein halbes Jahrhundert zurückliegen und sich die alten Macho-Zeiten zurückwünschen (weil sie sich nicht anpassen wollen). Im Klartext: Da schlummern immer noch latente Gewaltbereitschaft und Machtgelüste. Denn bei den sexuellen Übergriffen geht es nicht um Sex, sondern um Machtausübung. Dabei suchen sich schwache Männer noch schwächere Menschen aus, um sich einmal überlegen zu fühlen. Die psychologische Seite ist ziemlich klar und durchsichtig.

Die oben benannte Entwicklung in der Wirtschaft fordert von immer mehr Beschäftigten, dass sie teamfähig sind, und besonders von Personen in leitenden Funktionen, dass sie über „soft skills“ verfügen. Das heißt, man erwartet von diesen Arbeitnehmern Fähigkeiten im Umgang mit Menschen, man erwartet Kommunikationsbereitschaft und flexibles Eingehen auf Probleme und Konflikte mit oder unter MitarbeiterInnen. Man fasst das unter dem Begriff „soziale Kompetenzen“ zusammen.

Der Chef „alter Schule“, der kommandiert und den Chef ‚raushängen lässt, ist out. Man liest sogar in einschlägigen Zeitungsartikeln, dass Probleme in den Betrieben oft hausgemacht sind und vom Führungspersonal verursacht werden, wenn es z.B. um mangelnde Motivation und hohe Krankenstände in der Belegschaft geht.

Die Unterhaltungsindustrie, speziell die Filmproduktion, bedient immer noch reichlich das nostalgische Interesse an der guten(?) alten Zeit, als (angeblich) Männer noch Männer waren, und sie versucht, in vielen Filmen moderne Helden oder Supermänner zu kreieren, die mit modernster Technik, vor allem Waffentechnik, umgehen, in ihrem Handeln aber von antiquierten Vorstellungen und Idealen geleitet werden. Das gilt besonders für viele Computerspiele. Bedenklich wird es, wenn solche Film- oder Ballerspiel-Helden jungen Männern als Identifikationsfiguren dienen, noch bedenklicher, wenn das ihre aus Frust und Unsicherheit geborene Gewaltbereitschaft verstärkt, wenn sie zunehmend Gewalt als „normales“ Mittel der Auseinandersetzung verstehen und Gelegenheiten suchen, wo ihnen Gewalttätigkeit Bestätigung und Männlichkeit zu geben scheint.

Wir brauchen hier nicht erst auf die Krawalle von Hooligans bei Fußballspielen zu verweisen. Aggressivität kann sich, besonders unter Alkoholeinfluss, überall Bahn brechen. Das lässt sich nicht ganz aus der Welt schaffen. Aber wir sollten entschieden dem Eindruck entgegentreten, dass Gewalttätigkeit toleriert werden könnte. Und wir sollten entschieden widersprechen, wenn gewalttätige Menschen ihr Verhalten als normal bezeichnen, sich gar als Vorbilder hinstellen. Es ist in der Tat nicht schlimm, wenn deutsche Männer nicht mehr prügeln können, wie es in der oben zitierten Meldung hieß. Es muss aber klar sein, dass im Zweifel Polizei etc. das Gewaltmonopol haben und, wenn nötig, auch ausüben.  Der Schutz der Bevölkerung vor Gewalt und sonstiger Kriminalität ist eine staatliche Aufgabe.

Und es muss klar sein, dass in unserer Gesellschaft keine Unterdrückung toleriert wird, weder im privaten Bereich noch im öffentlichen.

W. R.

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