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Illusionen

HABT Ihr etwa geglaubt, die wegen ihres tapferen Widerstandes vielgelobten Ukrainer würden die Russen schon in Schach halten, ohne dass Ihr massive militärische Hilfe leistet? Ohne dass Ihr die hierzulande vieldiskutierten „schweren Waffen“ liefert?

Wer bitte soll denn den über eine Million zu uns geflohenen Ukrainern den Weg zurück in die Heimat eröffnen? Habt Ihr vergessen, dass die zurückkehren wollen (in ein nicht von Putin beherrschtes Land)?

Wer bitte soll die russische Seeblockade an der Küste der Ukraine brechen, um den Weizen dahin zu exportieren, wo Hungerkatastrophen drohen? Mit welchen Waffen sollen die ukrainischen Soldaten das schaffen?

Macht Ihr Euch immer noch Illusionen darüber, dass Ihr mit Putin über all das verhandeln könntet? Oder hofft Ihr etwa, dass in der russischen Bevölkerung ein breiter Widerstand gegen Putins Regime losbrechen werde? Putin hat sie mit Propaganda und Geheimpolizei fest genug im Griff. Wer Putin und seinen Krieg kritisch sieht, verlässt, wenn möglich, das Land, um an sicherem Ort auf die Zeit nach Putin zu warten.

Statt Euch närrischen Hoffnungen hinzugeben, schickt endlich den Ukrainern die verdammten Panzerhaubitzen und Schützenpanzer und ziert Euch nicht länger (zum Gespött von Putin). Und wer hier vor Eskalation durch Waffenlieferungen warnt, hat doch eher den Schuss nicht gehört: Eskalation droht, ja, aber ganz anders, nämlich indem ein Putin, der weitere Teile der Ukraine schluckt, das als großen Sieg verkauft und die nächsten Eroberungen ins Auge fasst. Putins Denken richtet sich auf ein erneuertes Großrussisches Reich, das hat er selbst bekannt gemacht.

Verhandeln mit Putin — worüber? Wenn Ihr von Verhandlungen auf Augenhöhe oder mit Druckmitteln gegen Putin träumt, dann besetzt doch Kaliningrad mit der russischen Exklave und fordert, dass das an Deutschland, Polen oder sonst wen herausgegeben wird. So oder ähnlich würde es Putin an Eurer Stelle machen. Oder weigert Ihr Euch weiterhin zu sehen, mit wem Ihr es zu tun habt? Illusionen kosten weiterhin täglich Menschenleben.

Ja, liebe Leute, natürlich sollte „die hohe Kunst der Diplomatie“ zum Zuge kommen statt Waffengewalt. Aber sollen sich Scholz, Macron und andere westliche Politiker wieder — wie vor dem 24.2. — von Putin an einen (gefühlt) kilometerlangen Tisch setzen lassen, um ihm die Bühne für eine weitere Machtdemonstration zu bieten?

Wer bitte hätte sich denn nach den Erfahrungen von 1938/39 mit Hitler noch an einen Tisch setzen wollen? Niemand, nachdem er Zusagen am Konferenztisch (Münchner Abkommen) wie in öffentlichen Proklamationen (keine weiteren Gebietsforderungen) nicht eingehalten hatte. Im Prinzip hat Putin dieselbe Sicht wie damals Hitler auf die westlichen Demokatien: schwach, verweichlicht, uneins.

Was folgt daraus? Mit einem Autokraten oder Diktator verhandelt man aus einer Position der Stärke heraus, nicht aus einer unterlegenen, um Frieden bettelnden. Daran müssen wir uns in dieser Lage leider erinnern. Schöner wäre, die Lage wäre eine andere. Ist sie aber nicht.

W. R.

Nachtrag am 04.06.2022: Es gibt immer noch Stimmen, die indirekt oder explizit Verständnis für Putin fordern. Und Schlagzeilen in verschiedenen Medien von heute berichten, dass Frankreichs Präsident Macron davor warnt, Putin zu demütigen. Hä? Was soll das denn heißen? Sollen wir leise treten und Putin bloß nicht verärgern, sollen wir die Waffenlieferungen an die Ukraine einstellen, die Sanktionen gegen Russland fallen lassen? Was läuft da hinter den Kulissen?

Leute, denkt mal ein Stück weiter: Was soll nach dem Ende der Kämpfe passieren? Ihr, die Ihr in unzerstörten Wohnungen auf dem Sofa sitzt und über die Ukraine redet, solltet zuerst die betroffenen Menschen fragen, die den Krieg in der Ukraine ertragen müssen, und die Millionen, die vor dem Krieg geflohen sind und in Polen, Tschechien, Deutschland und anderswo auf Koffern sitzen und in die Heimat zurückkehren wollen, aber in eine Heimat, wo sich das Leben und ein Wiederaufbau lohnt.

Wir hier in Deutschland sind auf jeden Fall mit viel Geld dabei. Oder glaubt Ihr an den Weihnachtsmann, einen Putin mit Rauschebart, der zu den Kindern in die Ukraine reist und großzügig Wiederaufbauhilfe leistet für all das, was seine Truppen zerstört haben? Vom reinen moralischen Prinzip her gesehen, wäre Putin dazu verpflichtet, besonders nach all den Bomben und Raketen auf Wohngebiete, Krankenhäuser, etc. Aber moralisch hätte der Krieg auch gar nicht stattfinden dürfen — daran muss man alle erinnern, das ist nicht nur Pazifisten klar, sondern auch Kennern des Völkerrechts sowie allen einigermaßen politisch Gebildeten.

Und denkt auch an die Langzeitfolgen: Das Verhältnis zwischen Ukrainern und Russen ist durch diesen Krieg nachhaltig schwer belastet, wahrscheinlich über Generationen hinweg. Wer nur fordert, die russische Armee solle hinter den Stand vom 24.02.2022 zurückgehen, und alles wäre gut, der verkennt in naiver Weise, dass damit noch keine Wunden geheilt wären, weder körperliche noch seelische. Und die weltpolitische Lage wäre auch dann nicht dieselbe wie vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine.

Wer meint, man könne die Ukraine ihrem Schicksal überlassen, um Putin nicht zu verärgern, oder um sich wieder anderen Themen zu widmen und diesen Krieg möglichst zu vergessen, der ist fahrlässig naiv: Der Untergang der Ukraine als Staat hätte weitreichende politische Folgen, z.B. wären ähnliche Kriege anderer Machthaber damit dann auch toleriert und hoffähig, der Krieg als Mittel der Politik würde fröhliche Urständ‘ feiern, und die Welt würde ganz offiziell mit Putin ins 18. Jahrhundert zurück marschieren. Am Ende gäbe es keine internationalen Vereinbarungen mehr, die irgendjemand noch einhalten wollte.*

Darum, muss ich leider sagen, ist rigoroser Pazifismus keine Option. Ebenso ist aber auch Leisetreterei gegenüber Autokraten keine gute Idee, egal, ob sie Orban, Erdogan oder sonstwie heißen (Ihr könnt die Liste sicher selbst um ein paar Namen verlängern). Und im Zweifel muss man sich wirklich entscheiden: gute Geschäfte und Wirtschaftsbeziehungen — oder eine einigermaßen moralisch vertretbare Politik. Wir sehen gegenwärtig Fälle, in denen diese Wahl ansteht.

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* Das kann niemand hierzulande wollen — erst recht nicht angesichts unserer viele Jahre lang vernachlässigten Bundeswehr! Deutschland würde (ohne Nato-Beistand) zum Spielball von Militärmächten — und müsste eine Schweizergarde zukaufen, um sich einigermaßen verteidigen zu können. —

Ergänzung am 07.06.2022 zur Frage: Wie geht es weiter? > Ukraine-Krieg: Noch einer von Wladimir Putins endlosen Kriegen, die in Vergessenheit geraten – DER SPIEGEL

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Terror und Verrat

Kiew, Mariupol … bombardiert, mit Raketen beschossen ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung, das sind nur Ausschnitte aus dem Bild von Putins Krieg. Wir wussten es schon aus seinen früheren „Spezialoperationen“: Spezial daran ist die unerbittliche Grausamkeit gegen die Bevölkerung, ein Terrorbombardement, das nicht so sehr militärischen Zielen im eigentlichen Sinn dient, sondern eher der Demoralisierung und Zermürbung.

Wir erwähnten bereits, dass es viele Parallelen zwischen Hitlers Vorgehen von 1938 und Putins Vorgehen 2022 gibt. Inzwischen müssen wir auch sehen, wie die Zerstörung von Warschau 1939 dem ähnlich sieht, was Putin in den Städten der Ukraine anrichtet, derzeit extrem in Mariupol. Dem Kriegsherrn geht es darum, größtmöglichen Schrecken zu verbreiten; er will den Krieg dadurch beenden, dass er die Gegenseite mit Grausamkeit schockiert und zum Aufgeben zwingt.

Mit Putin verhandeln? Sinnlos. Er verhandelt nicht, er will die Ukraine plattmachen und unterwerfen. Nichts weniger!
Wer will, wer kann das Monster stoppen? Hitler wurde erst durch einen Krieg mit vielen Opfern niedergerungen, davor schreckt der Westen zurück — und Putin kalkuliert das eiskalt ein, der alte Geheimdienst-Zyniker. Was glaubt Ihr denn, mit wem Ihr es hier zu tun habt?
Neulich hörte ich jemanden am Tresen beim Bier sagen: „Wo sind die Attentäter, wenn man sie mal braucht?“ Nur: Im Falle Hitlers klappte auch das nicht, mehrere Anläufe schlugen fehl, und Deutschland musste das Unglück des Krieges bis zum Ende auskosten. Wie also stoppt man einen regierenden Verbrecher?
Doch immer noch gibt es hierzulande Leute, die sich weiterhin für Putin einsetzen und seiner Propaganda folgen. Der Mann am Tresen redete sich in Rage und meinte dazu: „Sind die noch bei Trost? Oder wollen die sich quasi als Landesverräter profilieren? Soll der Westen schuld daran sein, dass Russland von einem Verbrecher kontrolliert wird? Wie blödsinnig ist das denn?“

Was soll man da antworten? Jetzt Putin zu unterstützen erscheint mir auf jeden Fall als Verrat an der Menschlichkeit.

W. R.

Nachtrag am 15.03.2022: Ich sehe keinen Sinn darin, ständig zu fragen: Was geht in Putins Kopf vor, was will er? Wichtiger ist die Frage: Wie verbaut man ihm die Wege zu weiterer Eskalation, und wie bringt man ihn und seine Unterstützer dazu, den Krieg zu beenden?

Die Stadt Mariupol ist ein Beispiel für Putins Vorgehen: Egal, ob alles zerstört wird, egal, ob die Zivilbevölkerung zu großen Teilen umkommt, es geht allein um das Territorium. Die Menschen sind Verfügungsmasse. Schon früher in der russischen Geschichte (die Putin bekanntlich eifrig studiert hat) gab es Umsiedlungen großen Stils, so ist die russischsprachige Bevölkerung in Teilen der Ukraine durch gezielte Ansiedlung schon zu Zeiten der Zarin Katharina entstanden. Die Krim ist so auch „russisch“ geworden (Nach Putin war sie das „schon immer“). Andere Kriegsherren (z.B. in Ex-Jugoslawien) haben zum Mittel „ethnischer Säuberungen“ gegriffen, d.h. die ansässige Bevölkerung vertrieben und eigene Leute angesiedelt, um dann zu behaupten: Das ist unser Territorium, weil da flächendeckend unsere Leute wohnen.

Man frage also nicht: Was hat Putin vor? Man schaue auf seine Taten. Damit kann man voraussagen: Putin will auf jeden Fall weiteres ukrainisches Territorium zu Russland schlagen und statt der geflohenen und umgekommenen Ukrainer dort Russen ansiedeln. Um die Geflohenen sollen sich Andere kümmern, das interessiert Putin überhaupt nicht. Falls er den Krieg nicht mit einem totalen Sieg beenden kann, will er eine möglichst schwache Ukraine. Und wenn er die Gelegenheit für günstig hält, greift er auch zu anderen Nachbargebieten… Macht Euch da nichts vor! Lest im Zweifel das, was er selbst veröffentlicht hat.

Nachtrag am 16.03.2022: Gutachten des Rechtswissenschaftlers Luchterhandt: „Russland begeht in Mariupol Völkermord“ – Politik – Tagesspiegel

Nach einem Monat Krieg in der Ukraine (25.03.): Eine Einschätzung >Angriffskrieg und Kriegsverbrechen: Der Westen muss den Preis für Putin erhöhen – Politik – Tagesspiegel

Grundsätzlich kann man nur sagen: 1. Die offizielle Politik Russlands ist nacktes Gangstertum. 2. Die Russland-/Putinversteher im Westen sind für Putin „nützliche Idioten“. 3. Die Bevölkerung Russlands ist wie die anderer Staaten keineswegs für Krieg, und gerade die historischen Verweise Putins müssten jedem denkenden Menschen klarmachen, dass Putins Vorstellungen auf Eroberungskrieg und „Verheizen“ von Soldaten wie Zivilbevölkerung hinauslaufen, aber nicht auf ein besseres Leben für die Bevölkerung (Bonzen ausgenommen!).

Wenn Manche hier meinten, man sollte doch erst einmal auf russische Befindlichkeiten Rücksicht nehmen, dann fehlte da die Einsicht, dass es darum schon lange nicht mehr geht, sondern in Putins Sicht um Rückeroberung ehemals russischer oder sowjetischer Territorien. Dabei ist Putin jedes Mittel recht. Das hat er in Syrien, wo er aus machtpolitischen Gründen den äußerst blutigen Diktator Assad unterstützte, gnadenlos vorgeführt. (Wer das für Übertreibung hält, ist schlecht informiert!).

Apropos Befindlichkeiten: Wer fragt denn nach den Befindlichkeiten in Russlands Nachbarstaaten? Dazu ein Beispiel >Ideologisch geschlossen: Sofi Oksanen über Putins Diktatur. – Kultur – SZ.de Ich habe den Eindruck, dass man die Warnungen aus Russlands westlichen Nachbarstaaten vor Putin hier deshalb nicht ernst genommen hat, weil man dachte: Die haben sowieso immer Angst vor dem mächtigen Nachbarn, darauf müssen wir nicht hören. Außerdem wissen wir mit Russland umzugehen… („Wandel durch Handel“, und so).

Und zu guter Letzt noch ein Wort zu den Pazifisten: Den Frieden zu erhalten und zu fördern muss Ziel aller Politik und aller vernünftigen Menschen sein. Selbstverständlich! Doch wenn die Lage so ist, dass Krieg herrscht und Gewalt, dann helfen keine Appelle und Beschwichtigungen in Richtung der Gewalttäter mehr, dann muss sich der Focus auf die Frage richten: Wie stoppt man wirksam die Gewalt?

Ich sage nur: Mariupol. Schaut auf diese Stadt!

Krieg und Gewalt im Vorfeld zu verhindern heißt, schon der Denkweise von Faschisten* und egoistischen Ignoranten entgegenzutreten. Nun sitzt im Kreml ein Faschist, der sein hochgerüstetes Militär einsetzen will, um Großreichträume zu realisieren, die sich an vergangenen Jahrhunderten orientieren. Da will jemand alle mühsam errungenen und verhandelten Regeln und Übereinkünfte über den Haufen werfen — dafür darf es kein „Verständnis“ und kein Entgegenkommen geben. —

Nachtrag am 19.04.22: Putin bestätigt auf ganzer Linie unsere Einschätzung: Er ist der alte Geheimdienst-Zyniker, der keine Probleme damit hat, Fakten ins Gegenteil zu verkehren: (1) „Mutterland und staatliche Interessen“ verteidigt: Putin verleiht Ehrentitel an Brigade nach Gräueltaten in Butscha – Politik – Tagesspiegel Das Z auf den russischen Invasions-Panzern steht offenbar für Zynismus.

* Was ist die Denkweise und Weltanschauung von Faschisten? Dazu lese man hier im Blog den Beitrag „Liebe Faschisten?“ vom 02.10.2020. Auch der Beitrag „Was sagt diese Flagge?“ vom 10.10.20 (beide siehe Spalte rechts unter: „Archive“ / „Oktober 2020“) gibt erhellende Hinweise.

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Machtpolitik

Machtpolitik zeigt ihre hässliche Fratze derzeit an vielen Stellen auf dem Globus. Und viele Machtpolitiker schämen sich nicht, die Bevölkerung mit alten Kamellen von nationaler Größe und Nationalstolz zu behumsen, was in Wahrheit leere Luftblasen sind, übersteigerte Ideen aus dem 19. Jahrhundert, die ihren Wert längst verloren haben. Denn wo Menschen sich dazu überreden ließen, nationale Hirngespinste über die Menschlichkeit zu stellen, da liefen sie in das Verderben blutiger Kriege. Viele dieser armen Verführten bezahlten die Machtträume ihrer Führer mit ihrem Leben, viele „nur“ mit lebenslangen körperlichen und seelischen Schäden. In Todesanzeigen wurde gelogen: „auf dem Felde der Ehre gefallen“, und ähnlich. Noch schlimmer: „geopfert auf dem Altar des Vaterlandes.“ Was nützen den Toten schnulzige Nachrufe? Man hätte besser den Krieg vermieden und rechtzeitig auf Politiker gehört, die andere Wege bevorzugten, um „nationale Interessen“ zu wahren.
Was sind das überhaupt, diese nationalen Interessen? Was soll man denn anders darunter verstehen als das Bestreben, möglichst allen Menschen in einem Land ein sicheres und auskömmliches Leben zu ermöglichen! Dafür ist ein Staat da.*
Aber leider kommen immer mal wieder Politiker an die Macht, die von ihrer persönlichen Geltungssucht in die Illusion getrieben werden, ihr persönliches Wohlergehen sei mit dem des Staates und seiner Bevölkerung gleichzusetzen. Sie finden sich selbst umso großartiger, je mehr Macht sie ausüben und je mehr Menschen sie unter ihre Kontrolle bringen. Diese Gier nach Macht kennt kein Halten, sie greift auch über die Grenzen des eigenen Staates hinaus. Logischerweise folgt daraus der Wunsch, das Staatsgebiet zu erweitern, im Zweifel auch mit militärischen Mitteln – obwohl sie insgeheim wissen: Krieg ist Mist. Krieg ist menschengemachte Katastrophe.

Wer Krieg plant und anfängt, rechnet sich zwar Erfolgschancen aus, doch zeigt die Geschichte: Krieg ist immer unsicher in seinem Verlauf wie seinem Ergebnis. Krieg ist riskant. Das gehört zum alten Wissen der Menschheit, das demonstriert schon die Geschichte von dem Herrscher, der vor einem geplanten Feldzug das Orakel befragte und zur Antwort bekam: Wenn du die Grenze überschreitest, wirst du ein großes Reich zerstören. Er verstand das als Verheißung großen Erfolgs. Doch das Gegenteil trat ein: Das Reich, das er durch diesen Krieg zerstörte, war sein eigenes.

In England schrieb ein heller Kopf: „Patriotism is the last refuge of a scoundrel.“ Patriotismus ist die letzte Zuflucht eines Schuftes. Heißt: Wenn ein Machtpolitiker nicht mehr weiß, womit er die Leute noch auf seine Seite ziehen und überreden könnte, greift er zu nationalistischen Parolen und gibt vor, sein Ziel sei die Größe der Nation, und seine Politik richte sich allein auf das Ziel, das Vaterland zu alter (oder neuer) Größe zu führen – und dazu müssten ihm alle aus patriotischer Pflicht ohne Widerspruch folgen.

Um Beispiele zu finden, brauchen wir gar nicht weit in die Geschichte zurückzuschauen, denn in unserer Zeit kennt jeder diesen Politikertyp, der einfach nicht von der Macht lassen kann: Figuren wie Donald Trump, Silvio Berlusconi, Boris Johnson, Victor Orban, Wladimir Putin und sein Vasall Lukaschenko, usw. Für Viele besonders abstoßend sind diejenigen, die sich vor Kameras ungeniert als gewaltbereite Machos inszenieren, wie Trump oder Bolsonaro, und ihre Anhänger unverhohlen zu Gewalt aufrufen.

Doch was heißt abstoßend? Das ist keine politische Kategorie. Politische Begriffe wären hier: Autoritäre Herrschaft, Diktatur, Willkürherrschaft, Überwachungsstaat, … Wohlgemerkt: Diese Begriffe sind nicht auf jeden der oben Genannten anwendbar. Aber in der Riege der Machthaber dieser gegenwärtigen Welt findet man durchaus Figuren, auf die sie anwendbar sind.

Lasst Euch nicht behumsen: Manche behaupten, so ein riesiges Land wie Russland oder China könne nur mit einer starken Hand regiert werden. Die Wahrheit ist: Gerade unter den modernen Bedingungen der Kommunikationstechnik ist es möglich, einen großen Flächenstaat so zu organisieren, dass eine demokratische Mitbestimmung der Bevölkerung funktionieren kann. In den USA war das auch möglich – ohne ein autoritäres Regime oder eine Diktatur. Dort erodiert die Demokratie derzeit durch rechtsgerichtete, teils religiös-fanatische, rassistische Kräfte, die einen machtgeilen Populisten wie Trump bis ins Weiße Haus spülten, die eine ehemals ehrenwerte demokratische Partei, die Republikaner, gekapert haben und eine antidemokratische Radikalisierung betreiben.

Von China wollen wir gar nicht groß reden: Diktatur, Überwachungsstaat sind zwei Begriffe, die hier zur Anwendung kommen. Bei aller menschlichen Sympathie für die Chinesen fragt man sich: Haben sie, ein altes Kulturvolk, ein solches Regime verdient? Und glauben sie wirklich, sie seien eine Nation, wo sie doch in Wahrheit ein Vielvölkerstaat sind. Kulturelle und religiöse Minderheiten werden nicht geduldet, Kritik wird gnadenlos unterdrückt. Das Regime der Kommunistischen Partei Chinas puscht Nationalismus hoch, er ist ein Machtinstrument zur emotionalen Gleichschaltung der Bevölkerung Chinas.

Es ist wohl mehr als Zufall, dass das Regime der Militärdiktatur in Myanmar gute Beziehungen zu Chinas Führung unterhält. Man kann sich ja gut austauschen über die Unterdrückung von Demokratie-Bewegungen und ethnischen Minderheiten… Und apropos gute Beziehungen: Putin reiste zur Eröffnung der Olympischen Winterspiele 2022 nach Peking/Beijing und ließ sich beim demonstrativen Handschlag mit Xi Jinping fotografieren, während eine Menge vor allem westlicher RegierungsvertreterInnen der Show fern blieben.

Derzeit sieht es weltweit nicht so sehr gut aus für die Demokratie. Der „Economist“ erarbeitet jährlich einen Demokratie-Index und beobachtet: Die Anzahl Menschen der Weltbevölkerung, die in einer Demokratie leben, hat in den letzten Jahren von knapp 50% um ein paar Prozentpunkte abgenommen. Der Anteil der autoritär regierten Staaten in der Welt ist in den letzten Jahren gestiegen, und ein Drittel der Weltbevölkerung lebt in einer Diktatur. mehr > «Economist»: Anteil der Demokratien 2021 weltweit erneut gesunken

Zur Erinnerung: Demokratie ist nicht nur, alle paar Jahre auf einem Stimmzettel ein Kreuz malen zu dürfen, vielmehr gehören dazu für alle (!) StaatsbürgerInnen Grundrechte, die von den allgemeinen Menschenrechten abgeleitet sind. Außerdem gehört zur Demokratie Gewaltenteilung im Staat, d.h.: Gesetzgebende Gewalt (Legislative), Ausführende Gewalt (Exekutive) und Rechtsprechung (Judikative) sind klar voneinander getrennt und kontrollieren sich gegenseitig. Das ist in einer demokratischen Verfassung geregelt (die in Deutschland Grundgesetz heißt).

W. R.

* Der Staat an sich ist nur eine Organisationsform und weder gut noch schlecht. Das ist anscheinend zu hoch für Leute, die aus Prinzip gegen „den Staat“ sind: Sie verstehen nicht, dass das Zusammenleben einer großen Zahl von Menschen geregelt werden muss und Anarchie keine Alternative ist. Demokratie ist nicht unbedingt die ideale Lösung aller Probleme, aber sie ist eine Herrschaftsform, die der Bevölkerung eines Staates Möglichkeiten der Mitwirkung und Mitentscheidung bietet. Demokratie ist zwar von der Verfassung (Grundgesetz) geboten, muss aber durch Kontrolle gesichert und ihre Umsetzung eigentlich täglich durchgesetzt werden, wenn einzelne Akteure oder Gruppen ihre Interessen auf Kosten Anderer durchsetzen wollen. Das Wichtige daran: In einem demokratischen Staat wird ein Ausgleich verschiedener Interessen angestrebt, um inneren Frieden in der Gesellschaft herzustellen. Wer sich benachteiligt sieht oder fühlt, kann z.B. Gerichte anrufen, um seine Interessen zu vertreten und sein Recht zur Geltung zu bringen (Prinzip des Rechtsstaates).

Nachtrag am 23.02.2022: Nachdem Putins Spielzüge gegen die Ukraine und den Westen sichtbar geworden sind, stellt sich mir u.a. die Frage, wieso man anscheinend im Westen von Putins Vorgehen überrascht wurde. Allen stand doch noch vor Augen, wie er 2014 die Annexion der Krim einleitete, und wie er den Krieg im Donbass (östliche Ukraine) bis heute am Köcheln hielt. Putin täuscht über seine Absichten und schafft derweil Tatsachen. Ich bin nicht der einzige historisch Bewanderte, der Putins Taktik mit der Hitlers von 1938 vergleicht und da Parallelen sieht. Putin will letztlich die Ukraine einverleiben, Hitler machte dasselbe mit der Tschechoslowakei. Dies ist kein direkter Vergleich Hitler-Putin, sondern ein Vergleich der Handlungsweise von zwei skrupellosen Machtpolitikern. Wer Putin immer noch Verständnis entgegenbringt und seiner Erzählung folgt, er wehre sich nur gegen eine Einkreisung durch die Nato, der blendet eine Menge Dinge aus.

Für Putin gibt es das Selbstbestimmungsrecht der Völker nur, wenn sie zu Russland gehören wollen und sich den Anordnungen Moskaus fügen. Hier wird autoritär regiert, Wahlen und Parlamentsabstimmungen werden der Form halber veranstaltet, wenn Putin die Weichen gestellt hat, d.h. nachdem er im Vorfeld jede Opposition klein gemacht hat. Er nannte das „gelenkte Demokratie“, was ich schon vor Jahren zum Lachen fand: ein bloßes Versteckspiel mit Worten, die die wahren Verhältnisse verschleiern sollen.

Putins Bezugnahmen auf die Geschichte sind in meinen Augen fast schon absurd, wenn er z.B. das Völkerrecht ignoriert und als legitime Grenzen der Macht Russlands nur die des Sowjet-Imperiums bzw. des Zaren-Reichs ansieht. In einer Fernsehansprache in diesen Tagen meinte er, Lenin habe 1918 unnötig die Ukraine aus dem Staatsverband entlassen.

Dazu fällt mir nur noch ein satirischer Aufkleber ein, den ich vor langer Zeit sah: Einen Grenz-Umriss unter Einschluss Italiens mit der Forderung „Für ein Deutschland in den Grenzen von 1228!“. In diesem Sinne möchte man Putin zuraunen: „Vorsicht, Wladimir, gleich kommen die Nachfahren der Ostgoten um die Ecke und fordern die Krim als Teil ihres ureigenen Gebietes zurück!“ Nach Putins völkischer Logik hätten sie nämlich allen Grund dazu: Goten siedelten viele Jahrhunderte in diesem Raum, ihre Sprache wurde auf der Krim sogar bis ins 18. Jahrhundert gesprochen. Was sind dagegen die wenigen Jahre, in denen Russen dort angesiedelt wurden?

Wer so selektiv auf die Geschichte zugreift wie Putin, entlarvt die Schwäche seiner Argumentationsbasis – zumindest in den Augen informierter Menschen. Und er offenbart, dass seine eigenwilligen historischen Gedanken ihm wichtiger sind als Völkerrecht und internationale Verträge. Kann man daraufhin mit Putin überhaupt noch Verträge schließen? Er macht doch nach Belieben seine eigenen Regeln, und handelt anders, als er redet – wenn es ihm gerade passt. Das zerstört Vertrauen, das aber eine Basis internationaler Beziehungen ist.

Nachtrag am 24.02.2022: Oops, he did it again! Wieder hat Putin mit den westlichen Regierungen gespielt, um sie dann zu überrumpeln und Fakten zu schaffen. Wer jetzt nicht an 1938 denkt, hat mangelhafte historische Kenntnisse. Wenn Putin die Geschichte jener Jahre studiert hat, dann weiß er aber auch: Hitlers Kalkül, mit seiner Taktik die westlichen Demokratien weiter vorführen und überrumpeln zu können, verfing danach nicht mehr: Beim Überfall auf Polen 1939 handelte er sich Kriegserklärungen und den Zweiten Weltkrieg ein; wie der für Hitler und Deutschland 1945 endete, ist bekannt. Hitler hat damit das Schicksal von König Krösus von Lydien wiederholt und ein großes Reich zerstört, nämlich sein eigenes.

Eine von Hitlers Fehleinschätzungen war die angebliche Schwäche und Hinfälligkeit westlicher, friedensseliger Demokratien gegenüber autoritären, gewaltbereiten Machtsystemen. Eine ähnliche Einschätzung könnte auch Putin in arge Schwierigkeiten bringen.

Übrigens: Die Geschichte von Krösus, dem Orakel und seinem Krieg, der sein eigenes Reich zerstörte, kann man nachlesen bei Herodot (485 – ca. 425 v.Chr.), dem „Vater der Geschichte“, wie ihn Cicero nannte. Dieser Herodot war – was Viele nicht wissen – nicht nur ein gebildeter und weitgereister Mann, er brachte vor Allem Verständnis für andere Völker und deren Kulturen auf und suchte das, was er vorfand und beobachtete, zu verstehen. Das kann man von vielen Weitgereisten späterer Zeiten nicht immer sagen, besonders in den Kolonialzeiten waren sie meist vom europäischen Überlegenheitsdenken geprägt und hatten damit eine ideologische Barriere im Kopf. Aber auch da gab es Ausnahmen, Wissenschaftler mit unvoreingenommenem Blick wie Alexander von Humboldt (1769 – 1859), der die Sklaverei kritisierte und grundsätzlich Freiheit als natürlichen Zustand des Menschen postulierte. —

In der Nacht vom 23. auf den 24. Februar 2022 offenbarte Putin sein zweites Gesicht:

Dieses Gesicht hatte er zwar schon bei früheren Gelegenheiten gezeigt, doch westliche PolitikerInnen wollten ihn wohl lieber so wahrnehmen, als sei er im Grunde einer von ihnen und spiele nach denselben Regeln. Das war ungefähr so, als habe man Graf Dracula nächtens mit blutigem Maul umhergehen sehen, das aber als bösen Traum verdrängt und ihn am Tag als eher umgänglichen Gesprächspartner erlebt.

Putins „Sonderoperation“ gegen die Ukraine reiht sich ein in mehrere Militäroperationen der Vergangenheit. Ernsthaft betrachtet könnten seine „Sonderoperationen“ Gründe liefern für eine Anklageschrift vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Der Gipfel des zynischen Machtspiels war seine Unterstützung des syrischen Machthabers Assad, die nicht vor gezieltem Bombardement von Schulen und Krankenhäusern in „Rebellengebieten“ zurückschreckte. Man konnte sehen, dass Putin vor nichts Halt macht, wenn es in sein Kalkül passt… *

Zuletzt drohte er Allen, die sich von außen einmischen und der Ukraine helfen wollen, mit dem Einsatz von Atomwaffen. Geht’s noch? Das sind Gangster-Allüren. Statt laut Putin die „Entnazifizierung“ der Ukraine anzustreben, wäre eher umgekehrt zu überlegen, wie man den Faschismus aus dem Kreml austreiben könnte. Da Voodoo hier vermutlich wenig hilft, sind harte Sanktionen das Mittel der Wahl – wenn sie auch eher langfristig Wirkung entfalten werden.

* Im Oktober 2022 zeigte Putin der Welt, dass er auch in der Ukraine vor nichts zurückschreckt und Terror zu den Mitteln seiner Wahl gehört. Die Raketenangriffe auf Wohnhäuser, Schulen und Universitäten, zivile Versorgungseinrichtungen etc. gleichen dem Vorgehen der russischen Luftwaffe in Syrien.

Außerdem wurde durch Rückeroberungen russisch besetzter Gebiete offensichtlich, wie die Besatzer dort gehaust haben. Die losgelassene Soldateska raubte, folterte, vergewaltigte und tötete nicht nur, sie raubte auch Zivilpersonen ihren Besitz, Nahrungsmittel, Haushaltsgeräte, sie raubte Kunstschätze aus Museen, die z.T. auch zerstört wurden…

Kein Wunder also, dass eine große Mehrheit in der UN-Vollversammlung Mitte Oktober das russische Vorgehen verurteilte, insbesondere die illegale Annexion ukrainischer Gebiete.

Das russische Militär ist wohl zu großen Teilen in einem schlechten Zustand: Wie jeder Militärexperte und jede/r HistorkerIn weiß, untergraben Plünderungen und Exzesse der Soldaten die Disziplin und auch die Kampfmoral. Dass mit der offiziellen Teilmobilmachung nun meist unerfahrene uns nur kurz ausgebildete Rekruten an die Front geschickt werden, macht die Sache wohl kaum besser. Auch deshalb bezieht Putin nun Lukaschenko und das belarussische Militär stärker in seine Kriegführung ein.

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27. Januar

Antisemitismus hat in Deutschland und anderen Ländern in der Welt zugenommen, hören wir in den Medien. Das darf doch wohl nicht wahr sein! Ist denn ein Teil der Menschheit geistig verwirrt? Es ist doch jedem gut informierten Menschen klar und eine Selbstverständlichkeit, dass Rassismus ebenso wie Vorurteile über bestimmte Volksgruppen undiskutabel sind und keineswegs sachlich begründbar.
Warum gibt es das trotzdem, und worum geht es den Leuten mit Vorurteilen und rassistischen Ressentiments?
Die Frage ist: Wem nützt das, oder: Was hat ein Mensch davon, sich solche Einstellungen zu eigen zu machen und zu vertreten?
Ein Nutzen ist erst einmal nur psychologisch erkennbar: Wer andere Menschen durch die rassistische Brille sieht und sie abqualifiziert, hat offenbar ein BEDÜRFNIS, dies zu tun. Dieser Mensch will diese Brille mit voller Absicht tragen, denn dadurch kann er Menschen in verschieden wertige Kategorien einteilen. Und in welche ordnet er sich dann selbst ein? Blöde Frage, natürlich in die höchstwertige Kategorie!
Aha: Der Nutzen einer solchen Brille besteht darin, sich selbst aufzuwerten und über andere Menschen zu erheben. Anders gesagt: Als Rassist stelle ich mich als Angehöriger einer bestimmten Gruppe über Andere, die nicht zu dieser Gruppe gehören. Ich erhöhe meinen Wert auf Kosten Anderer, die ich herabstufe und erniedrige.
Das ist, kurz erläutert, der Antrieb der Rassisten.
Und ähnlich gilt das für Menschen, die auf andere herabsehen (wollen), weil sie sich als Wohlhabendere, Gebildetere oder Besser Ausgebildete sehen und das kundtun, indem sie auf Ärmere, Weniger Gebildete oder Menschen mit geringer beruflicher Qualifikation herabsehen und über sie lästern.
Übrigens kann man dasselbe Schema auch bei Leuten beobachten, die eine frauenfeindliche Einstellung haben. Besonders Männer, die sich in Konkurrenz zu Frauen sehen, vertreten gern geringschätzige Ansichten gegen Frauen und machen deren Leistungen madig – auch aus Angst, da könnte eine Frau besser im Job sein und mehr Anerkennung bekommen.
Aber tatsächlich passiert es, dass Frauen sich für gleichen Lohn und gleiche Karrierechancen mehr anstrengen müssen als Männer – mit dem Effekt, dass einige in der Tat mehr leisten und besser werden als ihre männlichen Konkurrenten und damit ihre Fähigkeiten mehr trainieren als die Männer, die glauben, es aufgrund ihres Geschlechts eher zu schaffen. Das zahlt sich für die Frauen, die sich nicht unterkriegen lassen, auf lange Sicht aus.
Übrigens: Die antisemitischen Vorurteile in der Gesellschaft und die häufige Benachteiligung führte in der Vergangenheit oft zu ähnlichen Effekten. Juden hatten es oft schwerer in Deutschland, waren gezwungen, möglichst gut zu sein im Beruf, und dadurch wurden viele erfolgreich im Finanzsektor, oder sie nahmen ihre Bildungschancen ernster als Andere und erreichten in relativ großer Zahl höhere Bildungsabschlüsse. Unter deutschen Intellektuellen waren Juden daher auch relativ zahlreich. Und das wiederum verstärkte die Abneigung und den Hass bei einigen Antisemiten, man verstieg sich z.B. zu der Behauptung, es sei eine krankhafte jüdische Eigenschaft, alles zu kritisieren und in Zweifel zu ziehen – anstatt z.B. unkritisch in nationalistische Begeisterung auszubrechen (wie ein „guter Deutscher“). Dabei wird – wie bei allen Vorurteilen – gern unterschlagen, dass sich Juden wie andere Menschengruppen insgesamt einfach menschlich verhalten. Viele von ihnen zogen z.B. im Ersten Weltkrieg mit den Anderen begeistert an die Front und wurden mit Orden dekoriert. Wir kennen alle die Bilder von jüdischen Frontkämpfern, die sich dem SA-Mob mit ihren Orden entgegenstellten, was aber die johlenden Horden nicht interessierte. Wer an seinem Vorurteil hängt, der ignoriert eben auch Tatsachen, die sich eigentlich nicht leugnen lassen. Das findet sich leider eben – allzu menschlich – überall auf der Welt.
Und wer noch Beweise dafür braucht, der schaue auf die arabische Welt, wo es eine Menge Leute gibt, die die gefälschten „Protokolle der Weisen von Zion“ als Argument für ihren Antisemitismus anführen, obwohl dieses Machwerk schon 1919 als Schwindel entlarvt wurde. Aber manche Menschen wollen nicht wissen, sondern glauben.
Apropos „glauben“: Auch die Verschwörungsmythen leben davon, dass Leute sich keine mit rationalen Argumenten und Fakten begründete Meinung bilden, sondern lieber GLAUBEN, was ihnen ohne großes Nachdenken glaubhaft erscheint. Das ist geistig bequem, und gerade deshalb halten Menschen gern an ihren geglaubten „Wahrheiten“ fest und wollen von einer Hinterfragung nichts hören.
So plapperte auch Hitler den Quatsch von der jüdischen Weltverschwörung nach und entblödete sich nicht (obwohl er nicht blöde war), in der zunehmenden Kriegsgefahr (die er selbst verstärkte) den Juden öffentlich Vernichtung anzudrohen, da sie angeblich die „jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung“ betrieben. Wer in Wahrheit eine Verschwörung gegen den Frieden und für Krieg betrieb, wurde dann offenkundig.
Die Wenigsten aber – und nicht einmal die meisten Nazi-Anhänger – konnten sich damals vorstellen, dass Hitler und seine Komplizen ein solch gigantisches Verbrechen tatsächlich durchführen würden: millionenfacher Mord aus rassistischen Gründen.
Und manche versuchen noch heute, auf Teufel-komm-raus zu leugnen und Desinformation zu streuen. Warum? Weil nicht wahr sein kann, was nicht wahr sein darf. Die nachgeborenen Nazis wünschen sich eine vom gigantischen Massenmord unbefleckte Nazi-Ideologie. Da fehlt einfach das Begreifen von Tatsachen wie die, dass Worte auf Dauer nicht nur Worte bleiben, und dass menschenfeindliche Parolen dann auch zu menschenfeindlichen Taten führen. Und – dass man selbst für seine Taten verantwortlich bleibt, auch wenn sie in einem johlenden Mob geschehen.
S. R.