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Köln-Notizen 2/2016

5k+kAlso doch, es gibt sie, die ausgleichende Gerechtigkeit. Über Wochen war Köln wegen Silvester in den Negativ-Schlagzeilen, immer hieß es „Köln“, kaum einmal wurde erwähnt, dass auch andere Städte von den Übergriffen betroffen waren. Das Image von Köln litt darunter.
Nun hatte „höhere Gewalt“ ein Einsehen. Sturmwarnungen für Rosenmontag führten in vielen Städten zu Absagen des Rosenmontagszuges, die Fernseh-Übertragungen fielen ins Wasser…
Nicht so in Köln! Man entschied, den Zug mit ein paar Sicherheits-Einschränkungen (keine Wagen mit allzu hohen Papp-Aufbauten, keine Pferde) losgehen zu lassen. Das WDR-Fernsehen übertrug live aus Köln, während andere „Karnevals-Hochburgen“ am Rhein (Düsseldorf, Mainz) passen mussten. Und die Übertragung aus Köln war für Karnevals-Jecke und -Interessierte durchaus sehenswert: ein Lob für den WDR! Die Kameraleute gaben ihr Bestes und lieferten gute Bilder, die abwechlungsreich gemischt wurden. Und dazu schien zeitweise sogar die Sonne, und blauer Himmel lachte über den Kölner Karnevalisten!
Im Vorfeld hatte auch der Kölner Stadt-Anzeiger schon am 26.1. wieder die „Kölner Rosenmontagszeitung“ als Beilage herausgebracht und damit quasi die „Fachliteratur“ bereitgestellt, mit Karte des Zugweges, mit Informationen zu den im Zug laufenden Gruppen bzw. Karnevalsgesellschaften und zu ihren Motto-Wagen. Auch dafür ein Lob!
Apropos: Wie auch die Kommentatoren bei der Live-Übertragung des WDR betonten, fußt sehr viel im Karneval auf unentgeltlich geleisteter Arbeit, die Karnevals-Begeisterte in ihrer Freizeit aufbringen, oft über Monate hinweg. Was Karnevals-Verächter gern übersehen: Hier kann man wirklich von Brauchtum reden, weil es fest in der Bevölkerung verankert ist und Viele sich dafür engagieren, ohne materiellen Lohn zu erwarten. Im Gegenteil, die Aktivisten bezahlen Kostüme und — als Teilnehmer an einem Karnevalszug — das Wurfmaterial aus eigener Tasche. Hier gilt: Dabeisein ist alles! —

85Leider haben an diesem Tag anderenorts Menschen etwas wiederaufgelegt, was man in Köln als schlimme Entgleisung in den Geschichts-Annalen finden kann: Im Rosenmontagszug 1935 etwa fuhr ein von Nazis gestalteter Wagen mit judenfeindlicher Aussage.* Mit Entsetzen konnte man am Rosenmontag 2016 in den Abendnachrichten des Fernsehens einen Wagen in einer thüringischen Stadt und einen in einem bayrischen Ort sehen, die im menschenverachtenden Geist vergangener Zeiten (die man vergangen glaubte) gestaltet waren und sich gegen Flüchtlinge richteten.

Es wird Zeit zu erkennen: Viele, die sagen, sie seien keine Nazis, haben in ihrem Kopf Ansichten über Menschen, die das Gegenteil sagen. Ein Beispiel: >Kommentar zur Häme für Alica Trovatello und Bläck Fööss: Widerlicher als Dominik Roeselers Reaktion geht es nicht | Köln – Kölner Stadt-Anzeiger  Und sie äußern diese Ansichten jetzt öfter, und meinen, sich in einer Mehrheitsmeinung suhlen zu können, wenn ihnen nicht sofort jemand widerspricht und ihnen sagt, was von ihren Äußerungen zu halten ist.**

Erst gestern konnte man auf Phoenix eine Fernsehsendung mit dem Titel „Die Suche nach Hitlers Volk“ sehen. Da erzählte z.B. eine Lehrerin (!) im Jahr 1945, sie sei ein unpolitischer Mensch — aber ihre geäußerten Ansichten gaben genau die politische Propaganda der Nazis wieder. Und eine andere Frau äußerte sinngemäß, Deutsche seien etwas Besseres als Andere… Und diese Leute glaubten in aller „Unschuld“, dass ihre Ansichten nichts mit dem bösen Hitler (an den sie vorher geglaubt hatten) und nichts mit dem Krieg zu tun hätten, sondern dass sie einfach nur „gute Deutsche“ wären.***

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann glauben wohl Viele das noch heute (auch wenn sie an Klapperstorch und Weihnachtsmann nicht mehr glauben). Man sollte immer wieder daran erinnern, wohin so etwas führt, denn diese teuer erkauften historischen Erfahrungen sind keine Hirngespinste!

W. R.

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* Vgl. Carl Dietmar, Die Chronik Kölns, 1991, S. 386; mehr zum Thema >Kölner Karneval im Nationalsozialismus

** Nachtrag dazu vom 21.02.16: „Gerade die Meinungsmacher müssten klarstellen, dass Europa eine emanzipatorische Utopie war, ist, sein könnte, sein muss, sonst versinkt dieser Kontinent wieder in seiner Vergangenheit, ein kleiner Fleck auf der Erde, zerklüftet, zersplittert, verloren. Aber seit Monaten tun die reaktionären deutschen Eliten genau das Gegenteil, sie betreiben eine Rhetorik des permanenten Notstands, und zwar nicht irgendwo weit rechts, sondern dort, wo sie die Mitte sehen: Da lassen Leitartikler die Schranken runter, da verwandeln sich Feuilletonisten in Grenzpfosten, da sind auf einmal die Menschenrechte keine Realität mehr, sondern nur noch „Rhetorik“.  zitiert aus: >Flüchtlinge: Was Clausnitz über unsere Gesellschaft sagt – SPIEGEL ONLINE

*** zum Thema Nation und Nationalismus vgl. ausführlich >Clio / 5.

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Köln-Notizen #2

50Köln hat nicht nur Klüngel und teils kitschigen Karneval zu bieten (woran sich kritische Geister gern abarbeiten), Köln ist auch eine Stadt der Kultur – immer noch, trotz einiger Misstöne (siehe z.B. Köln-Notizen #1).

Also mal positiv: In Köln gibt es auch echt witzigen und ideenreichen Karneval; und seit einigen Jahren finden so erfreuliche Veranstaltungsreihen statt wie die LitCologne (im März) und neuerdings die PhilCologne (im Juni).

Daneben floriert ganzjährig eine lebendige Kulturszene, die z.T. vom amtlichen Köln kaum oder wenig wahrgenommen und gefördert wird und daher vom privaten Engagement und Initiativen „von unten“ lebt — und natürlich von einem Publikum, das die Vielfalt zu schätzen weiß und die Aufführungen, Lesungen, Events, Gigs und Konzerte etc. besucht, was einer Großstadt wie Köln, die sich auch als Kulturstadt rühmt, gut zu Gesicht steht. Entsprechend interessiert und ggf. kritisch beobachtet dieses großstädtische Publikum aber auch den Umgang des offiziellen Köln mit Kultur.

Entsprechend laut sind dann Proteste gegen Kürzungen oder Streichungen von Fördergeldern für kulturelle Zwecke zu hören. „Kultur“ zu fördern ist ja bekanntlich keine der gesetzlichen „Pflichtaufgaben“ einer Kommune, also wird bei klammer Kasse dort auch zuerst der Rotstift angesetzt. In Köln gab es deswegen in den letzten Jahren viel Zoff — z.B. bei der Streichung von Zuschüssen für die Freie-Theater-Szene.

Aber bleiben wir mal beim Erfreulichen. Die beiden o.g. Veranstaltungsreihen sehe ich auch im Lichte der Frage, wie sich die Geisteswissenschaften angemessener als unverzichtbarer Beitrag zur Kultur präsentieren und erweisen könnten. Die Kommunikation mit dem Publikum ist dabei ganz entscheidend. Darauf wies auch Richard David Precht in einem Interview mit dem KStA hin (26.06.13, S. 3 / http://www.ksta.de/kultur/richard-david-precht-alles-dreht-sich-um-das-richtige-leben,15189520,23515204.html).

Precht auf die Frage, ob Philosophen sich mehr in den gesellschaftlichen Diskurs einmischen sollten: „Ich möchte nicht jeden zwingen, sich einzumischen. Aber man sollte sich schon die Frage stellen, ob das, was man macht, nicht allein wissenschaftlich relevant ist, sondern auch gesellschaftlich.“

Auch Geisteswissenschaftler, hier im Besonderen die Philosophen, leben und arbeiten ja nicht in einem verantwortungsfreien Raum. Dazu hat auch Julie Bogner-Lafranc Stellung genommen und an die Durchblicker appelliert, ihre gesellschaftliche Verantwortung nicht zu ignorieren und aufklärend zu wirken („Nachwort für das akademische Publikum“, in: DIE BEATUS-CHRONIK, S. 137ff.).

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