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Dies ist ein freies Land

Gestern gehört in meiner Stammkneipe am Tresen (vgl. 28.1.23, Einwurf am Tresen):


Jupp, erstmal ein Kölsch, und zapp mir gleich auch das nächste. Danke!

Sagt mal, liebe Bierfreunde, leben wir eigentlich schon im 21. Jahrhundert? Ich höre die Köpfe von Politikern im Fernsehen ihre Sprüche ablassen und komme mir vor wie in einer Vorstellung im Volkstheater des vorigen Jahrhunderts. Soviel Populismus von Leuten, die ihre Intelligenz dazu einsetzen, die Menschen im Lande dumm zu schwätzen! Leute wie Söder, Merz, Lindner und Konsorten haben in Hinterzimmern abgesprochen, mit welchen Vokabeln und Floskeln sie die Menschen verwirren, ablenken und für dumm verkaufen könnten. Beispiel: Atomkraftwerke brauchen wir angeblich weiterhin, sie liefern angeblich auch billigen Strom, sind auch gar nicht gefährlich, und mit viel Technologieoffenheit machen wir einfach weiter so, weil uns irgendwann neue Erfindungen von lästigen Problemen wie Atommüll-Endlagersuche und anderen befreien werden. Ja, Ihr müsst nur daran glauben!

„Technologie-Offenheit“ ist so eine nichtssagende Worthülse, mit der man Leute beruhigen und auf blühende Landschaften der Zukunft vertrösten will. Ich kann’s nicht mehr hören. Apropos Hören: Unsere PolitikerInnen von CDU/CSU, FDP und AfD wollen es auch nicht hören, dass das Weiter-So in der Politik uns auf einen Abgrund zufahren lässt. Sie hören einfach weg, wollen kein „Klima-Blabla“ hören, wie es Bundesverkehrsminister Wissing (FDP) neulich in einer Wahlkampfrede in Hessen sagte. Wenn das kein Skandal ist — aber stattdessen wird ein Trauzeuge zur Staatsaffäre, der sich nichts hat zu schulden kommen lassen… Dem Staat ist dabei kein Schaden entstanden, wohl eher im Gegenteil. Aber man darf eine Maut in den Sand setzen und Steuergelder zum Fenster hinaus werfen, alles nicht schlimm, wenn man von den Unionsparteien gedeckt wird. Wenn sie aber die Grünen attackieren, ist alles recht, was in den Medien aufgeblasen werden kann.

Jupp, schnell das nächste, ich muss mir dringend die Politik schön trinken!

Und wer wundert sich noch, dass die bundesweite Polizeiaktion mit Razzien gegen die „Letzte Generation“ ausgerechnet von einer Staatsanwaltschaft in Bayern ausging? Da ist rein zufällig Wahlkampf, Söder will ein Law-and-Order-Profil zeigen. Was hat der nicht schon alles für Profile gezeigt, wenn es um Wahlkampf und Kampagnen ging! Der macht einen Wind, davon könnten zig Windräder rund um die Uhr laufen — wenn es sie denn in Bayern gäbe!

Echt, Leute, ich find’s nicht mehr zum Lachen! Diese gezielte Dummschwätzerei verfängt bei zu vielen Leuten, wie man an diversen Wahlergebnissen sieht. Von Umfragen will ich gar nicht reden, die werden auch am liebsten dann zitiert, wenn man den Grünen schwindenden Rückhalt in der Bevölkerung nachsagen kann.

Ist doch kein Wunder: Wir sind alle für Klimaschutz, tönen sie. Aber wie macht man das in der Praxis? Ha, schon zerreden die Bedenkenträger alles, was Sinn machen könnte, und im Zweifel wollen sie schon im Voraus wissen: Das lehnt die Mehrheit der Bevölkerung ab. So kommen wir nicht weiter — und genau das ist ja beabsichtigt.

Da ist es doch kein Wunder, dass besonders die junge Generation (soweit sie nicht vor lauter Daddeln am Handy nichts mehr mitkriegt) die Geduld verliert, denn es geht ja gerade um ihre Zukunft! Jetzt zeigt der Staat auf einmal Härte, will sich nicht auf der Nase herumtanzen lassen. Das, liebe Leute, hätte ich mir schon viel früher an ganz anderer Stelle gewünscht.

Ach, Jupp, noch eins.

Ja Prost, Hannes, auch wennste neulich FDP jewählt hast. Kannste machen, dies ist ein freies Land. Und dir persönlich nehme ich das nicht übel, jeder hat eben seine Meinung. Trotzdem stoße ich mit dir an, du bist ja sonst ein netter Kumpel. Ja, soweit käme es noch, dass wir uns wegen der Politik anfeinden und aus dem Weg gehen. Außerdem sind wir hier in Köln, da heißt das Motto: „Drink doch ene met, stell dich net esu aan…“

(Während er singend das Glas hob und die anderen Gäste ansah, fielen sie nacheinander ein und sangen mit.) —

[Das Gespräch wurde sinngemäß wiedergegeben, aufgezeichnet aus dem Gedächtnis von W. R.] — Dazu empfehle ich die Lektüre dieses Kommentars: >Razzia gegen die »Letzte Generation«: Wie der Staat Radikalisierung befördert – Kolumne – DER SPIEGEL

Nachtrag am 29.05.2023: Was man kriminell nennt, und was nicht — das ist oft eine Frage der Deutungshoheit. Bei all dem Hickhack beschleicht mich die Frage: Wieviele Ahr-Flutkatastrophen, wieviele Dürren und Waldbrände braucht Deutschland noch, um zu begreifen, dass nur ein bisschen Klimaschutz nicht reicht? Und dass wir nicht endlos Zeit haben? Schauen wir nach Südeuropa, da wird deutlich, was Unterlassungen anrichten, die man schon kriminell nennen könnte: >Italien und Spanien: Warum die Extremwetter in Südeuropa ein Lehrbeispiel für für Politikversagen sind – DER SPIEGEL — Wenn nun jemand kommt und das Festhalten an fossilen Energieträgern als kriminell bezeichnet, fällt es mir schwer zu widersprechen… zumal wir mit dem Öl- und Gas- Verbrauch derzeit auch Putins Kriegsverbrechen indirekt mit finanzieren. Was, echt jetzt? Denkt mal drüber nach.

Hier noch eine aktuelle Ergänzung vom 11.06.2023: >Klimakrise: Die »Oh Shit«-Momente häufen sich – Kolumne – DER SPIEGEL

Zu bräsig

Staatsversagen nennen es einige Kritiker, was die Bundesregierung sich in Sachen Afghanistan in letzter Zeit geleistet hat. Das mag man so sehen, wie auch in manch anderen Krisensituatonen unsere staatlichen Instanzen und Behörden eher bräsig wirken und nicht in die Puschen kommen, wenn die Hütte brennt und schnelles, entschlossenes Handeln gefragt wäre.
Was vor Jahrzehnten bei der Hamburger Flutkatastrohe Innensenator Helmut Schmidt tat (schnell und unbürokratisch, ohne Rücksicht auf den „Dienstweg“, für die Rettung von Menschenleben zu sorgen), das wurde im Nachhinein viel belobigt. Wenn wir uns heute umsehen, vermissen wir auf breiter Fläche solche Macher, die in einer Ausnahmesituation handeln und nicht erst lange nach Vorschriften fragen und Zuständigkeiten klären.
Schon in der Pandemie-Bekämpfung 2020-21 waren viele BürgerInnen genervt von den Kompetenz-Querelen zwischen Bund und Ländern. Und da wir gerade beim Meckern sind: In der Zusammenarbeit von Polizei- und Verfassungsschutz-Behörden verschiedener Bundesländer hakt es auch (wie im Fall Amri). Ehe ich noch weitere Beispiele anführe: Im Ausland sagten früher Viele, die Deutschen könnten gut organisieren und seien so effizient. Diese Ansicht dürfte sich langsam ändern. Zumindest in ruhigen Zeiten mag dieses Arbeiten nach Vorschrift seine Berechtigung haben, aber bei Gefahr im Verzug ist es unflexibel und steht sich selbst im Weg.

Staatsversagen könnte man auch in anderen Bereichen sehen. Da ist z.B. die Situation auf dem Wohnungsmarkt: Im Sinne von Daseinsvorsorge müsste der Staat doch allen BürgerInnen ermöglichen, eine bezahlbare Wohnung zu finden, d.h. ihnen ein Recht auf Wohnen zubilligen. Stattdessen steigt die Zahl der Obdachlosen. Davor kann man die Augen verschließen und weiterhin behaupten: Der Markt regelt das von allein, der Staat soll sich heraushalten. Doch dazu sollte, nein müsste der Staat die nötigen Rahmenbedingungen schaffen und Großinvestoren (auch aus dem Ausland) vom Markt fernhalten, sofern sie nicht bestimmte Sozialstandards einhalten. Handhabe dazu bietet die im Grundgesetz angesprochene, wenn auch sehr allgemein formulierte Sozialbindung: „Eigentum verpflichtet.“ (GG Art. 14, Abs. 2)

War’s das? Nein, ich bin noch nicht fertig. Erst das Bundesverfassungsgericht musste der Bundesregierung vorhalten, dass sie im Klimaschutz zuwenig unternahm und auf die kommende Generation zuwenig Rücksicht nahm. Und was höre ich aus Brüssel? Dort tut die Bundesregierung zuwenig für den Schutz von Natur und Umwelt in der Landwirtschaft: Sie segnet die Ausschüttung der Milliarden für die Landwirtschaft in der EU ab, bei der immer noch die großen Player bevorzugt werden, die Massentierhaltung, die konventionelle Bewirtschaftung großer Flächen ohne Rücksicht auf Artenvielfalt und Klima, die umweltbelastende Verwendung großer Mengen von Pestiziden und Düngemitteln… während ökologisch bewusster wirtschaftende Betriebe wegen geringerer Größe benachteiligt werden.

Grrrr… Ich muss mich zügeln, bevor ich noch weiter meckere. Bin ich deshalb schon gegen den Staat? Ganz und gar nicht. In der Schweiz, einer lange bestehenden Demokratie, lautet ein Spruch: „Wer sein Vaterland liebt, der meckert drüber.“ Das ist der gravierende Unterschied etwa zu „Reichsbürgern“ und diversen Rechtspopulisten: Die wollen den Staat torpedieren und delegitimieren, weil sie Fans von Diktatur und Gewaltherrschaft sind. Die haben also (ähnlich wie W. Putin und Xi Ping) ein Interesse daran, dass unser Staat hier nicht funktioniert, weil sie gegen das demokratische Modell sind, in dem die allgemeinen Menschenrechte als Leitidee gelten. Wer den damals utopischen Roman „1984“ von George Orwell kennt, der weiß, wie die autoritäre, diktatorische Alternative zur Demokratie aussieht.

Darum kritisiere ich die gegenwärtige Politik der Bundesregierung: Ich wünsche mir Verbesserungen, die konkret für die EinwohnerInnen dieses Landes spürbar das Leben erleichtern. Und zwar meine ich damit die EinwohnerInnen, die es nötig haben. Kommt mir also nicht mit Steuererleichterungen für Reiche, die angeblich „die Wirtschaft“ ankurbeln. Sorgt lieber z.B. für mehr Personal in Altenheimen, Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern, Personal, das anständig bezahlt und nicht überlastet wird.

Schon 2013 habe ich in einem Beitrag darauf hingewiesen. Was hat sich seitdem verbessert? Die Corona-Krise hat gezeigt, wie es aussieht, nämlich (auf Deutsch gesagt:) beschissen. Jetzt glaubt bloß nicht, daraufhin sei die Regierung zügig und entschlossen an eine wirksame Verbesserung der Lage gegangen. Deutschland ist, vereinfacht gesagt und von außen betrachtet, erstens ein Paradies für Ausbeuter geworden, und zweitens eine Hochburg der Bürokratie.

Letzteres hat die Bundesregierung perfide genutzt, um bis Mitte August die Rettung afghanischer „Ortskräfte“ (die für die Bundeswehr und andere deutsche Organisationen arbeiteten) zu behindern und zugleich zügig noch ein paar afghanische Asylbewerber abzuschieben in das „sichere“ Land. Der Wahlkampf hat das noch verstärkt: Nicht zufällig sagte kurz vor der Übergabe von Kabul Unions-Kanzlerkandidat Laschet: „Ein 2015 darf sich nicht wiederholen.“ Das war offenbar die große Sorge der Regierenden und ihrer Parteien: Bloß kein Flüchtlingsthema im Wahlkampf! Dann lieber so tun, als sei man von der Entwicklung in Afghanistan total überrascht und überrollt worden.

So, genug davon. Seid mir nicht böse, verehrte BesucherInnen dieser Website und dieses Blogs, wenn ich hier etwas deutlich geworden bin. Aber ich kann das mit Fakten begründen und bin ziemlich sicher, dass ich in der Sache richtig liege. Und ich bin zuversichtlich, dass die meisten BesucherInnen dieser Website das als denkende Menschen einordnen können.

J. B.-L.

Anmerkung des SR: Obiger Gastbeitrag wurde von Julie Bogner-Lafranc für unseren Blog geschrieben. Einige unserer LeserInnen kennen sie schon von einem früheren Beitrag von 2013, auf den sie oben auch anspielt (>Frekena, Die Beatus-Chronik, FAQ, dort unter Frage 2 anklicken: BC-Nachwort von JBL)

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