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Atomkraft?

Es ist vollbracht! Nach dem Kreuzestod Jesu ist — angesichts des Gedöns in deutschen Medien — wohl das Abschalten der drei letzten Atomkraftwerke im Staate D. das bewegendste Ereignis der Geschichte, oder? Kaum zu glauben, was interessierte Akteure für ein Aufhebens machen, um Stimmung gegen den Atomausstieg zu schüren.
Dabei ist Allen, ja wirklich: Allen in diesem Lande seit geraumer Zeit klar, dass das Ende der Atomkraft in Deutschland seinen gesetzlich geregelten Gang nimmt. Und dass die kurzfristige Verlängerung der Laufzeit von drei AKWs für wenige Monate als Notmaßnahme beschlossen wurde, um einen vielleicht möglichen Strom-Engpass im Winter zu vermeiden.
Wenige Atomkraft-Befürworter machen einen großen Lärm darüber, dass es unvernünftig sei, die deutschen AKWs ganz abzuschalten, und schüren die Angst vor möglichen zukünftigen Blackouts. Hört man die unaufgeregten Experten, dann ist diese Angst nicht begründet.
Aber zum Thema „Angst“ fällt mir ein: Europas größtes AKW bei Saporischschija in der Ukraine ist von russischen Truppen besetzt, immer wieder kommt es dort zu krisenhaften Situationen. Man fürchtet, in diesem AKW könnte es durch Beschuss oder infolge der von Kriegseinwirkungen mangelhaften technischen Kontrolle zu einem GAU kommen. Dieser wäre eine Katastrophe, die die von Tschernobyl (1986) noch toppen würde.
Wer hier gar neue AKWs fordert, muss erklären, wie gerade jetzt sichergestellt werden könnte, dass es einem Putin nicht einfällt, ein paar Hyperschall-Raketen auf die deutsche Infrastruktur zu schießen und dabei gezielt AKWs zu Atombomben umzufunktionieren.
Über einen solchen (zum Glück noch theoretischen) Fall hört man hierzulande nichts. (Vielleicht, weil noch immer viele Leute Putins Charakter und Ziele verkennen.)
Davon abgesehen, bleibt es bei der sachlichen Feststellung: AKWs sind die mit Abstand teuerste Form der Energiegewinnung, und im Unglücksfall auch die gefährlichste.
Wer mit dem (Schein-) Argument kommt, weltweit würden doch immer mehr AKWs gebaut, und der „deutsche Sonderweg“ führe unnötig ins Abseits, der unterschlägt, dass einige Länder auch schon den Atomausstieg planen, andere verbissen an Bauvorhaben festhalten, die sich sehr in die Länge ziehen und viel teurer werden als vorab geplant (Wir reden hier von Milliarden-Beträgen).
Inzwischen ist vielen Leuten auch klar geworden: In diesen Zeiten ist es nicht verantwortbar, die eigene Energieversorgung zu einem bedeutenden Teil von auswärtigen Mächten abhängig zu machen, sprich: Brennstäbe für AKWs aus Ländern wie Russland zu beziehen, die womöglich einmal die Lieferung verweigern und politische Bedingungen stellen.
Wer weiß, ob nicht bald Erdogan oder Orban dafür gescholten werden, dass sie ihren Ländern diesen Bärendienst erwiesen haben…
Ganz durchsichtig und schon fast eine Kabarett-Nummer ist die Einlassung einiger deutscher Politiker, unsere AKWs seien doch aktiver Umwelt- und Klimaschutz, während die in der Energie-Krise wieder hochgefahrenen Braunkohle-Werke sehr klimaschädlich sind. Söder und andere mutieren plötzlich zu Umwelt-Aktivisten, die die Grünen überholen?? Das glaubt den Windrad-Verhinderern doch kein Mensch, der eine Krempe am Hut hat!
Fazit: An der Bewertung der Atomkraft hat sich seit Langem nichts geändert: teuer, riskant. Wer hier stur für eine andere Bewertung trommelt, hat entweder viel Geld in dieser Sache stecken oder wird von der Lobby dieser Leute mit Worten und evtl. Geld gedrängt. (Ich wünschte, sie hätten vor Jahren nur halb so viel dafür getrommelt, die Produktion von Solaranlagen im Lande zu halten!)
Ich möchte jedenfalls nicht, dass die Leute, die uns erst in die Gazprom-Abhängigkeit getrieben haben, uns nun aus Eigennutz in neue Abhängigkeiten manövrieren. Darum: Atomkraft? Nein, danke!
W.R.

Ein Update vom 10.07.2023: Wer bisher dachte, Desinformations-Kampagnen würden nur aus dem Ausland (Russland, China, Nordkorea) initiiert und gelenkt, der darf jetzt zur Kenntnis nehmen, dass auch hier in Deutschland einflussreiche Akteure solche Kampagnen lostreten: Die „Bild“-Zeitung gab den Ton vor, und nach ihr stießen eine Reihe von PolitikerInnen der Oppositionsparteien kräftig ins selbe Horn. Bis in die Fernseh-Talkshows tragen sie die Falschbehauptungen von „Bild“.

Worum geht es dabei? Um die Energiepolitik, und um deutsche Atomkraftwerke, denen einige PolitikerInnen immer noch nachweinen. Sie betätigen bei jeder Gelegenheit die Drehleier vom angeblich „dringend benötigten Atomstrom“ — wohl wider besseres Wissen, bzw. infolge einseitiger Information, die bei „Bild“ teils auf handfesten Lügen basiert.

Von „Bild“ ist die Nation ja so manche schräge oder einseitig CDU-lastige Berichterstattung gewöhnt. Aber was da gerade in Sachen Energiepolitik abging, das hat schon das Etikett „Fake-News“ verdient. mehr >Energieversorgung: »Bild«, Union und AfD, vereint in Prepperfantasien – Kolumne – DER SPIEGEL

Update von Februar 2024: Energiepolitik: Atomkraft ist ein totes Pferd – warum steigt Merz nicht ab? Kolumne – DER SPIEGEL

11. März – ein Gedenk- und Bedenktag

IMG_518111. März – wieder ein Gedenktag, alles Andere als ein Jubiläum: Vor drei Jahren ereignete sich die Katastrophe von Fukushima. Es war eine doppelte, eine sozusagen kombinierte Katastrophe. Erst ein selten starkes Erdbeben, gefolgt von einem ungeahnt wuchtigen Tsunami, der ganze Ortschaften an der Küste wegspülte und Schiffe weit weg von ihren Häfen im Lande absetzte – und damit noch nicht genug, hatten Erdbeben und Tsunami im Zusammenwirken die Stromversorgung des Atomkraftwerks (AKWs) von Fukushima gekappt, und während die Techniker des AKWs im Dunkeln tappten und falsche Messdaten über die Kühlung der Reaktoren registrierten, liefen diese heiß, sodass es schließlich in drei Reaktorblöcken zu Explosionen kam. Radioaktive Dämpfe traten aus, später lief verstrahltes Kühlwasser ins Meer.
Wer die Filmaufnahmen vom Tsunami sieht, glaubt sich in das unwirkliche Szenario eines Katastrophenfilms versetzt – doch die Aufnahmen bilden die Wirklichkeit vor Ort ab, man hört das Brausen und Gurgeln der Flutwelle, das Rufen und Schreien von Menschen, die sich nicht alle in höher gelegenes Gelände retten können…
Die hohe Zahl der Todesopfer, die Massen von unvermittelt obdach- und besitzlosen, traumatisierten Menschen, das alles sackt erst im Gefolge dieser Bilder ins Bewusstsein.
Hinzu kommen die immensen Auswirkungen und Folgeschäden des GAUs im AKW. Tausende Einwohner im Umkreis wurden wegen der Strahlung evakuiert, etliche davon erst mit Verspätung. Und die Fischerei an einem langen Küstenabschnitt kam zum Erliegen – nicht nur wegen der Zerstörungen in den Küstenorten und Fischereihäfen, sondern auch wegen der ins Meer laufenden, verstrahlten Wassermengen aus dem AKW-Gelände (Kühl-, Lösch- und Überschwemmungswasser).
Unsere AKWs sind sicher und auf dem technischen Stand der Zeit! Das hatten Politik und Atomwirtschaft Hand in Hand in Japan ständig verkündet, bis sie es selbst glaubten. Das wollten nun viele Japaner nicht mehr hinnehmen und verlangten weitreichende Konsequenzen.
Die sahen so aus: Wir, Regierung und Betreiberfirma Tepco, sitzen die erste Empörung mit ein paar öffentlichen Entschuldigungen aus, schalten erstmal alle AKWs ab, und nach etwas Zeit erklären wir, dass Japan gar nicht aus der Atomernergie aussteigen kann, dann fahren wir die AKWs wieder an.
Dabei zeigt sich bis heute, dass sie mit so einer Katastrophe heillos überfordert sind. Weder bekam Tepco sein havariertes AKW in den Griff, noch konnte die Regierung überzeugende Katastrophenpläne für die Zukunft vorlegen – kam sie doch schon mit der Bewältigung der Fukushima-Katastrophe nicht nach.
In der Region Fukushima liegen an vielen Sammelplätzen die Beutel mit vertrahlter Erde, die entwurzelten Menschen dürfen nicht in ihre Heimat zurück, leben z.T. immer noch in Notunterkünften und warten auf wirksame Unterstützung zur Normalisierung ihres Lebens, wenn es so etwas denn gibt (Das Trauma bleibt). An manchen Stellen hat man alles dekontaminiert, sagt man, und lässt die Evakuierten zurückkehren. Experten warnen dennoch. Man hat in der Region bereits Strahlenschäden an Tieren beobachtet, z.B. häufige Missbildungen an Schmetterlingen. Aktuelle Lage 2015: >Japans Atomkrise | Greenpeace – japans-atomkrise-09032015.pdf
Das Wort „Katastrophe“ klingt angesichts des Geschehens und der Folgen eher zu harmlos, um all das zusammenzufassen.

Und die Sicherheit? Alles Beteuern und Verharmlosen nach Katastrophen wie Tschernobyl (26. Aprl 1986) und Fukushima (2011), alle Ablenkung vom weltweit ungelösten Problem der Endlagerung von Atommüll (krass: Der Müll aus dem ehemaligen Salzbergwerk Asse muss aufwändig wieder herausgeholt werden) bedeutet nichts Anderes als die Feststellung: Auf offizielle Verlautbarungen ist kein Verlass, wir werden im Zweifel nur über das nicht mehr zu Verheimlichende informiert.

IMG_0632(zum Scharfstellen die Karikatur anklicken)

Radioaktive Strahlung ist zwar messbar, aber unsichtbar und geruchlos. Unsere Sinne (und anscheinend auch die der Tiere) sind nicht auf diese Gefahr eingestellt. Ich erinnere mich noch gut, wie verunsichert wir im Mai 1986 bei strahlendem Wetter nach draußen blickten und uns fragten, ob wir da draußen gefahrlos spazierengehen könnten, ob wir das Laub der Sträucher anfassen und uns auf eine Wiese setzen könnten, ohne mit verstrahltem Material in Berührung zu kommen. Der Wind hatte über Europa den strahlenden Auswurf des geschmolzenen Reaktors von Tschernobyl verteilt: Vielerorts waren frisch geerntete Lebensmittel unverkäuflich geworden und wurden vernichtet. In Bayern durften längere Zeit keine in der Natur gepflückten Pilze verzehrt werden.
Das war noch gar nichts gegen die Schäden an Leben und Gesundheit, die die Bevölkerung in Teilen der Ukraine und Weißrusslands erlitt.
Und gerade auch in Japan weiß man sehr genau, was Strahlungsschäden bedeuten: Bis heute leiden dort Menschen an den Folgen der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Davon wurde aber ungern gesprochen, besonders nachdem japanische Regierungen das Land in der Energieversorgung auf Atomkurs festgelegt hatten.

Es geht beim Thema „Atomkraft“ (die positiv gefärbte Wortwahl sagt „Kernkraft“) nicht nur um die Gefahr großer Katastrophen, sondern auch um Gefahren unterhalb der Katastrophenschwelle. Große Energiekonzerne lassen sofort ein Rudel Experten von der Leine, die Gefahren dementieren oder herunterspielen, wenn jemand z.B. ein statistisch erhöhtes Krebsrisiko im Umfeld von Atomkraftwerken öffentlich macht: Da werden Messwerte angezweifelt, als zufällig oder fehlerhaft hingestellt und als nicht aussagekräftig abgetan. Zuverlässig sind dagegen nur die von den AKW-Betreibern veröffentlichten Messwerte, Aussagen und Statistiken. Na klar. Und wieder hören wir im Falle eines nicht vertuschbaren „Störfalles“ im AKW: „Für die Bevölkerung bestand zu keiner Zeit eine Gefahr.“

In Deutschland wird weiter nach einem sicheren Endlager für Atomabfall gesucht. In einigen Jahren wird nach Ausstiegsplan das letzte AKW abgeschaltet – wenn nicht noch einmal eine Kehrtwende der Politik dazwischenkommt. Der strahlende Müll bleibt. Auf Jahrhunderte…

-SR-

Aktueller Nachtrag am 11.03.2020: Jahrestag des Reaktorunglücks: Die Zeit wird knapp in Fukushima | tagesschau.de

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