AM 23. Mai 2024 wurde offiziell gefeiert, dass unsere Verfassung, das Grundgesetz, vor 75 Jahren verkündet wurde und in Kraft trat. 1949 hatte man Lehren aus der Zeit der Weimarer Republik, der Nazi-Zeit und dem Zweiten Weltkrieg gezogen und diese in die Verfassung eingearbeitet — auf der Grundlage der Menschenrechte. Damit bekam (damals nur West-) Deutschland eine Verfassung, die man in historischer Perspektive als die beste, d.h. freiheitlichste sehen muss, die je auf deutschem Boden in Kraft trat.
Es gibt aber auch Menschen, die den Blick zurück wenden und mit soviel Freiheit offenbar überfordert sind. Sie möchten lieber gegängelt werden, sie wollen Entscheidungen lieber mächtigen Autoritäten überlassen, sie wollen einen „starken Mann“ an der Spitze des Staates bewundern und im Gleichschritt hinter ihm hermarschieren, egal wohin. Bloß nicht viel denken und mitentscheiden müssen! Da wird höchstens mal hinter vorgehaltener Hand gemeckert, sich aber prinzipiell geduckt. Wie soll mit so gestrickten Gemütern eine Demokratie funktionieren, die diesen Namen verdient?
Putin setzte in Russland vor etlichen Jahren den Begriff „gelenkte Demokratie“ in Umlauf, um seinen Weg in die Diktatur zu vernebeln (Unser G. Schröder hatte Putin geholfen, indem er ihn in einem Interview als „lupenreinen Demokraten“ bezeichnete). Allen musste klar sein: Putins Worthülse sollte für Verwirrung sorgen, denn eine echte Demokratie wird nicht von irgendwo gelenkt. Darüber hinaus ist eine Demokratie nicht bloß durch Wahlen definiert, sondern z.B. auch durch Meinungsfreiheit und Gewaltenteilung, Minderheitenschutz, etc. Ihr wisst schon (hoffe ich stark!). Dennoch benutzen Autokraten und Diktatoren gern das Instrument von Wahlen, wenn sie zuvor dafür gesorgt haben, dass keine Opposition eine Chance hat. Seit Hitler legt jedes autoritäre Regime Wert auf zumindest den Anschein, dass die große Mehrheit der Bevölkerung seiner Herrschaft zustimmt.
Hierzulande gibt es, wie gesagt, Menschen, die sich für so ein Modell Putin erwärmen und auch Chinas Diktatur nicht schlimm finden. Dabei wäre die Frage, ob das auch so bliebe, wenn sie morgen in einem solchen System leben müssten, wo sie nicht mitentscheiden dürfen, was von oben befohlen, erwünscht, erlaubt und verboten ist. Aber wenn dem Esel zu wohl wird, geht er auf’s Eis — sagt ein altes Sprichwort. Und Einigen geht es in unserem Staat anscheinend zu gut, sie nehmen das als selbstverständlich.
Aber reden wir nicht länger von Leuten, die von der übrigen Welt wenig wissen, oder sich in eine schöngefärbte Vergangenheit zurücksehnen, die es so nicht gab und die es auch nicht geben wird. Wenden wir den Blick nach vorn!
Was brauchen wir denn in einer Welt, die schon zwei Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts erlebt hat und vor Problemen steht, von denen man eins sicher sagen kann: Sie werden nicht mit Mitteln und Methoden aus Opas Mottenkiste gelöst. Das hat z.B. ein Putin schon zu spüren bekommen: Mit seinem „schnellen“ Eroberungskrieg in der Ukraine ist er auf den Bauch gefallen. Und was Hitler nicht geschafft hat, wird auch Putin nicht schaffen: Sie konnten die Welt nicht davon überzeugen, dass das „Recht des Stärkeren“ alles Recht in den internationalen Beziehungen schlägt… zumal beide sich verrechnet haben, was die Gegenwehr angeht. Auch Putin wird die Puste ausgehen, schon jetzt hat er sein (erträumtes) „Großrussland“ politisch von China abhängig gemacht. Wirtschaftlich ist er auf dem Holzweg, wenn er glaubt, die meisten Länder würden in Zukunft von seinen Rohstofflieferungen (Öl, Gas, Uran-Brennstäbe) abhängig sein. Das Verbrennen fossiler Energieträger ist ein Auslaufmodell, die russische Wirtschaft muss sich baldigst umorientieren. Da sehen wir übrigens einen Grund für die verbreitete Propaganda gegen Klimawandel, der geleugnet wird, und gegen die Energiewende.
Aber auch Deutschland kann sich nicht auf Lorbeeren der Vergangenheit ausruhen. Der ehemalige „Exportweltmeister“ muss sich auch veränderten Bedingungen anpassen, z.B. was die Elektromobilität betrifft. Aber dieses Thema wollen wir an dieser Stelle nicht vertiefen. Wichtig ist, dass wir erkennen: Man muss mit der Zeit gehen, nichts bleibt auf ewig, wie es ist.
Und da wir eingangs über das Jubiläum „75 Jahre Grundgesetz“ sprachen, fragen wir uns auch, ob dieses Grundgesetz in allen Teilen so bestehen kann, wie es konzipiert wurde. Müssen wir nicht von Zeit zu Zeit überlegen, ob diese Verfassung veränderten Bedingungen und neuen Herausforderungen angepasst werden muss? Das geschieht ja auch manchmal, es gibt Änderungen, und es gibt Ergänzungen, die im Laufe der Jahrzehnte vom Bundestag mit der nötigen Zweidrittel-Mehrheit beschlossen wurden. Denn es ist klar, dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes 1948/49 nicht alles vorhersehen konnten, was in Zukunft zu klären und zu regeln sein würde.
Wenn wir den Blick nach vorn richten, können wir uns natürlich auch Gedanken darüber machen, ob und wie unser Grundgesetz auf neue Entwicklungen und Herausforderungen eingestellt werden soll. Darüber hat sich auch Renan Demirkan zum Jubiläum ihre Gedanken gemacht und in einem Artikel formuliert. Dieser ist auf jeden Fall lesenswert, wenn man Denkanstöße schätzt und sich mit Vorschlägen auseinandersetzen möchte, die den Blick nach vorn richten. > Kölner Stadt-Anzeiger e-paper
W. R.
Bemerkung am 3. Oktober 2024: Wollen wir nicht mal darüber diskutieren, ob eine Partei wie die AfD verboten gehört? Und wollen wir nicht mal darüber nachdenken, ob die Hauptforderung des BSW nicht verkappter Landesverrat ist, um uns zu Vasallen von Putins Russland zu machen?
AfD und BSW verbreiten die Erzählung, wir würden von den USA beherrscht. Was sollte denn besser werden, wenn uns statt den USA demnächst Russland beherrschte? Schaut Euch doch mal an, wie es den Russen unter Putin geht! Die große Mehrheit wäre froh, wenn sie dort leben könnten wie die Mehrheit der Deutschen hier. Und die wären auch schon froh, wenn Putin nicht ihre Söhne an der Front zu tausenden rücksichtslos verheizen würde, und wenn das viele Geld für die Hochrüstung wenigstens teilweise für soziale Zwecke im Land ausgegeben würde. Also, wer es gut mit den Menschen in Russland meint, der kann nur hoffen, dass Putin keinen Krieg gewinnt und keinen weiteren anfängt, und dass er bald abtritt oder seine Politik ändert.
Wer glaubt, die Einstellung der Hilfe für die Ukraine würde Frieden bringen, der muss sich erst einmal fragen lassen: Frieden für wen? Und was blüht dann den von Russland beherrschten Menschen in der Ukraine? Und wer soll dann die vielen neu ankommenden Flüchtlinge aus der Ukraine versorgen?
Denken, nicht nur gefühlsduselig nicken beim Ruf nach Frieden! Ist das so schwer?