Archiv für den Monat: Mai 2024

Muss mal eben noch die Welt retten — im Zeitalter des Social-Media-Wischens hat wohl manch Eine oder Einer den Überblick verloren und etwas geliket oder unterstützt, was sich bei näherem Hinsehen (und Nachdenken) als einseitige Parteinahme entpuppt. Das freut natürlich diejenigen, die eine Kampagne gestartet und Deine Stimme so leicht eingeheimst haben. Du kannst dein Votum auch nicht mehr einfach zurücknehmen, es ist schon registriert und verwertet als Teil „breiter Zustimmung“.
Erstmal Nachdenken, das ist anscheinend bei Vielen nicht populär. Es geht offenbar eher darum, „dabei“ zu sein, sich emotional mitreißen zu lassen und sich in einem Strom mitschwimmend stärker zu fühlen. Oder was?
Als Spiritus Rector der Freien Universität Frechen habe ich dazu eine dezidierte Meinung und vertrete diese nicht solitär, sondern weiß mich im Einklang mit vielen Menschen auch jenseits unseres Clubs, die ihren Verstand nicht in Ruhestellung schicken, wenn ihre Stellungnahme angefragt wird.
Eine UNIVERSITÄT ist nach landläufiger Auffassung ein Ort des Wissens, der Kommunikation über Wissen, des Diskurses und auch des Disputs zwischen verschiedenen Meinungen. Es hat mich befremdet zu sehen, dass nun auch noch an der Kölner Universität ein Protestcamp entstanden ist, in dem bisher eine überschaubare Zahl von Menschen (die z.T. gar nicht hier studieren) eine propalästinensische und zugleich antiisraelische Kampagne unterstützen.
Mit Kopfschütteln habe ich bereits die Vorgänge in mehreren US-amerikanischen Universitäten zur Kenntnis genommen, bei denen es nicht mehr um Diskurs und Disput geht, sondern um Aktionen, die Druck aufbauen und Aufsehen erregen sollen. Der Erregungszustand vieler TeilnehmerInnen lässt sie handgreiflich und manchmal gewalttätig werden, wenn sie etwa jüdische Studierende angreifen und vom Campus fernhalten. Das hat nichts mehr mit dem Charakter einer Universität zu tun, vielmehr geht das in Richtung Meinungsterror und darf nicht toleriert werden, weder in den USA noch bei uns.
Worum geht es eigentlich in der Sache? Sachlich daneben sind auf jeden Fall einseitige Schuldzuweisungen und holzschnittartige Vereinfachungen der Lage im Nahen Osten wie der langen Geschichte des Konflikts. An Emotionalisierungen besteht und bestand in der Vergangenheit kein Mangel.
Leider hat das immer wieder zu Gewaltausbrüchen geführt, Scharfmacher und Hetzer hatten und haben in der Region leichtes Spiel. Seit im Hintergrund auch noch das Regime in Teheran mitmischt, ist es nicht besser geworden. Hamas, Hisbollah und Huthis sind verlängerte Arme Teherans und betreiben das Geschäft des Scharfmachens und des Hintertreibens aller Bemühungen um friedliche Lösungen. Hinzu kommt leider als Spiegelbild dieser Scharfmacherei eine rechtsradikale Regierung unter Netanjahu in Israel, die sowohl antidemokratische Ziele verfolgt als auch die Zweistaatenlösung bekämpft. Wer das zum Vorwand antiisraelischer Kampagnen und antisemitistischer Hetze nimmt, verfälscht die Wahrnehmung der Realität, da bekanntlich auch in Israel ein großer Teil der Bevölkerung gegen die Politik der Regierung Netanjahu ist und das in vielen großen Demonstrationen kundtut.
Apropos Zweistaatenlösung: Teheran und seine o.g. verlängerten Arme fordern die Vernichtung des Staates Israel — egal, wer dort das Sagen hat — und verbreiten die Parole „From the river to the sea“, gemeint ist Vernichtung und Vertreibung zugunsten eines pälästinensischen Staates.
Unglücklicherweise haben etliche Menschen in Europa diese Parole aufgegriffen. Tut mir leid, Greta, damit hast dich aus der positiven Bewegung „Fridays for Future“ herauskatapultiert und zur Influencerin der antijüdischen Kampagne gemacht. Ich unterstelle, dass du in einer schwachen Minute dem eingangs beschriebenen Social-Media-Effekt anheimgefallen bist und dich hast einspannen lassen…
Was die Hamas mit ihren ins Netz gestellten Videos am 7. Oktober 2023 selbst vorgeführt hat, spricht schon eine klare Sprache: Niedermetzeln und Entführung zahlreicher unbewaffneter Menschen wird hier stolz als Heldentaten gezeigt. Das ist Selbstlob für Verbrechen. Und sie bildet sich offenbar ein, das als Werbung für sich im Netz verbreiten zu können. Über wehrlose Menschen herzufallen soll Heldentum sein? Da werden alle Maßstäbe auf den Kopf gestellt!
Wie hassverblendet ticken Menschen, die daraufhin spontan in Berlin auf die Straße gingen und feierten? Geht’s noch?
Und an den Universitäten wollen offenbar einige Studierende zeigen, dass Hass über Verstand geht und aufgeputschte moralische Empörung über intellektuelle Denkarbeit. Wie anders soll man diese Aktionen denn verstehen?
Die ganze Scharfmacherei, die nun auch noch aus dem Nahen Osten zu uns herübergetragen werden soll — entspringt sie womöglich (bei cooler Betrachtung) zu einem großen Teil einer Macho-Haltung mit lauten, gewaltbereiten Zügen, wo die sich aufspielenden Männer alles bestimmen wollen und Rufe nach Frieden als Schwäche abtun? Ist doch auffällig, dass vom Mittelmeer bis an den Hindukusch meist frauenfeindliche Regime das Sagen haben, und je radikaler die religiöse Ausrichtung, desto frauenfeindlicher reden und handeln diese Glaubensextremisten. Im Unterschied zum Islam ist der Islamismus eine Abart des Glaubens, dem es vor allem um die vorislamische Männerherrschaft geht. Darum legen sie die religiöse Überlieferung in einem einseitig-radikalen Sinne aus, und das entspricht nach meiner Beobachtung durchaus nicht der Haltung und dem Verhalten des Propheten.

Wenn Gewalt weitgehend als „männlich“ verstanden wird, dann wird die Welt wohl kaum friedlicher werden, solange das Machotum weltweit verbreitet ist. Und die Frauen? Sollen sie — trotz aller Bekenntnisse zu den Menschenrechten — weiterhin für Viele als Menschen zweiter Klasse gelten? Dazu ein denkwürdiger Beitrag hier >TikTok – Bär oder Mann: Auf wen allein im Wald lieber treffen? – DER SPIEGEL

Viel Spaß beim Denken!

S. R.

P.S.: War obiger Beitrag einseitig? Ich denke, nein, denn es dürfte doch selbstverständlich sein, dass die täglichen Nachrichtenbilder aus dem Gaza-Streifen entsetzlich und kaum zu ertragen sind und es keiner ausdrücklichen Erwähnung bedarf, dass die Kriegführung in diesem dichtbesiedelten Gebiet nicht hinnehmbar ist. Der Gipfel des Zynismus ist, dass die Hamas die Reaktion der israelischen Führung auf den Hamas-Überfall vom 7.10.23 von Vorneherein eingeplant hat. Frage: Welche Seite nimmt dort am wenigsten Rücksicht auf die Zivilbevölkerung? (Nicht vorschnell antworten, erst überlegen!)

Mehr zum Thema siehe Blog-Beitrag vom 18.12.23 „Narren in der Mehrheit“, und besonders den Nachtrag darunter vom 08.03.24 (Weltfrauentag). —