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Leiden am Homo Sapiens

Was der Homo Sapiens sich derzeit auf dem Globus leistet, spottet mal wieder jeder Beschreibung. Nein, ich meine jetzt nicht die Leute, die immer noch den Klimawandel leugnen und beharrlich gesicherte Erkenntnisse der Wissenschaft als Lüge ablehnen, weil ihnen die Entlastungslügen der Profiteure an der Verbrennung fossiler Energie besser gefallen. Da können ganze Landstriche absaufen oder ausdörren, da können zu stark erwärmte Meere immer mehr katastrophale Wettereignisse auslösen, Gletscher in nie gesehenem Tempo abschmelzen… Nein, nein, das ist kein extremer Klimawandel, nur normale Schwankung, und schon gar nicht von Menschen gemacht… Parole: Augen zu und an den Weihnachtsmann glauben!

Wenn ich davon rede, was sich Homo Sapiens derzeit leistet, meine ich im Besonderen das, was in den letzten Wochen unsere Nachrichtensendungen beherrscht: die Gewaltausbrüche und Kriegshandlungen des Homo Sapiens, sowohl von Einzelpersonen wie von staatlichen Akteuren. Man kann sich nur noch die Haare raufen, wenn der angeblich vernunftbegabte Homo Sapiens (wie er sich stolz nennt) Amok läuft, Hass und Hetze verbreitet und diese als Ansporn zu Gräueltaten konsumiert, wie er mit Anderen Hassparolen schreit und sich einem gewalttätigen Mob anschließt, wie er auf Gewalttaten gegnerischer Horden mit noch mehr Gewalt reagiert und ständig nur noch nach Rache und Vergeltung ruft…

Die Menschheit hat mit solchem Verhalten schon so viele Erfahrungen gemacht, dass Beobachter von außen, sagen wir mal: außerirdische Besucher, annehmen könnten, diese Erfahrungen müssten gerade den Homo Sapiens mit seinem geistigen Anspruch endlich dazu bringen, dieses ganze Gewalt-Theater zu hinterfragen und dessen entsetzliche Sinnleere zu erkennen.

Die Geschichte lehrt uns, dass diese Erkenntnis schon lange gereift ist, aber leider nur bei einzelnen, nachdenklichen Menschen, zeitweise sogar bei einer größeren Zahl von Einsichtigen. Doch diese waren nie zahlreich genug, waren nie in einer überwältigenden Mehrheit. Und obwohl es Zeiten gab, in denen die allermeisten Menschen sich nur nach dauerhaftem Frieden sehnten, wurden doch immer wieder Konflikte vom Zaun gebrochen und angeheizt, wurde kalkuliert Hass gesät, wurden Feindbilder aufgebaut, wurde zu Gewalt aufgerufen…

Das Schauspiel, das zurzeit etwa der Nahe Osten bietet, ist jenseits aller Phantasie von Romanautoren. Aber auch die brutal realisierten Großmachtphantasien der russischen Führung tragen Züge des menschenfeindlichen Wahnsinns, und wenn man auf Putins engste Verbündete schaut, dann sieht man ähnliche Gesinnungen von Machtbesessenheit und Rücksichtslosigkeit gegenüber Menschen und Menschenleben.

Wladimir Putin, Xi jin Ping, Kim Jon Un reichen sich nicht nur bei persönlichen Treffen die Hand für die Kameras, sie sind sich auch in der Gesinnung einig, Machtziele über das Leben von tausenden von Menschen zu stellen. Das haben Autokraten und Diktatoren leider so an sich. Wenn sie erst einmal an der Macht sind, geben sie sie nicht mehr her, im Zweifel werden noch mehr Gefängnisse für Kritiker gebaut, werden Gegner umgebracht, wird die Bevölkerung überwacht und mit ständiger Propaganda zum Glauben an die Stärke und Weisheit der Führer „erzogen“.

Die Idee der Menschenrechte, in Europa vor Jahrhunderten gereift und in vielen Aufständen und Revolutionen politisch wirksam geworden, hat sich in den sogenannten westlichen Ländern weitgehend durchgesetzt und zur Bildung von Regierungssystemen geführt, die mehr oder weniger demokratisch sind und nicht nur durch Beteiligung der Bevölkerung in Wahlen, sondern auch durch Gewaltenteilung die staatliche Macht in kontrollierten Grenzen halten und damit die Alleinherrschaft von Personen, Gruppen oder Parteien verhindern oder zumindest erschweren.

Auf ihre unbeschränkte Macht pochende Herrscher oder Gruppen lehnen folgerichtig die Idee der Menschenrechte ab und verabscheuen Demokratie. In China behaupten Machthaber seit Langem, die Menschenrechte seien der eigenen Kultur fremd und passten nicht nach Asien. Russlands Machthaber Putin hasst Demokratie geradezu und fasste daher vor Jahren den Entschluss, die Ukraine als Staat zu vernichten bzw. in ein russisches Imperium zurückzuholen, nachdem dort eine Revolution stattgefunden hatte und eine Mehrheit sich von Russland ab- und der EU zuwandte.

Von Nordkorea ist bekannt, dass die von Stalins Kommunismus geprägte Führung gnadenlos ihre absolute Macht ausübt und im Zweifel die Priorität statt auf ausreichende Ernährung der Bevölkerung lieber auf militärische Hochrüstung und ein Programm zur Entwicklung von Atomwaffen legt.

Wenn wir auf den Iran blicken, dann sehen wir dort Züge eines Regimes, das Ähnlichkeiten mit den vorgenannten aufweist. Als ideologische Stütze dient hier nicht eine geschönte Vergangenheitsidee von wiederzuerrichtender Großmachtstellung, auch nicht eine kommunistisch gefärbte Herrschaftsidee, sondern das Prinzip Gottesstaat. Dort bestimmen die obersten Verwalter der Religionsinhalte, was Gottes Wille sei und was das politisch zu bedeuten habe. Die Bevölkerung wird von „Religionswächtern“ überwacht und mit Verhaltens- und Kleidungsvorschriften drangsaliert, besonders die Frauen.

In Ländern, in denen eine rigide Staatsführung herrscht, will diese ihren Machtbereich möglichst umfassend kontrollieren und daher möglichst uniformieren. Autoritäre Führer haben ein Problem mit Minderheiten, sowohl mit ethnischen Minderheiten in ihrem Staatsgebiet als auch mit Gruppen, die in religiösen Fragen, in der Lebensführung, in der sexuellen Orientierung nicht einem verordneten Einheitsbild entsprechen.

Wir erleben in Deutschland ja auch aktuell, dass es Menschen gibt, die autoritäre Führer gut finden und deshalb auch eine Abneigung gegen alle von einer gedachten Norm abweichenden Lebensentwürfe und Denkweisen entwickeln.

Diese Vorstellung vom gesellschaftlichen Einheitskorsett herrschte bekanntlich besonders im Mittelalter, und daher ist es kein Wunder, dass sich damals auch der Antisemitismus festsetzte, gefördert von der christlichen Kirche. Die Kirche spielt da inzwischen nicht mehr mit, aber weltliche Ideologen kaperten diese Auffassung von der Ausgrenzung und benutzten sie als Hetz- und Ablenkungsmittel für die Menschen, die sich über die politischen Verhältnisse beschweren wollten oder könnten. Diese perfide Strategie gipfelte in dem Spruch „Die Juden sind unser Unglück“, womit man die Menschen für dumm verkaufte und sie von den wirklichen Machtverhältnissen in Politik und Wirtschaft ablenkte.

Im russischen Zarenreich verfiel der Geheimdienst auf die Idee, zur Ablenkung der Kritik an der Zarenherrschaft und den gesellschaftlichen Verhältnissen die Mär von einer jüdischen Weltverschwörung zu erfinden. Um das Phantom einigermaßen glaubhaft in die Welt zu lancieren, setzten sich einige Geheimdienstler hin und schrieben ein Buch, das sie mit dem Titel „Die Protokolle der Weisen von Zion“ in Umlauf brachten — ein angebliches Originaldokument, in Wahrheit eine dreiste Fälschung mit dem Ziel, Juden zu diskreditieren und unter Generalverdacht als Staatsfeinde zu stellen.

Heute würde man das Fake News nennen, aber auch heute fallen ja Viele auf erfundene Nachrichten herein, vor allem auf solche, die im Netz kursieren und so tun, als verbreiteten sie wahre Nachrichten, die von den (gewissenhaft berichtenden) Medien bewusst verschwiegen würden. Bekanntlich wird das Netz inzwischen mit Falschmeldungen geradezu überschwemmt, die meist von autoritären Machthabern im Ausland veranlasst sind, um uns zu verwirren, zu verunsichern und gegeneinander aufzuhetzen.

Homo Sapiens macht sich selbst das Leben, vor allem das Zusammenleben mit anderen Menschen, unnötig schwer, indem er/sie oft das Trennende zu sehr in den Blick nimmt und darüber vergisst, dass alle Menschen auf dieser Erde viel mehr Gemeinsames verbindet, als es je an Unterschieden geben könnte.

Um den oben zitierten Spruch zurechtzurücken: Nicht die Juden, auch nicht irgendeine sonstige ethnische oder religiöse Gruppe ist unser Unglück; unglücklich macht sich Homo Sapiens mit den künstlich aufgebauschten Unterschieden, mit den Schubladen, in die Menschen einsortiert und mit denen sie oberflächlich bewertet werden. Unser Ungück sind Ausgrenzung, Diffamierung, Gewalt gegen Menschen, oder anders gesagt: Wir machen uns unglücklich mit einer Welt voller trennender Grenzen, in der wir alle diejenigen ablehnen, die nicht unserem Selbstbild entsprechen. Und, Hand auf’s Herz: Unser Selbstbild ist doch mehr oder weniger geschönt, die Schatten im Bild schieben wir gern von uns weg und projizieren sie auf Andere.

Genauso wie manch ein Mensch ein realistisches Selbstbild nicht ertragen kann, so kann er auch nicht ertragen, dass er an anderen Menschen Züge erkennt, die er bei sich selbst leugnet. Daher neigen Viele dazu, Fremden negative Eigenschaften zuzuschreiben: Sie wollen selbst gut dastehen, einen schlechten Charakter haben nur Andere. Sie machen nie wirklich Fehler, die sehen sie aber umso deutlicher bei Anderen…

W. R. (ein Homo Sapiens, keine KI)

P.S. Aufmerksame BesucherInnen dieser Website fragen sich wohl, was die Überschrift dieses Beitrags meint. Wer ein wenig über den Inhalt nachgedacht hat, kommt von selbst darauf — oder erinnert sich vielleicht an den schon vor Jahren gehörten Witz:

Treffen sich zwei Planeten. Sagt der eine: Oh-oh, ich leide an Homo Sapiens. Sagt der Andere: Das geht vorbei.

Grundsätzliche Bemerkung am 09.10.24:

Man hört und liest Sätze wie: „Der Hass auf Juden ist größer geworden.“ Das, lieber Nachbar-Homo-Sapiens, musst Du mir erklären! Wie kannst du jemanden hassen, wenn der dir nichts getan hat, der nicht gegen deine Interessen handelt, der einfach nur sein Leben als normaler Bürger leben will so wie du? Erklär mir dein Motiv zu hassen!

Ich höre Gestammel und allgemeine Ausflüchte in Aussagen über „die Juden“. Die sind aber an den Haaren herbeigezogen, und wenn ich nachfrage, was ihn persönlich stört, ist er weiter in Erklärungsnot und brabbelt was von „Man weiß doch…“ und „Schon lange…“ Darauf sage ich: „Man weiß doch, dass der ganze rassistische Unfug keine reale Basis hat, dass Juden Menschen wie wir sind — und nicht nur Juden…“ Da wird er verlegen, setzt noch zu einer Erwiderung an, wendet sich aber ab und trollt sich.

Habe ich ihn überzeugt? Ich vermute, eher nicht. Denn Vorurteile hat der Homo Sapiens nur, weil er sie haben will, nicht etwa aus guten Gründen, sondern aus Dünkel und Denkfaulheit. Ja, so ist es leider, Herr Nachbar. Ab und zu sollte man mal seine Einstellungen überprüfen und überlegen, ob sie noch auf der Höhe der Zeit bzw. des allgemeinen Wissens sind. Und ob sie dem eigenen, behaupteten Standard von Menschlichkeit entsprechen.

Aber dazu gehört, dass man überhaupt bereit ist zum Nachdenken… Wenn der Nachbar dazu nicht bereit ist, sucht er sich lieber Gesellschaft, wo er in seinen Vorurteilen bestärkt wird. Damit er sein Denkvermögen nicht anstrengen muss.

Man weiß doch: Auch so isser, der Homo Sapiens.

Putin verstehen

ES gibt eine neue Herausforderung für Putin-Versteher und Friedens-Idealisten: Putin lässt einen Tag vor einem Nato-Gipfeltreffen mitten in Kiew das größte Kinder-Krankenhaus der Ukraine aus der Luft angreifen und z.T. zerstören. Jetzt, bitte, erklärt mal, warum Ihr für Putin seid und gegen Waffen- (und Luftabwehr-) Lieferungen an die Ukraine. Wo ist Eure moralische Basis, wo Euer Verstand angesichts dieser Fratze des russischen Regimes?
Und kommt mir bloß nicht mit irgendwelchen Ausflüchten, die der Nato oder sonstwem die Schuld an dieser bestialischen Kriegführung zuschieben wollen. Putin hat schon in Syrien vor vielen Jahren gezielt Kankenhäuser, Schulen etc. in „Rebellengebieten“ bombardieren lassen. Das hatte nichts mit Verteidigung irgendwelcher Interessen an Russlands Grenzen zu tun, wie ein Blick auf die Landkarte zeigt. Putin ging es nur darum, den blutigen Diktator Assad in Syrien an der Macht zu halten — um russischen Einfluss auf die Region nicht zu verlieren. Moral spielte auch da absolut keine Rolle. Zum Machterhalt ist eben alles erlaubt, wirklich alles, so glauben diese Diktatoren.
Bei Putin braucht es keine Enthüllungen von Verfehlungen oder Kriegsverbrechen durch Wikileaks oder andere, denn er legt selbst Wert darauf, dass man seine brutale Fratze sieht und ihm alles zutraut. So will er unter seinen Kritikern, Gegnern und Feinden maximalen Schrecken verbreiten. Deswegen treibt er auch seine Soldaten in der Ukraine zu brutaler Behandlung von Gefangenen wie Zivilbevölkerung an. Das Entsetzen soll als zusätzliche Waffe wirken. Niemand soll hoffen. dass moralische Fragen bei Putin eine Rolle spielten.

Also, Ihr seht: Ich bin ein wahrer Putin-Versteher.

W. R.

Übrigens: Auch ein paar andere Regime haben hässliche Fratzen zu bieten. Welche? Schaut mal, wer in den Nachrichten bei persönlichen Treffen Putin besonders freundschaftlich die Hand drückt… (und ihm dann Waffen und Munition liefert).

Nachtrag am 10.08.2024: Angesichts der derzeitigen Weltlage (und damit meine ich wirklich die globalen politischen, wirtschaftlichen und Klimaverhältnisse) find ich es unverantwortlich, wenn hierzulande PolitikerInnen und Andere öffentlich fordern, die Hilfe für die Ukraine zu kürzen oder ganz einzustellen. Das und auch die prinzipiell russlandfreundliche Haltung Vieler sehe ich äußerst kritisch, um nicht zu sagen: Diese Einstellung grenzt schon an Landesverrat — angesichts der Weltlage, wohlgemerkt. Landesverrat heißt: sich gegen die Interessen des eigenen Landes stellen und bewusst dem eigenen Land Schaden zufügen, indem man mit einer fremden Macht gegen das eigene Land paktiert.

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Nachtrag am 14.09.2024: Russische Staatsmedien diskutieren derzeit herauf und herunter größenwahnsinnige Weltreichsfantasien, z.B. unter dem Motto: „Unsere Grenze sollte der Atlantik sein.“ Tja, wenn AfD und BSW kräftig mithelfen, kann das vielleicht was geben…: Deutschland als Vasall Russlands. Aus der Hölle lässt Josef Dschugaschwili, genannt Stalin grüßen und klatscht sich vor lauter Freude auf die Schenkel.

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Ergänzung am 19.09.2024: Putin verstehen, das heißt ganz naheliegend auch: Dieser Mann kam durch den Geheimdienst nach oben. Das bedeutet, dass er weiterhin wie ein Geheimdienstmann denkt, dass er bevorzugt die ihm lange bekannten Mittel einsetzt, und die ihm lange bekannten Männer, nämlich Ex-Kollegen. Das bedeutet ferner: Putin hat keinerlei Bedenken, unsere Politik über die social media zu beeinflussen und im Sinne des Vorgehens gegen den geringsten Widerstand die in Deutschland verbreitete, altgewohnte Sympathie für Russland auszunutzen. Er möchte uns weismachen, dass wir nicht trennen sollten zwischen Sympathie mit den russischen Menschen und Sympathie für den Paten und Kriegsverbrecher Putin. Und wer macht da kräftig mit? AfD und BSW. Mehr zu Putins verdeckter Manipulation > Russlands hybride Kriegsführung: »Der Kreml stuft Deutschland als leichte Beute ein« – DER SPIEGEL

Mehr als nur ein bisschen Frieden

Viele Menschen bewegt die Frage: Was ist in der Welt los, wenn gewaltaffine Machthaber zunehmend die Weltpolitik beeinflussen, wenn ihre Kritiker und Gegner gefangen gehalten, gefoltert, umgebracht werden, wenn Machthaber in Wahnvorstellungen von einer Großmachtstellung oder Weltherrschaft Kriege anzetteln und Nachbarländer überfallen… ?
Seht Euch das Gebaren dieser Machtpolitiker an: Vor Kameras spielen sie den „Starken Mann“, der alles (und noch mehr) im Griff hat und jeden Widerstand platt macht. Diese autoritären Herrscher und Diktatoren haben sich mit Hilfe des Militärs an die Macht geputscht oder nach einer Karriere im Geheimdienst mit allen dort erlernten Mitteln und Tricks sowie Seilschaften alter Kollegen an die Macht gedrängt.
Damit ist nicht hinreichend erklärt, warum es viele solcher Typen gibt und warum Viele ihnen nacheifern und Macht über Menschlichkeit stellen, ja sogar letztere ganz aus den Augen verlieren. Diese Typen glauben, es sei gerade die Rücksichtslosigkeit, die sie nach oben bringe. Und sie bilden sich ein, dafür besondere Bewunderung zu verdienen, weil sie auf ihre speichelleckende Entourage hören. Es wäre besser für unsere Gesellschaft und für die Welt überhaupt, wenn sich viel mehr Leute einig wären, solches Verhalten zu ächten und nicht nur moralisch fragwürdig zu finden.

Wer, um seine Macht zu vergrößern, keine Skrupel kennt und auch nicht danach fragt, was es den betroffenen Menschen bringen soll, an einer Front verheizt zu werden in einem Krieg, der den meisten Menschen im Land der Angreifer rein gar keinen Vorteil bringt, der gehört geächtet und vor ein Gericht gestellt. Und das Land der Angegriffenen sollte jede Unterstützung bekommen, den Angreifer zurückzuschlagen, um den Schaden zu begrenzen und weitere Schäden zu verhindern.

Was bringt es denn dem einzelnen Staatsbürger, sich für aggressive Politik einspannen zu lassen? In Deutschland gibt es wahrlich genug historische Beispiele vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Zweiten Weltkrieg, die uns klar machen: Krieg ist Mist. Und in der Regel brechen Kriege nicht aus, sondern werden mit Absicht riskiert oder sogar angezettelt. Manchmal aus männlicher Ehrenpusselei, mal als Ausflucht vor Kritik im Inneren, mal aus plattem Kalkül der Machtgier und der Aussicht auf reiche Beute, etc.

Krieg ist aber auch für die Mächtigen riskant, die sich daraus Vorteile versprechen. Wie die Geschichte zeigt, werden selten die Vorstellungen erfüllt, die sich Angreifer ausgerechnet oder erhofft haben. Schon Herodot, der erste Historiker der Griechen, berichtet von einem König, der ein Nachbarland angreifen wollte und vorher ein Orakel über seine Erfolgsaussichten befragte. Die Antwort: „Wenn du diesen Krieg beginnst, wirst du ein großes Reich zerstören.“ Das nahm er erfreut als Verheißung auf und griff an. Doch das Resultat war: Er wurde geschlagen, das Reich, das er zerstörte, war sein eigenes.

Denken Sie selbst an Beispiele, Sie finden sicher welche von Kriegen, die für die Angreifer im Desaster endeten. Historische Studien haben festgestellt: Krieg verläuft nie nach Plan.

Auch aktuell sehen wir, dass Putins Plan für seinen Eroberungskrieg gegen die Ukraine nicht aufging. Alle Welt hat gesehen, dass sein „Blitzkrieg“-Vorstoß auf Kiew im Desaster und mit Rückzug endete. Und dass ab März 2022 der Krieg anders verlief, als russische Militärs sich das gedacht hatten. Was den weiteren Kriegsverlauf betrifft, so treten in unseren Medien immer wieder Militärexperten und auch selbsternannte Experten auf, die wissen wollen, was für die Zukunft zu erwarten sei.

Darunter sind Stimmen, die verkünden, dass Russland diesen Krieg gar nicht verlieren könne, weil es ein so großes Land sei. Das klingt in meinen Ohren oberflächlich, wenn nicht naiv. Wer keine Ahnung von militärischen und kriegslogistischen Dingen hat, neigt vielleicht dazu, so etwas für überzeugend zu halten. In diesem Krieg sind aber bisher schon einige Dinge passiert, die manche Pessimisten nicht für möglich hielten, weil sie die Ukraine von vorneherein für hoffnunslos unterlegen hielten.

Manchmal beschleicht mich das Gefühl, die Unterstützung aus westlichen Ländern für die Ukraine kam (aus was für Gründen auch immer) nicht zügig und konsequent, man debattierte (vor allem bei uns) über Waffengattungen und ihre Wirkungsweise, man äußerte Furcht vor Eskalation, man wollte Putin nicht reizen…. Dabei war es doch Putin, der keine Rücksicht auf irgendwen nahm und diesen Krieg vom Zaun brach. Und Putin drohte und droht immer wieder mit Eskalation durch Einsatz von Nuklearwaffen. Warum wohl?

Immer noch fordern Friedensbewegte, unsere Regierungen sollten mehr „die hohe Kunst der Diplomatie“ nutzen und weniger von Waffenlieferungen reden. Dazu fällt mir zuerst immer das Foto aus dem Kreml ein, wo im Februar 2022, einige Tage vor dem russischen Angriff, Kanzler Scholz zum Gespräch mit Putin an einem Tisch sitzt, und Putin hat ihn sich an einem absurd langen Tisch gegenüber gesetzt. Das war schon die symbolische, bildliche Verhöhnung aller diplomatischen Bemühungen. Putin ließ sich nicht vom Krieg abzuhalten. Putin, der Machtmensch, zeigt gern in Bildern, was für ein machtvoller, starker Kerl er sei.

Unsere Friedenbewegten im Lande greifen ständig unsere Regierung und „den Westen“ wegen „zuwenig diplomatischer Benühungen“ an, reden aber fast gar nicht von der Gegenseite am Verhandlungtisch. Und da kommen wir wieder an den Anfang, an den nicht vorhersehbaren Verlauf von Kriegen. Gegen die historische Erfahrung wird behauptet, die Fortsetzung der Unterstützung für die Ukraine sei sinnlos, man müsse sofort über Waffenstillstand verhandeln. „Jeder Krieg endet am Verhandlungstisch“, riefen sie. Ja, aber soweit sind wir doch noch nicht. Die Frage lautet zuerst: Was muss entscheidend passieren, damit überhaupt verhandelt wird?

Solange Putin sich von der Fortsetzung des Krieges mehr verspricht als von einem Waffenstillstand, wird er nicht ernsthaft in Verhandlungen eintreten wollen. Das liegt auf der Hand. Leider war aber die Unterstützung der Ukraine nicht so konsequent, wie sie hätte sein müssen, damit Putin größere militärische Niederlagen erlitten hätte. Nur das hätte ihn umstimmen können.

Darüber hinaus muss man sich klarmachen: Der Charakter Putins und seines Herrschaftsapparates ändert sich nicht, wenn er irgendwelche Vereinbarungen über Waffenstillstand oder Frieden unterschreibt. Das ist ja nach wie vor Fakt: Putin hat gezeigt, dass er Vereinbarungen und Verträge ignoriert, wenn es ihm Vorteile bringt. Darum ist mit seiner Unterschrift noch nicht viel gewonnen. Einen Frieden bekommen wir erst, wenn er effektiv eingebunden wird in ein Sicherheitssystem, das in Europa wieder stabile Grenzen und deren Respektierung schafft.

Ich halte es für eine Illusion zu glauben, dass Russland seine imperialen Ziele aufgeben wird, nachdem Putin schon die Geschichtsbücher für die Jugend umschreiben ließ und ständig Propaganda für seine Vorstellung der „russischen Welt“ macht. Wenn einer schon Stalin (!) als Vorbild wiederbelebt und seine Soldaten Gräueltaten unter Zivilisten begehen lässt (Die Militär-Einheit, die in Butscha viele zivile Tote auf den Straßen zurückließ, wurde von Putin persönlich vor Fernsehkameras mit Orden belohnt), was soll man da für die Zukunft erwarten?

Zu erwarten ist, dass die Saat des imperialistischen Denkens in Russland auch auf lange Sicht aufgehen wird, dass Putins Werteprinzip der rücksichtslosen Gewalt die russische Gesellschaft nachhaltig prägen wird, dass also Russland nicht als friedensstiftender Faktor in Europa wirken wird (egal, wie der aktuelle Krieg in der Ukraine beendet wird).

Wer jetzt der Ukraine die Unterstützung entziehen will, ist entweder politisch naiv oder von Putins Propaganda eingenommen. Beides läuft auf eine Unterwerfung unter die Herrschaft von Putin hinaus. Dies sollten alle bedenken, die glauben, ein schneller Waffenstillstand und Frieden mit Putin um jeden Preis sei das Gebot der Stunde.

Im Übrigen finde ich es unverschämt, wenn „Friedenstauben“ der Ukraine nahelegen, auf Gebiete zu verzichten, damit Ruhe einkehre. Ruhe für wen? Ihr könnt nicht Putin Gebiete schenken, die Euch gar nicht gehören! Putin hat sich schon widerrechtlich Teile der Ukraine angeeignet und dort „Russifizierung“ mit all ihren hässlichen Konsequenzen begonnen. Das wollt Ihr ihm durchgehen lassen und ihm auch noch eine Belohnung geben? Für ein bisschen (vorläufigen) Frieden? Glaubt Ihr denn, danach könntet Ihr ruhiger schlafen? Das ist in meinen Augen Traumtänzerei.

Offensichtlich geht es um viel mehr als nur um die Frage, wie man den aktuellen Krieg in der Ukraine beendet. Es geht nicht um ein bisschen Frieden, um eine Atempause zu haben, während Putin weitere Ziele auf dem Kartentisch absteckt. Es geht um eine stabile Friedensordnung, in der wirklich Friede in Europa einkehrt — und bleibt.

W. R.

P.S. Mehr zur aktuellen Debatte um Pazifismus und Waffen siehe Essay „Und den Menschen ein Wohlgefallen?“, zu finden in der Unterseite Clio, 6.

Zusatz am 11.08.24: Der Vorstoß ukrainischer Truppen in den Bezirk Kursk beweist, dass die ukrainische Armee bisher daran gehindert wurde, ihre Operationen so zu planen, wie es die russische Seite kann. Der Westen hat stets seine Waffenlieferungen an Bedingungen gebunden — zum Vorteil der russischen Seite: Im Gegensatz zur Ukraine konnte das angreifende Russland vor effektiven Angriffen auf sein Gebiet relativ sicher sein. Putins Propaganda bezeichnet den berechtigten Angriff der Ukraine auf russisches Staatsgebiet denn auch als „Provokation“; wenn er „Provokation“ sagt, versucht er wieder einmal, besonders den Deutschen Angst zu machen. Bei den Ukrainern kann er seinen Terror sowieso nicht mehr steigern. Putin versucht an der mentalen Front, deutsche Friedenstauben weich zu kochen, weil er die deutsche Hilfe für das angegriffene Land sehr gern ausschalten würde. Und weil er mit seinen Trollfabriken die Möglichkeit hat und nutzt, die Tiktok-Generation zu beeinflussen und AfD und BSW weiter Schützenhilfe zu geben. —

German Angst?

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, einen ruhigen Abend in meiner Stammkneipe zu genießen und mich auch beim Abendessen nicht stören zu lassen. Das lief auch gut an, bis die Runde der Stammgäste am Tresen sich zusammenfand. Ich hatte mir fest vorgenommen, in diesem Falle wegzuhören und mein Ohr nicht wieder der Diskussion am Tresen zu leihen. Doch bald war ich doch wieder dabei, die Debatte zu verfolgen, weil sie mich inhaltlich interessierte. Ich bekam nicht mit, wer welche Meinung vertrat, wollte ja auch gar nicht hinhören und -sehen, aber soviel hörte ich trotzdem:

„Also, dat wär ja ein Ding, mit dem Scholz mich positiv überraschen würde: Wenn die Ukrainer plötzlich mit ein paar Taurus-Marschflugkörpern den russischen Nachschub an die Front unterbrechen würden! Die aktuelle Lage im April 2024 gibt das her, es wäre ein starkes Zeichen für Umdenken des Kanzlers angesichts der veränderten Lage. Was würde passieren? Die Russen könnten ihre befürchtete Offensive auf Charkiv nicht wie geplant durchführen und müssten sie verschieben — und genau das braucht die Ukraine jetzt dringend, nämlich die Zeit, bis die endlich beschlossene Hilfe aus den USA vor Ort eintrifft. Ist ja gut, dass sich Scholz in Europa für weitere Lieferungen von Luftabwehrsystemen stark macht. Aber die Ukraine braucht zurzeit mehr. Und ich würde Scholz demnächst wieder wählen, wenn er diesen Schritt… “ —
„Nun stopp mal, das geht zu weit! Er hat Taurus nicht liefern wollen, und ein Großteil seiner Partei findet das gut, ich übrigens auch! Russland ist immerhin Atommacht, die darf man nicht leichtfertig reizen.“ —
„Moooment mal! Das ist ein sehr fragwürdiges Argument. Vor allem streut das die russische Propaganda immer wieder, weil es gerade in Deutschland Eindruck macht. Besonders in der SPD glaubt man, der eigene Markenkern in der Außenpolitik sei Willy Brandts Friedenspolitik. Kann man glauben, geschenkt! Das muss aber nicht im 21. Jahrhundert weiterhelfen. Im Kalten Krieg hatten wir eine in vieler Hinsicht andere Weltlage. Was damals gut lief, kann man nicht 1:1 auf heute übertragen. Und wir haben ja schon erfahren müssen, dass Russland heute nicht so handelt wie die Sowjetunion damals. Deswegen haben sich doch Viele getäuscht und sich von Russlands billigem Gas abhängig gemacht.“ —
„Das war doch unter Merkel von der CDU!“ —
„Ja, und wer saß mit am Kabinettstisch? Wir hatten die GroKo von CDU und SPD. Schon vergessen?“ —
„Hört auf damit, jetzt geht’s um heute und morgen! Allerdings sind in der SPD und anderswo noch nicht alle Friedenstauben aufgewacht und meinen immer noch, sie könnten verhandeln statt Kriegführung unterstützen. Dabei wollen sie nicht wirklich auf die militärischen Notwendigkeiten blicken — wohl auch, weil sie sich nur mit Friedensideen befassen, aber keinen Schimmer vom Verlauf und den möglichen Wendungen von Kriegen haben. Putin hat es ja klar gesagt: Bei der gegenwärtigen, für ihn aussichtsreichen Lage sieht er keinen Grund zu Verhandlunngen.“ —
„Eben, und daran könnten einige Taurus-Einschläge an den richtigen Stellen etwas ändern. Das heißt: Erst wenn die Lage aus Putins Sicht nicht mehr aussichtsreich ist, sondern ihm die Kontrolle auch über annektierte Gebiete entgleitet, erst dann können wir mit Verhandlungsbereitschaft rechnen. Dann nämlich hätte Putin Angst, noch mehr zu verlieren, und würde sich beeilen, das Erreichte zu sichern — bevor er womöglich weggeputscht wird. Darum geht es doch.“ —
„Das sehe ich auch so. Und ich bezweifele, dass Putins Umfeld ihm allein den Roten Knopf überlassen wird, um Atomwaffen einzusetzen. Russland würde sich politisch weitgehend isolieren, vor allem von China.“ —
„Da ist was dran. Übrigens hat der Iran schon mal US-Militäreinrichtungen im Mittleren Osten angegriffen, obwohl die USA eine starke Atommacht sind. Und, haben die USA einen Atomwaffen-Einsatz auch nur angedroht? Haben sie nicht. Bei uns tun aber Einige so, als säße Putin mit nervösem Finger am Roten Knopf im Kreml. Das kommt vor allem von Leuten wie Sarah Putinknecht.“ —
„Die schüren die German Angst, wie das im Ausland oft spöttisch heißt. Putin gefällt das. Der alte Geheimdienst-Fuchs weiß genau, wie man Leute einschüchtern und in Angst versetzen kann. Nur muss das Opfer auch mitspielen und sich einschüchtern lassen. Wirklich Angst haben müssen doch die Leute, die Putin offen kritisiert haben und im Gefängnis landen, oder ins Ausland fliehen. Sie sind nirgendwo sicher.“

Ich hatte meine Zeche bezahlt und verließ das Lokal, während am Tresen Einer eine Runde gab, und alle sich zuprosteten und weiter friedlich im Gespräch blieben. Das war das Sympathische an dieser Runde: Selbst wenn sie verschiedener Meinung waren und sich stritten, waren sie sich einig darin, hier nur Meinungen und Argumente auszutauschen und niemanden persönlich für seine Meinung anzufeinden. Und deshalb trafen sie dort immer wieder zusammen und genossen einen angeregten Abend.

W. R.


Eine schlüssige Strategie?

Mal wieder stand die übliche Gruppe um den halbrunden Tresen herum und kam ins Debattieren. Jupp hörte gleichmütig mit, hielt sich aber heraus und konzentrierte sich auf den unmittelbaren Nachschub, wenn sich Gläser leerten. Er war eben ein erfahrener Wirt und Gastgeber.
Ein Streitgespräch nahm gerade Fahrt auf.
„Nee, Tünn, dat seh ich janz anders,“ ereiferte sich Heiner, „der Kanzler macht et richtig: Kein Taurus in die Ukraine, dat es zu jefährlich! Nachher schießen die dem Putin seine Lieblingsbrücke an der Krim kaputt, und dann dreht der womöglich durch un sacht: ‚Jetzt reicht’s, jetzt mach ich die mit ein paar kleinen Atomwaffen platt, un dann sitze ich im Kreml un lass die Unterhändler zu mir kommen und um Frieden winseln.“
„Nee, Heiner, dat es reine Spekulation. Aber ich finde, dat läuft sowieso falsch bei uns. Putin weiß immer schon vorweg, wat wir vorhaben, bevor et bei uns in den Nachrichten kommt un in der Zeitung steht. Aber zu allererst sagen ihm schon seine Spione und die abgehörten Gespräche von Führungsoffizieren, was bei uns geplant wird.“
„Deswegen;“ schaltete sich Karl-Heinz ein, „würde ich als Kanzler sowieso zweigleisig fahren. Auf der einen Seite würde ich so reden wie Scholz, damit die Pazifisten in meiner Partei beruhigt sind, und auf der anderen Seite würde ich unter strengster Geheimhaltung den Einsatz von Taurus-Marschflugkörpern von ukrainischen Spezialisten trainieren lassen, schon seit Monaten.“
„Du willst also, dass der Kanzler die Öffentlichkeit belügt;“ polterte Heiner dazwischen.
„Mensch, Heiner, darum geht’s doch gar nicht.“
„Und worum dann?“ erregte sich Heiner noch lauter.
„Komm mal ein bisschen runter! Es geht doch nicht um Befindlichkeiten von uns friedensverwöhnten Deutschen. Es geht darum, wie es auch Scholz gesagt hat: Die Ukraine darf diesen Krieg nicht verlieren. Und derzeit sieht es nicht so gut für sie aus. Der Ukraine geht die Munition aus, dabei hatten westliche Staaten viel mehr versprochen, als in letzter Zeit angekommen ist.“
„Daran ist doch der Kanzler nicht allein schuld,“ warf Tünn ein.
Karl-Heinz ließ sich nicht beirren. „Die Lage ist jetzt, wie sie ist. Die Russen haben keine Nachschub-Probleme, solange sehr viel über die Kertsch-Brücke herangebracht wird. Dadurch entsteht an der Front eine russische Überlegenheit, die viele ukrainische Opfer kostet. Die Zerstörung der Kertsch-Brücke oder wenigstens ihre nachhaltige Beschädigung würde einen russischen Vormarsch verhindern oder verlangsamen. Die Ukrainer würden Zeit gewinnen, der Westen könnte mehr Munition und Luftabwehr liefern…“
„Die Brücke ist aber auch Putins Prestigeobjekt, mit dem er sich gebrüstet hat. Er könnte doch ausrasten und, wie Heiner schon sagte, …“
„Jetzt hört mal auf mit Euren Spekulationen, Ihr Sandkastenstrategen! Redet nich dauernd vom Militär, redet lieber von Friedensverhandlungen…“
„… die nicht stattfinden,“ warf Karl-Heinz ein. „Putin hat vot Kurzem selbst gesagt, dass er keinen Grund für Verhandlungen sieht. Ja, warum denn auch? Er wittert Morgenluft und hofft auf eine Niederlage der Ukraine, und weil er alles tun wird, um Trump ins Weiße Haus zu hieven, und weil der Westen derzeit zuwenig an die Ukraine liefert, und weil bei uns immer noch Rücksicht auf Friedenstauben genommen wird. Wer wünscht sich keinen Frieden! Aber was ist das für eine Anmaßung, den Ukrainern nahezulegen: Nun gebt doch noch was ab von Eurem Land, dann ist Ruhe. Wofür haben die denn schon über zwei Jahre gekämpft?“
„Da hat der Karl-Heinz nen Punkt!“ meinte Heiner. Es sind doch wir und andere Europäer, die ihre Ruhe wieder haben wollen. Aber denken wir mal nach: Diese Ruhe, in der wir uns vor dem Februar 2022 wähnten, die ist eine Illusion, auf jeden Fall für die Zukunft. Putin muss sich schlapp gelacht haben, als wir unsere Bundeswehr heruntergespart haben…“
„… und dazu die Wehrpflicht de facto abgeschafft!“ rief Tünn dazwischen.
„Ja, schlimm,“ meinte Karl-Heinz, „aber das ist Geschichte. Wir sollten aus der Geschichte lernen, aber möglichst das Richtige. Jetzt ist die Lage so, dass Putin gewinnen könnte. Ich glaube, dass sich Viele immer noch nicht klar darüber sind, was das bedeutet.“
„Geeenau!“ meldete sich Gerhard genannt Gerry zu Wort. „Ich weiß zwar nicht, ob unsere Freiheit am Hindukusch verteidigt wurde, aber ich bin mir schon viel sicherer, dass sie in der Ukraine verteidigt wird.
Wie man jetzt hörte, fehlte uns in Afghanistan eine schlüssige Strategie, und teilweise auch die passende Ausrüstung für unsere Soldaten. Und heute? Wir unterstützen die Ukraine mit Ausrüstung und viel Geld, um den Staat am Leben zu erhalten. Aber wenn es darum geht, dass die Russen aus dem Land gedrängt werden, dann hören wir hier so manches Herumgeeiere. Von Anfang an sagte Scholz zwar, die Ukraine darf den Krieg nicht verlieren, aber er sagte nie, sie müsse den Krieg gewinnen. Das ist mir immer aufgestoßen, und ich habe mich gefragt: Warum sagt er es so und nicht anders? Nimmt er auf Putin Rücksicht, auf seine pazifistischen Landsleute, oder auf wen? Bestimmt denn Putin allein, wann wir als Kriegspartei gelten?“
„Und wenn Macron den Einsatz von Bodentruppen nicht ausschließt — ja wenn schon, das sind erst mal nur Worte, die aber Putin sagen: Wir schließen nicht aus, dass wir das mal tun könnten. Mehr nicht. Scholz aber sprang direkt darauf zu und schloss das kategorisch aus, weil wir nicht Kriegspartei werden wollen.“

So ging das Gespräch am Tresen noch eine Weile weiter, während ich mein Essen bekam und es genoss: Grünkohl bürgerlich, d.h. vermischt mit Kartoffelstückchen, dazu Mettwürstchen, daneben stellte die Bedienung ein frisch gezapftes Kölsch. Und ich vergaß für eine Weile, dass die Russen derzeit eine politische Spezialoperation schlucken müssen, die sie „Wahl“ nennen sollen, und dass sie seit über zwei Jahren einer militärischen Spezialoperation applaudieren sollen, die sie nicht „Krieg“ nennen dürfen…

W. R.

Update am 23.03.24: Kaum hat Putin die „Wahl“ gewonnen und sich als Sieger feiern lassen, hört man aus Moskau gestern: Man darf die „militärische Spezialoperation“ gegen die Ukraine jetzt auch „Krieg“ nennen. Das kann nur bedeuten, dass Putin nun glaubt, es nütze ihm mehr, offen von Krieg zu sprechen, weil damit weitere (unpopuläre) Einberufungswellen besser der Bevölkerung plausibel gemacht werden können.

Die russische Bevölkerung ist zwar nicht blöd, aber stark eingenebelt von der Propaganda der Staatsmedien. Alternative Informationsquellen sind den meisten Russen kaum bekannt oder zugänglich. Deshalb behauptet Putin unverfroren Dinge, an denen auch „normale“ Russen zweifeln mögen, z.B. dass die Spur der Attentäter vom Konzertsaal in Richtung Ukraine führe. (Allen Russen ist die voraufgegangene Serie von Anschlägen islamistischer Attentäter bekannt, die meist aus Tschetschenien kamen.)

Das zeigt mir: 1. Putin ist besessen von seinem Krieg gegen die Ukraine, 2. Putin interessiert sich nicht für Menschen, sondern allein für die Festigung seiner Macht — denn gerade dieses Attentat, für das eine IS-Gruppe die Verantwortung reklamiert, zeigt, dass er und sein Geheimdienst nicht alles im Griff haben, und das trotz Vorwarnung. Aber ich sage nur: Erzähl‘ mir was Neues über Putin, das ist doch nur sein übliches Verhalten.

Glaubwürdig bleiben

ES ist ermüdend. Ein pazifistisches Mantra soll bewirken, dass die Realität es sich anders überlegt und sich an den Glaubenssätzen von Pazifisten orientiert.

Da wäre z.B. das Mantra: „Diplomatie statt Waffenlieferungen.“ Die Vorsitzende der neugegründeten Partei BSW hatte ein Schild mit diesem Slogan neulich vor ihr Rednerpult geklebt. Sie und andere kritisieren, dass beim Krieg in der Ukraine nur vom Militärischen, aber fast nie von Diplomatie und Verhandlungen die Rede sei. Dabei wird zunächst allen weniger Informierten vorgespiegelt, es gäbe keine diplomatischen Bemühungen um Waffenstillstand und Friedensverhandlungen; des weiteren wird ignoriert, dass Diplomatie sich oft hinter den Kulissen bewegt und sich daher gerade nicht für alle sichtbar im öffentlichen Raum abspielt.

Die pazifistische Argumentation lässt auch einen wichtigen Grundsatz außer Acht: Man kann einen Krieg nur verhindern, bevor er begonnen hat. (Ich vermeide das Wort „ausbricht“, weil Krieg im Unterschied zu einem Vulkanausbruch immer von Menschen herbeigeführt wird und kein unvermeidliches Naturereignis ist.) Ist ein Krieg erst in Gang gekommen, stoppt ihn so schnell keine Diplomatie, weil sich mindestens eine der Konfliktparteien Chancen ausrechnet, militärisch Vorteile zu erlangen, wenn nicht gar den Krieg zu gewinnen.

Kriegsherr Putin setzt derzeit darauf, dass die Zeit für ihn arbeitet, weil a) der Westen der Ukraine nicht genug Munition und Waffen liefert, b) die von Trump gelenkten Republikaner im US-Kongress weiter die Hilfen für die Ukraine blockieren, c) die kommenden Wahlen in den USA Trump direkt an die Macht bringen könnten. (Man unterschätzt dabei weithin die Wirkung der Wühlarbeit von Putis Trolls im Netz, besonders in den social media.)

Wohlgemerkt: Pazifismus ist eine moralisch ehrenwerte Haltung. Es kann aber schwierig werden, diese Haltung in der Wirklichkeit durchzuhalten, wenn die Zeichen auf Konflikt stehen und gewalttätige Auseinandersetzungen drohen. Der S.R. selbst nahm 1981-83 an Demonstrationen gegen die Nato-Nachrüstung teil, seit damals hat sich die Welt ein deutliches Stück weiter gedreht. Das bedeutet, dass er längst nicht mehr ungeprüft an früheren Glaubenssätzen und politischen Einschätzungen festhält, sondern Manches überdacht hat und seinen Blick nicht Ideologien unterordnet, die vor 40 Jahren im Kalten Krieg Bedeutung hatten.

Es scheint angebracht, klar und deutlich zu sagen: Es tobt ein globaler politischer und kultureller Kampf zwischen Autoritarismus und freiheitlicher Gesellschaft. Manche sagen auch einfach: zwischen Diktatur und Demokratie. Putin steht für Diktatur, für seine persönliche Herrschaft über Russland, und diese Herrschaft will er nicht nur durch Niederschlagung jeglicher Opposition, sondern auch durch Konflikte und Kriege stabilisieren, weil er damit die Bevölkerung nötigt, ein nationales Interesse mit seiner Position als Machthaber zu verknüpfen. Putins Mantra: Die Nato, der Westen bedroht uns, wir müssen zusammenstehen und uns wehren.

Was Putin in seiner jüngsten Rede zur Lage der Nation sagte, enthielt nichts Neues. Seine Propaganda sagt Dinge über „den Westen“, die man größtenteils durch „das russische Regime“ ersetzen kann, damit sie stimmen. Er hat kein Problem damit, Fakten auf den Kopf zu stellen und russische Kriegsverbrechen zu leugnen. Er bemüht sich in mehrfacher Hinsicht, Stalin nachzueifern, am liebsten wäre ihm der Name „Wladimir der Schreckliche“ in den Geschichtsbüchern (die er ohnehin schon umschreiben lässt.)

Wo ist der reale Ansatz der pazifistisch Gesinnten, mit Putin ins Gespräch oder gar in Verhandlungen zu kommen? Wer fordert, wir sollten bedingungslos die Waffenlieferungen an die Ukraine einstellen, der meint Kapitulation auf Kosten der Ukraine. Muss man dazu mehr sagen?

Aber es käme ja noch viel schlimmer: Die Ukraine ginge unter, Putin würde maßlos triumphieren und im Hochgefühl seiner Popularität die nächsten „Spezialoperationen“ in Angriff nehmen. Das glaubt Ihr nicht? Ja, könnt Ihr denn nicht weiterdenken? Und China würde sich ermutigt fühlen, schnell Taiwan militärisch einzunehmen, das wäre ein Riesenerfolg für Diktator Xi.

„Der Westen“ würde weltweit als Verlierer betrachtet, seine Werte von Menschenrechten und Demokratie würden von keinem Land mehr ernst genommen. Das Verhältnis von Diktaturen zu Demokratien würde vollends zu ersteren kippen. Folge: Die Welt würde noch mehr zersplittert in zahlreiche gewaltbereite, nationalistische Regime, die mit anderen Ländern nur noch Zweckbündnisse auf Zeit eingehen.

Ideologisch würden diese Verhältnisse fußen auf dem Prinzip „Kampf jeder gegen jeden“, die Nationalismen würden Feindschaften wachsen lassen, überall würde man die Unterschiede und das Trennende thematisieren und Gemeinsamkeiten beiseite wischen. Faschismus würde sich in der Welt ausbreiten.

Nun meinen sicher Einige: Das ist doch übertrieben, das geht viel zu weit. Ich aber sage: Wer weiterdenkt und Kenntnisse aus der Geschichte einbezieht, wer sich wenigstens erinnert, dass sich vor dem 24.02.2022 niemand bei uns den Überfall Russlands auf die Ukraine vorstellen konnte oder wollte, der müsste vorsichtiger sein mit optimistischen Prognosen.

Darum stimme ich der These zu: Die Ükraine verteidigt nicht nur ihr Land, sie kämpft und blutet auch für uns, indem sie Putins Eroberungskrieg zu stoppen versucht und das Europa der freiheitlichen Lebensweise verteidigt. Putin darf nicht gewinnen, und mehr noch: Putin muss eine Niederlage einstecken, die Ukraine muss siegen. Und das gerade auch aufgrund unserer Hilfe — damit wir in der Welt glaubwürdig bleiben.

S. R.

Dazu noch ergänzende Beiträge auf diesen Links:

Republikaner stoppen Ukraine-Hilfe: Wladimir Putins Saat geht auf – Kolumne – DER SPIEGEL

Ukraine-Krieg Der deutsche Mittelweg ist gescheitert – Gastbeitrag – DER SPIEGEL

zu Putis speziellen Geschichtsverweisen: Wladimir Putin: Früherer mongolischer Präsident Tsakhiagiin Elbegdorj trollt Kremlchef mit Landkarte – DER SPIEGEL

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Trump, Putin und die wahre Wahrheit

WER wusste noch nicht, was „Populismus“ ist? Gerade hat Donald Trump nochmal als Beispiel eine Äußerung rausgehauen, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt. Bei einem Wahlkampfauftritt behauptete er, einem europäischen Präsidenten gesagt zu haben: Wenn Ihr Eure Rechnungen nicht bezahlt (d.h. mindestens 2% des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgebt), dann verteidigen wir euch auch nicht, und „dann ermutige ich einen Angreifer zu tun, was immer er tun möchte.“
Dieser Kraftspruch, der vorgibt, Trump könne von jetzt auf gleich den Nato-Vertrag außer Kraft setzen, zeigt:
1. Trump ist keine Ungeheuerlichkeit zu schrill, um von sich reden zu machen, Aufruhr hervorzurufen und Tabus der Politik in Frage zu stellen; das zeigt
2. Trump ist vielleicht ein „dealmaker“, der in der Wirtschaft einigermaßen (d.h. mit Tricksereien) klarkommt, aber er ist kein Politiker, und er ist ganz gewiss kein Außenpolitiker. Schon in seiner Amtszeit als Präsident hat er das bewiesen. Einer seiner schlimmsten Fehler war seine vermeintliche Kumpanei mit Wladimir Putin, der dreimal gerissener als Trump ist und ihn in die Tasche steckt.

Apropos Putin: Immer deutlicher schält sich das Bild heraus, dass Putin im ganzen Westen — und nicht nur dort — seine Fäden zieht, die er, als alter Geheimdienst-Mann gewieft, schon lange gesponnen hat, sei es im Internet und da besonders in den social media, sei es in anderen Medien. Seine Trolls stützen weltweit rechtsradikale Strömungen und Organisationen, da fließt auch Geld, damit seine Propaganda-Erzählungen verbreitet werden. Sein Ziel ist die Destabilisierung demokratisch regierter Staaten sowie von Regierungen, die seine Politik kritisieren.
Man kann sich nur noch wundern, wieviel davon in den Köpfen z.B. von Deutschen hängenbleibt, wie unbedarft sie sich in Kanälen im Internet „informieren“, die ihnen vorgaukeln, die wahre Wahrheit zu verkünden, welche angeblich in anderen Medien unterdrückt wird.
Wer kein solides Grundwissen in Politik und Geschichte besitzt, lässt sich leicht von Behauptungen einfangen und irreführen, die auf dubiosen Kanälen und in den social media gestreut werden. In seriösen Medien werden Behauptungen normalerweise überprüft, da wird nichts ungeprüft sofort online gestellt.
Aber die dubiosen Kanäle stellen diese Verhältnisse auf den Kopf, streuen Zweifel an den geprüften und sicheren Fakten in den Nachrichten und fabulieren von Verschwörungen… So erschleichen sie das Vertrauen verwirrter und wenig informierter Leute, die im Internet unterwegs sind.
Trump hat 2016 in seinem Wahlkampf kräftige Unterstützung von Putins Trolls bekommen, und 2024 wird Putin sicher alles tun, um den Nato-Schreck Trump wieder ins Weiße Haus zu puschen.
Was glaubt Ihr, was Putins Trolls und seine Influencer alles versuchen, um die Ukraine-Hilfe im Kongress zu Fall zu bringen? Er hat die Partei der Republikaner im Zusammenwirken mit Trump so auf seine Linie gebracht, dass diese Partei sich nur noch als Befehlsempfänger für Trump zeigt.
Jetzt fragen Manche (durchaus zu Recht, natürlich): Wo sind die Beweise? Ich meine: Es ist mit Händen zu greifen, was hinter der Fassade vor sich geht. Und wenn mehr Leute nach Beweisen fragen würden, wäre Trump wohl nicht in der Lage gewesen, seine Behauptung von der „gestohlenen Wahl“ bis heute zu verbreiten und dafür Unterstützung in seiner Partei zu finden.
Trump wollte nach der knapp verlorenen Wahl nicht einsehen, dass auch er, der große Zampano, einmal eine Wahl verlieren könnte. Sein narzistisches Ego kann mit einer Niederlage nicht umgehen. Daher inspirierte er seine radikalen Anhänger dazu, am 06.01.2021 das Capitol zu stürmen. Das allein ist ein so ungeheuerlicher und antidemokratischer Vorgang, dass Trump dafür längst hätte im Gefängnis sitzen können, ja müssen.

Wie gesagt, Trump ist kein Außenpolitiker. Sein ganzes Reden und Tun zielt darauf, im Inneren der USA zu punkten und seinen WählerInnen nach dem Mund zu reden. Sowas nennt man Populismus: dem Volk nach dem Munde reden, egal, was man wirklich vorhat. So kann er nach Belieben sogar die Nato in Frage stellen, weil seine Gefolgschaft gar nicht versteht, dass die USA mit ihren Bündnissen auch eigene Interessen in der Welt verteidigen.

Leider ist in den USA die Außenpolitik kein Themenbereich, mit dem jemand Wahlen gewinnen könnte. Das verschafft Trump eine gewisse Narrenfreiheit, denn seine Gefolgschaft interessiert sich nicht für ferne Länder; sie will z.B. die Einwanderung nicht-weißer Menschen in die USA blockieren. Trumps Vorhaben einer Mauer an der mexikanischen Grenze kommt besonders bei weißen Rassisten gut an.

Nochmal zu Putin: Für ihn geht es um viel! Wenn die Unterstützung der USA für die Ukraine eingestellt würde, wäre das schon das schnelle Ende des militärischen Widerstands der Ukraine.

Für den Westen geht es aber auch um viel: Wenn Putin mit seinem Eroberungskrieg durchkäme, wäre das ein schlimmes Signal an alle Machthungrigen in der Welt, nämlich die Botschaft: Gewalt und Krieg lohnen sich, im Zweifel ist der Westen uneinig und weicht zurück, statt die Werte von Menschenrechten und Demokratie zu verteidigen.

Daher kann uns Deutschen nicht egal sein, wie der Krieg Putins gegen die Ukraine endet. Hier geht es auch um die Glaubwürdigkeit des Westens, der EU. Und nach dem Afghanistan-Debakel (August 2021) wäre es gut, wenn hier der Westen standhaft bliebe und die Ukraine konsequent mitverteidigte. Die Hauptlast des Krieges trägt ohnehin die Ukraine — aber, nicht zu vergessen: auch die vielen russischen Opfer. Und die Russen werden von Putin kusch gehalten, Protest darf es nicht geben: Russland ist inzwischen eine lupenreine Diktatur.

Aber auch Trump zeigt offen seine Gedankenspiele um Machtergreifung und (zumindest kurzfristige) Diktatur. Und sein Respekt für die Wahrheit ist längst hinter dem Horizont verschwunden. Seriöse Medien hat er vor Jahren schon beschimpft: „You are fake news!“ (Das entspricht der deutschen Beschimpfung „Lügenpresse“.) Und er schreckt nicht einmal davor zurück, Artikel aus seriösen Medien zu manipulieren und sie zu Trump-Lob umzufunktionieren: Donald Trump verbreitet manipulierte Newsweek-Artikel als »Originalversionen« – DER SPIEGEL

Worüber soll man eigentlich mit solchen Figuren reden, wenn Fakten mal Fakten und dann wieder Fake sind, wie es halt gerade passt? Das gilt leider auch für diejenigen unserer Landsleute, die sich aus solch dubiosen Quellen „informieren“ und glauben, sie seien informiert.

Im Grunde kann man mit einem Putin nicht über Fakten diskutieren, sondern — wie er es tut — Fakten schaffen. Das bedeutet: Putin muss militärisch zurückgedrängt werden. Man muss ihn in eine Lage bringen, in der er die Reißleine zieht und Verhandlungen anbietet, um einer Blamage vor seinem Volk vorzubeugen. Und das geht vor allem mit Lieferung von Kriegsmaterial an die Ukraine — nicht irgendwann, sondern subito! Es geht nicht, dass manche europäischen Politiker sich zurücklehnen und meinen, die tapferen Ukrainer würden sich schon zu wehren wissen. Das ist fahrlässig, dumm, kurzsichtig, und es ist unterlassene Hilfeleistung. —

Update 26.06.2024:

Was Trump kann, können wir schon lange, dachte man vor Kurzem wieder einmal in der CSU-Führung. Für die größten Klopper schickte man wie so oft den Scharfmacher Dobrindt an die Medienfront, wo er die Forderung in die Welt setzte: Die Flüchtlinge aus der Ukraine, die hier Bürgergeld beziehen, aber nicht arbeiten, sollten entweder zur Arbeit aufgefordert oder zurück in ihr Heimatland geschickt werden. In der West-Ukraine sei es ja sicher, da tobe kein Krieg.

Populistisch war daran die verfälschende Vereinfachung der Realität, um weiniger informierte Leute mit scheinbarer Logik zu täuschen. Dobrindt verschwieg 1. die Wahrheit, dass viele der ukrainischen Flüchtlinge Mütter mit Kindern sind (die mangels Kita-Plätzen ihre Kinder selbst betreuen müssen und nicht arbeiten können, obwohl sie gerne würden). Er verschwieg 2., dass die deutschen Bürokratie-Hürden es qualifiziertem Fachpersonal erschweren, hierzulande einen Job anzunehmen, für den sie (im Ausland) ausgebildet sind und wo sie hier auch gebraucht werden. Und 3. tat er so, als würde er nicht wissen, dass Putins Drohnen und Raketen überall in der Ukraine einschlagen und dabei den Westen des Landes keineswegs verschonen.

Dobrindt wollte auch gar nicht sachlich argumentieren, sondern nur auf billige Weise Sozialneid schüren und „deutsche Normalbürger“ gegen die Flüchtlinge aufbringen. Was ist der Zweck dieser haarsträubenden Spalterei? Die CSU (und auch ihre Schwesterpartei CDU) fürchten die Konkurrenz der AfD, von der sie rechts überholt werden. Da wollen sie (auf dem Rücken von Flüchtlingen und Ausländern) Stimmen zurückgewinnen. Das ist reinster Populismus: Gefühle aufputschen ohne sachliche Grundlage. Dobrindt hat ein perfektes Beispiel geliefert.

Höcke, make Germany small again!

Man könnte sich fast totlachen darüber, aber dieser Irrsinn hat Methode: Im Fernsehen sah ich Bernd, Verzeihung, Björn Höcke vor einer öffentlichen Versammlung reden, wo er die Massenptoteste in deutschen Städten gegen die AfD und den Faschismus ansprach. Ihm fiel nichts Besseres ein, als einen irren Gedankensalto zu machen und — es ist schon unglaublich — zu behaupten, dass in den friedlichen Massenprotesten dieselben Leute gelaufen wären, die 1933 in Fackelzügen für Hitler aufgetreten seien.

Das muss man sich mal reinziehen: Der mit Amtssiegel bestätigte Faschist Höcke versucht, Demonstranten gegen den Faschismus als das Gegenteil darzustellen. Das ist Lügen nach der Methode Putin: Immer das Gegenteil behaupten, die eigenen Schandtaten Anderen zuschieben, dass sich die Balken nur so biegen.

Das ist nicht frech, das ist schon halsbrecherisch tollkühn. Wie sauer muss Höcke über diese Demonstrationen sein, dass er so einen Quark verzapft und sich damit lächerlich macht! Jetzt werden einige Leute, die ihn bisher irgendwie noch für wählbar hielten, wohl endlich wieder ihr Gehirn einschalten und sich fragen, ob sie so einem Kerl den Steigbügel halten sollen für ein politisches Amt.

Wer AfD wählt, sagt damit im Grunde: Ja, ich will mal voll verarscht werden! Die „Altparteien“ sind mir noch zu anständig, aber jetzt haben wir die Chance, Deutschland ohne Skrupel so richtig in den Abgrund zu stoßen! Make Germany small again! Mit Höcke und seinen Kumpanen müsste das gelingen.

W. R.

BesucherInnen, die diesen Beitrag genossen, interessierten sich auch für den Blog-Beitrag „Köln-Notizen #17“ vom 09.01.2015. —

Eiertanz

AM Tresen in meiner Stammkneipe kommt mal wieder ein Stammgast in Fahrt (den wir schon kennen):

„Schon wieder haben wir in Deutschland diesen Eiertanz, ganz unnötiig, wie ich finde. Erst waren es „schwere Waffen“, dann Kampfpanzer, nun die Marschflugkörper „Taurus“ mit größerer Reichweite.
Jupp, schnell ein Kölsch!
Wir haben immer noch im Westen etliche Friedensbewegte aus der Zeit vor vier Jahrzehnten, die weder die Zeichen der Zeit erkennen noch begreifen, dass wir in einer ganz anderen Zeit und Weltlage leben als Anfang der 1980er Jahre. „Frieden schaffen ohne Waffen“ war ein schöner Spruch, bei dem mir allerdings schon damals im Hinblick auf manche Weltregionen Zweifel kamen.
Ach ja, vergessen wir nicht: Heute haben wir ein vereinigtes Deutschland, wir haben da auch Leute im Osten, die anders aufgewachsen sind, wo die offizielle Freundschaft mit der Sowjetunion hochgehalten wurde. Wenn die heute noch eine etwas andere Haltung zu Russland haben, ist das ja kein Wunder. Aber auch bei uns im Westen hat man ja die Russen ab 1989 nicht mehr als Feinde gesehen, Gorbatschow war beliebt, wir verdankten auch ihm die friedliche Revolution ohne Eingreifen militärischer Kräfte.

Auf Gorbi! Prost! — Jupp, noch eins!

Ach, Freunde, es hätte alles schöner sein können, wenn Putin nicht an die Macht gekommen wäre und immer autoritärer und antidemokratischer regiert hätte. Und dazu wurde er immer aggressiver, erst in Tschetschenien, wo jeder Widerstand hemmungslos gekillt und ausgemerzt wurde, dann auch in verschiedenen Randbezirken im Süden der ehemaligen Sowjetunion, dann zur Unterstützung des grausigen Assad in Syrien, und dann auf der Krim und in der Ost-Ukraine.

Ja, Jupp, noch eins.

Machen wir uns nix vor, Leute, der Ukraine-Krieg begann zwar offiziell am 24. Februar 2022, aber im Osten der Ukraine war schon seit 2014 Krieg. Und da betätigten sich auch schon die Privat-Söldner von Prigoschin (alias die „Wagner-Truppe“).

Viele Leute verkünden bei uns im Westen: Die Ukraine verteidigt nicht nur ihr Land, sondern auch die Werte der Demokratie und Europas. Da verstehe ich umso weniger diesen Eiertanz um schwerere oder wirkungsvollere Waffen. Entweder wollen wir, dass die Ukraine Erfolg hat, oder… was denn? Soll Putin die Oberhand gewinnen, sollen — nebenbei erwähnt — noch mehr Flüchtlinge kommen und unsere Aufnahmekapazitäten überfordern? Soll die Ukraine langfristig ausbluten? Soll Putin weitere Länder angreifen?

Die Kritiker der Waffenlieferungen machen sich anscheinend nicht klar, welche Optionen überhaupt auf dem Tisch liegen. Und sie scheinen vor lauter Pazifismus wenig Kenntnisse über das Militärische gesammelt zu haben. Krieg verläuft nach eigenen Regeln und kann nicht einfach dadurch gestoppt werden, dass ein paar Leute von der Seitenlinie aus nach Verhandlungen und mehr diplomatischen Bemühungen rufen. Das Getreideabkommen schien ein Beweis zu sein, dass Verhandlungen möglich sind — es ist aber auch ein Beweis dafür, dass Putin sich einen Dreck um den Hunger in der Welt schert und das Abkommen Mitte Juli nicht verlängert hat, einzig um der Ukraine damit zu schaden.

Jupp, schnell noch eins, ich rede mich sonst in Rage!

Also, liebe Leute, wir müssen die Sachen liefern, die die Ukraine dringend braucht. Denn sie hat nicht unbegrenzt Soldaten und Zeit, und mit jedem Kriegstag fliegen russische Raketen und Drohnen in ukrainische Städte. Wie lange soll das noch so weiter gehen? Hört auf mit Spitzfindigkeiten wie „Die Ukraine darf nicht verlieren“, es gibt nur eine vernünftige Option, nämlich „Die Ukraine muss gewinnen“. Bringt Putin endlich militärisch in die Bredouille, dann kommt er an den Verhandlungstisch! Hough, ich habe gesprochen. Bis nächstens, Freunde!

(aus dem Gedächtnis aufgezeichnet am Abend des 12.08.2023 von W. R.)

P.S. Liebe Pazifisten, ich darf daran erinnern, dass ein Krieg nur verhindert werden kann, bevor er anfängt. Im Fall der Ukraine bringt das jetzt nichts mehr. Aber wenn man als Historiker zurückblickt, muss man sagen: Als niemand aufstand und der Ukraine zur Seite sprang, der Putin gerade die Krim stahl und einen schwelenden Krieg in der Ostukraine inszenierte — was musste Putin daraus schließen? Wie Hitler 1938 dachte er: Die westlichen Demokratien sind zögerlich und schwach, ihre Staatslenker Weicheier… Zwar verhandelte er das Minsker Abkommen, dachte aber ähnlich wie Hitler nach dem Münchner Abkommen: Bitte schön, Ihr Friedentauben und Weicheier, ich mache trotzdem weiter, was ich will…

Ihr wisst hoffentlich Bescheid darüber, wie das 1938 und danach lief. Wenn nicht, schlagt im Geschichtsbuch nach.

Wer sich genauer über die Jahre vor dem Ukraine-Krieg informieren möchte, kann z.B. diese Links anklicken: Geschichte des Russland-Ukraine-Konflikts: Stationen seit 2014 | BR24 — und/oder Acht Fragen zum Krieg in der Ukraine | Hintergrund aktuell | bpb.de

Update am 04.09.2023: Olaf Scholz stellt sich nach einem Sturz beim Joggen dem Fotografen und scherzt (?)…

Lupenreine Schurken

NUN dauert er schon weit über 500 Tage, der russische Eroberungskrieg gegen die Ukraine — und kein Ende ist in Sicht. Wie auch? Solange die russische Armee auf dem Schlachtfeld nicht massiv zurückgedrängt wird, sieht die Führung im Kreml keinen Grund, Verhandlungen über ein Kriegsende aufzunehmen.
Was wünschenswert ist, kann leider auf absehbare Zeit nicht erfüllt werden. Viele bei uns in Deutschland meinen, da müsse sich doch mit gutem Willen was machen lassen. Echt? Der „gute Wille“ auf Seiten der russischen Führung zeigt sich bisher hauptsächlich in einer brutalstmöglichen Kriegführung ohne Rücksicht auf Zivilpersonen und zivile Infrastruktur. Russland will den Staat Ukraine eliminieren, will dessen Gebiet vereinnahmen ohne Rücksicht auf die Menschen, die dort leben, und ohne Rücksicht auch auf die eigenen Leute, die für Russlands Großreich-Traum in großer Zahl sterben müssen.
Putin und seine Kamarilla leben in einer Vorstellungswelt, die vielen Menschen bei uns immer noch unbekannt ist: Retro-Wunschvorstellungen vom Großrussischen Reich, wo von Zar Iwan IV. dem Schrecklichen bis Stalin Machtmenschen einen autoritär geführten Staat lenkten und mit allen Mitteln und ohne menschliche Rücksichten für die Vergrößerung des russischen Staatsgebietes sorgten.
In diesem Vorstellungs-Horizont ist kein Platz für Prinzipien wie Menschenrechte oder Demokratie. Auch das Völkerrecht ist für diese Machtbesessenen bloß Papier. Auf allen Kanälen verbreitet die Propaganda des Kreml seit Jahren die Erzählung, dass das weitreichende russische Territorium nur mit harter Hand zu regieren und zusammenzuhalten sei.

Außerdem wird seit Zar Iwan IV. ein Mythos von einem „heiligen Russland“ gepflegt, der Moskau als „Drittes Rom“ feiert und einen engen Schulterschluss von russisch-orthodoxer Kirche und dem Kreml herstellt. Generationen von Russen bekamen diese speziellen Vorstellungen von der russischen Nation bereits in der Schule eingepflanzt. Das schreibt auch Orlando Figes in Eine Geschichte Russlands:

Die Version des Kreml — dass die Russen, die Ukrainer und die Weißrussen alle ursprünglich eine Nation gewesen seien — wurde heraufbeschworen, um den eigenen Anspruch auf eine „natürliche“ Interessensphäre (gleichbedeutend mit einem Recht auf Einmischung) in der Ukraine und in Weißrussland zu untermauern. Wie viele Russen seiner Generation, die die sowjetische Sichtweise der Geschichte eingetrichtert bekamen, erkannte Putin die Unabhängigkeit der Ukraine nie wirklich an. Noch im Jahr 2008 sagte er dem US-Präsidenten, die Ukraine sei „kein richtiges Land“, sondern ein historischer Teil Großrusslands, eine Grenzregion, die das Moskauer Kernland vor dem Westen schütze. Nach dieser imperialen Logik hatte Russland das Recht, sich gegen westliche Vorstöße in die Ukraine zu wehren. Russlands Annexion der Krim, der Beginn eines langen Krieges gegen die Ukraine, leitete sich von dieser zweifelhaften Deutung der Landesgeschichte ab. Die Invasion war Russlands Antwort auf den „Putsch“ in Kiew, wie der Kreml die Maidan-Revolution nannte, der als Volksaufstand gegen die prorussische Regierung Janukowitschs begonnen hatte. (…) Das Volk der Ukraine hatte mit dem „Euromaidan“ seine „europäische Entscheidung“ getroffen.

Orlando Figes, Eine Geschichte Russlands, London 2022, dt. Ausgabe Stuttgart 2022, 8. 2023, S. 16

Putin tut alles, um dieses Geschichtsbild zu verstärken. Er will den Russen seine Politik als Wiederaufnahme und Fortsetzung der altgewohnten großrussischen Politik vermitteln. Zusätzlich behauptet die Propaganda des Kreml, Russlands „natürliche“ Interessen- und Einflusssphäre sei vom Westen bzw. der Nato bedroht. Diese Erzählung verfängt z.T. auch im Westen und wird von russischen Trollfabriken über das Internet ständig wiederholt. Das hat einen gewissen Erfolg bei Russland-Freunden, die Putins Behauptung von der aggressiven Nato-Osterweiterung aufgreifen und sogar glauben wollen, dass sich Russland mit dem Überfall auf die Ukraine nur verteidige.
Solche Propaganda treibt erstaunliche Blüten, z.B. im russlandfreundlichen Serbien, wo ein paar Boulevard-Zeitungen am 24.2.2022 titelten: „Ukraine greift Russland an!“. Da bleibt einem die Spucke weg: Die Tatsachen werden frech auf den Kopf gestellt.

„Aber was ist denn so schlimm an Putins Geschichtsbild?“ könnte jetzt jemand ganz naiv fragen. „Ist doch toll, wenn Einer sein Vaterland wieder groß machen will!“ Das meint auch Donald Trump, der mit dem Slogan „Make America great again!“ in den Wahlkampf zog, einer Phrase ohne Inhalt, dafür aber simpel. Dazu sagte schon Mephisto in Goethes Faust: „Es meint der Mensch, wenn er nur Worte hört, es müsse sich dabei doch auch was denken lassen.“ Wer aber denken nicht gewohnt ist, der geht leicht jedem Gewäsch auf den Leim und nimmt jeden Werbespruch für bare Münze.

Wenn Nationalismus so toll ist, wenn also viele Staaten der Erde größer und bedeutender werden wollen — dann brauchen wir, um Konflikte und Kriege zu vermeiden, viel mehr Platz, am besten eine zweite Erde, oder die großsüchtigen Staaten expandieren in den Weltraum, gründen Kolonien auf Mond und Mars und platzieren jede Menge Raumstationen im erdnahen Orbit.

Bei dieser Gelegenheit wäre mal zu fragen, ob die Menschheit wirklich so viele Weltraumprogramme braucht, mit denen einige Staaten um Prestige konkurrieren. Würden nicht 1-2 solcher staatlicher Programme reichen, um den erdnahen Weltraum zu erkunden und Nachrichtensatelliten zu platzieren? Statt Konkurrenz könnte internationale Zusammenarbeit (nicht nur auf erdnahen Raumstationen) nützlich sein.

Es wird selten darüber gesprochen, aber seit Jahren schon kreist eine Menge Schrott von Raketen und Satelliten um die Erde, der für Astronauten lebensgefährlich ist und manchmal auch auf die Erde herabstürzt, wobei nicht immer alles in der Atmosphäre verglüht. Trotzdem werden ständig neue Satelliten ins All befördert, viele davon zu militärischen Zwecken.

Aber bleiben wir mal bei den Folgen der Großmannssucht auf der Erde. Putins oben beschriebene politische Ideologie bedeutet eine direkte Bedrohung der Nachbarstaaten Russlands, denn wenn ein Staat größer werden will, muss das ja auf Kosten anderer Staaten geschehen. Das aber lässt sich in der heutigen Welt weder moralisch noch völkerrechtlich begründen. Deshalb greift Putin so weit in die Vergangenheit zurück. Sein Pech: Was vor Jahrhunderten, in einer anderen Welt, noch als Recht des Stärkeren hingenommen wurde, kollidiert heute mit den allgemein geteilten Ideen von internationalem Recht, sei es Völkerrecht, seien es internationale Vereinbarungen.

Was mit Blut, Schweiß und Tränen und in vielen mühevollen und langwierigen Verhandlungen im Verlauf des 20. Jahrhunderts erreicht wurde, will Putin beiseite wischen und die Welt zurück katapultieren in eine Zeit der ungeschminkten Machtpolitik und der Kabinettskriege, in der Verträge nur so lange Bestand hatten, wie die Beteiligten sich Vorteile davon versprachen, und in der das Volk bzw. die Bevölkerung überhaupt nicht gefragt wurde.

Dazu passt, dass er in Russland eine Organisation namens Memorial verbieten ließ, die bei der Aufarbeitung der russischen Geschichte auch Stalins Verbrechen genauer in den Blick nahm. Das wollte Putin nicht zulassen, weil er wie die Zaren und die ihnen folgenden Machthaber keine Kritik an staatlichem Handeln dulden will. Denn für Putin und seine Anhänger ist alles gerechtfertigt, was die Macht stabilisiert, inklusive Gewalt im Inneren und Krieg nach außen sowie Mord an Oppositionellen selbst im Ausland (Auch das hat Stalin schon vorgemacht).

Was will man denn auch von einem Politiker erwarten, der gar kein gelernter Poltitiker ist, sondern eine Karriere im Geheimdienst KGB durchlaufen und zwei Grundsätze verinnerlicht hat: „Der Zweck heiligt die Mittel“ und „Wenn du die Macht hast, gib sie nicht wieder her.“ Es war wirklich ein schlechter Witz, dass ein deutscher Politiker, der sich zu Putins Freunden zählte, ihn 2004 in einem Interview einen „lupenreinen Demokraten“ nannte. Denn leider ist Putin so ziemlich das Gegenteil.

Spätestens als Putin aktiv und militärisch in Syrien zugunsten des blutigen Diktators Assad eingriff und ohne Skrupel auch Schulen, Krankenhäuser und Wohnviertel gezielt bombardieren ließ, war er für mich moralisch in die unterste Schublade gerutscht. Und daher wunderte ich mich nicht, als ich seit Februar 2022 hörte, dass seine Soldaten und speziell die sogenannte Gruppe Wagner Kriegsverbrechen verübten — offenbar als Teil geplanter Strategie.

Für Putin ist es quasi eine Selbstverständlichkeit, Tatsachen auf den Kopf zu stellen und bis an die Grenze der Lächerlichkeit die Fakten zu verdrehen. Beispiel: Er lässt alles Mögliche in der Ukraine fast täglich bombardieren, aber wenn mal eine Drohne auf der Krim oder in Moskau niedergeht, spricht er gleich von „Terror“ der Ukraine. Wer nimmt das noch ernst? Machthaber rund um den Globus nennen ihre Kritiker und Gegner seit Langem gewohnheitsmäßig „Terroristen“ oder „Unterstützer von Terroristen“. Das erinnert uns doch eher daran, dass Terror vor allem von diesen Machthabern ausgeht.

Warum arbeitet Putin z.B. mit dem Regime von Nordkorea zusammen? Dessen Diktator lässt eine geistige Verwandschaft mit Putin erkennen: Es geht beiden um Macht und Machterhaltung — so ziemlich um jeden Preis (den hauptsächlich die Bevölkerung dieser Staaten bezahlt). Kim Yong-Un lässt sein Volk auch mal hungern, wenn nur sein Atom-Rüstungsprogramm vorankommt. Putin will seit Mitte Juli 2023 das Getreideabkommen nicht verlängern, um der Ukraine zu schaden, und verstärkt in einigen Ländern des globalen Südens den Hunger, weil er auch die Weltmarktpreise für Nahrungsmittel in die Höhe treibt. Auf seinem Afrika-Russland- Gipfel in St. Petersburg zeigte sich jedoch, dass afrikanische Politiker nicht doof sind und seine Propaganda durchschauen: Einige forderten ihn auf, das Getreide-Abkommen wieder in Kraft zu setzen.

Muss die „Weltgemeinschaft“ sich nicht mal langsam gegen Putin und andere Schurken wehren? Haben wir nicht ohne solche Figuren schon genug Probleme, die gelöst werden müssen? Auch wenn das einige AfD-Sympathisanten nicht wahr haben wollen: Wir leben längst in einem „globalen Dorf“, in dem es nicht mehr egal ist, wenn „in China ein Sack Reis umfällt“, wie es sprichwörtlich früher hieß.

Und wenn im UN-Sicherheitsrat Schurken mit Vetorecht sitzen, dann zeigt das nur, dass diese nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte Institution dringend reformbedürftig ist. Denn Probleme lösen kann sie nur noch in wenigen Fällen, nämlich dann, wenn die Machtinteressen von Russland, China und einigen anderen ständigen Mitgliedern nicht betroffen sind.

W.R.

siehe dazu auch: Beitrag „Nicht mehr tolerierbar“ vom 01.05.2023