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Glaubwürdig bleiben

ES ist ermüdend. Ein pazifistisches Mantra soll bewirken, dass die Realität es sich anders überlegt und sich an den Glaubenssätzen von Pazifisten orientiert.

Da wäre z.B. das Mantra: „Diplomatie statt Waffenlieferungen.“ Die Vorsitzende der neugegründeten Partei BSW hatte ein Schild mit diesem Slogan neulich vor ihr Rednerpult geklebt. Sie und andere kritisieren, dass beim Krieg in der Ukraine nur vom Militärischen, aber fast nie von Diplomatie und Verhandlungen die Rede sei. Dabei wird zunächst allen weniger Informierten vorgespiegelt, es gäbe keine diplomatischen Bemühungen um Waffenstillstand und Friedensverhandlungen; des weiteren wird ignoriert, dass Diplomatie sich oft hinter den Kulissen bewegt und sich daher gerade nicht für alle sichtbar im öffentlichen Raum abspielt.

Die pazifistische Argumentation lässt auch einen wichtigen Grundsatz außer Acht: Man kann einen Krieg nur verhindern, bevor er begonnen hat. (Ich vermeide das Wort „ausbricht“, weil Krieg im Unterschied zu einem Vulkanausbruch immer von Menschen herbeigeführt wird und kein unvermeidliches Naturereignis ist.) Ist ein Krieg erst in Gang gekommen, stoppt ihn so schnell keine Diplomatie, weil sich mindestens eine der Konfliktparteien Chancen ausrechnet, militärisch Vorteile zu erlangen, wenn nicht gar den Krieg zu gewinnen.

Kriegsherr Putin setzt derzeit darauf, dass die Zeit für ihn arbeitet, weil a) der Westen der Ukraine nicht genug Munition und Waffen liefert, b) die von Trump gelenkten Republikaner im US-Kongress weiter die Hilfen für die Ukraine blockieren, c) die kommenden Wahlen in den USA Trump direkt an die Macht bringen könnten. (Man unterschätzt dabei weithin die Wirkung der Wühlarbeit von Putis Trolls im Netz, besonders in den social media.)

Wohlgemerkt: Pazifismus ist eine moralisch ehrenwerte Haltung. Es kann aber schwierig werden, diese Haltung in der Wirklichkeit durchzuhalten, wenn die Zeichen auf Konflikt stehen und gewalttätige Auseinandersetzungen drohen. Der S.R. selbst nahm 1981-83 an Demonstrationen gegen die Nato-Nachrüstung teil, seit damals hat sich die Welt ein deutliches Stück weiter gedreht. Das bedeutet, dass er längst nicht mehr ungeprüft an früheren Glaubenssätzen und politischen Einschätzungen festhält, sondern Manches überdacht hat und seinen Blick nicht Ideologien unterordnet, die vor 40 Jahren im Kalten Krieg Bedeutung hatten.

Es scheint angebracht, klar und deutlich zu sagen: Es tobt ein globaler politischer und kultureller Kampf zwischen Autoritarismus und freiheitlicher Gesellschaft. Manche sagen auch einfach: zwischen Diktatur und Demokratie. Putin steht für Diktatur, für seine persönliche Herrschaft über Russland, und diese Herrschaft will er nicht nur durch Niederschlagung jeglicher Opposition, sondern auch durch Konflikte und Kriege stabilisieren, weil er damit die Bevölkerung nötigt, ein nationales Interesse mit seiner Position als Machthaber zu verknüpfen. Putins Mantra: Die Nato, der Westen bedroht uns, wir müssen zusammenstehen und uns wehren.

Was Putin in seiner jüngsten Rede zur Lage der Nation sagte, enthielt nichts Neues. Seine Propaganda sagt Dinge über „den Westen“, die man größtenteils durch „das russische Regime“ ersetzen kann, damit sie stimmen. Er hat kein Problem damit, Fakten auf den Kopf zu stellen und russische Kriegsverbrechen zu leugnen. Er bemüht sich in mehrfacher Hinsicht, Stalin nachzueifern, am liebsten wäre ihm der Name „Wladimir der Schreckliche“ in den Geschichtsbüchern (die er ohnehin schon umschreiben lässt.)

Wo ist der reale Ansatz der pazifistisch Gesinnten, mit Putin ins Gespräch oder gar in Verhandlungen zu kommen? Wer fordert, wir sollten bedingungslos die Waffenlieferungen an die Ukraine einstellen, der meint Kapitulation auf Kosten der Ukraine. Muss man dazu mehr sagen?

Aber es käme ja noch viel schlimmer: Die Ukraine ginge unter, Putin würde maßlos triumphieren und im Hochgefühl seiner Popularität die nächsten „Spezialoperationen“ in Angriff nehmen. Das glaubt Ihr nicht? Ja, könnt Ihr denn nicht weiterdenken? Und China würde sich ermutigt fühlen, schnell Taiwan militärisch einzunehmen, das wäre ein Riesenerfolg für Diktator Xi.

„Der Westen“ würde weltweit als Verlierer betrachtet, seine Werte von Menschenrechten und Demokratie würden von keinem Land mehr ernst genommen. Das Verhältnis von Diktaturen zu Demokratien würde vollends zu ersteren kippen. Folge: Die Welt würde noch mehr zersplittert in zahlreiche gewaltbereite, nationalistische Regime, die mit anderen Ländern nur noch Zweckbündnisse auf Zeit eingehen.

Ideologisch würden diese Verhältnisse fußen auf dem Prinzip „Kampf jeder gegen jeden“, die Nationalismen würden Feindschaften wachsen lassen, überall würde man die Unterschiede und das Trennende thematisieren und Gemeinsamkeiten beiseite wischen. Faschismus würde sich in der Welt ausbreiten.

Nun meinen sicher Einige: Das ist doch übertrieben, das geht viel zu weit. Ich aber sage: Wer weiterdenkt und Kenntnisse aus der Geschichte einbezieht, wer sich wenigstens erinnert, dass sich vor dem 24.02.2022 niemand bei uns den Überfall Russlands auf die Ukraine vorstellen konnte oder wollte, der müsste vorsichtiger sein mit optimistischen Prognosen.

Darum stimme ich der These zu: Die Ükraine verteidigt nicht nur ihr Land, sie kämpft und blutet auch für uns, indem sie Putins Eroberungskrieg zu stoppen versucht und das Europa der freiheitlichen Lebensweise verteidigt. Putin darf nicht gewinnen, und mehr noch: Putin muss eine Niederlage einstecken, die Ukraine muss siegen. Und das gerade auch aufgrund unserer Hilfe — damit wir in der Welt glaubwürdig bleiben.

S. R.

Dazu noch ergänzende Beiträge auf diesen Links:

Republikaner stoppen Ukraine-Hilfe: Wladimir Putins Saat geht auf – Kolumne – DER SPIEGEL

Ukraine-Krieg Der deutsche Mittelweg ist gescheitert – Gastbeitrag – DER SPIEGEL

zu Putis speziellen Geschichtsverweisen: Wladimir Putin: Früherer mongolischer Präsident Tsakhiagiin Elbegdorj trollt Kremlchef mit Landkarte – DER SPIEGEL

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Beati Pacifici

76+Beati Pacifici“, so lautet in Latein eine der Seligpreisungen Jesu in der Bergpredigt: „Selig sind die Friedfertigen.“ Dazu findet man allgemeingültige Aussagen und Überlegungen in dieser Website auf >Clio. Doch aktuell muss man sich dazu positionieren, dass in einigen Teilen der Welt Gewalt, Krieg und Terror gegen Schwächere das Bild der Nachrichten bestimmen. Pazifismus schön und gut – wenn man es sich leisten kann, mit sauberen, unblutigen Händen zuzuschauen. Aber was ist, wenn man Gewalt und Mord zuschaut und womöglich in der Lage wäre, einzuschreiten und Leben zu retten?

Im privaten Bereich mag das jeder Mensch für sich allein entscheiden können (aber sich ggf. auch dem Vorwurf der „unterlassenen Hilfeleistung“ stellen müssen). Und wie sieht es in der internationalen Politik aus? Derzeit (Sommer 2014) erscheint die Welt als Tollhaus, zumindest dann, wenn man mitbekommt, welche Themen und Schauplätze die Nachrichten beherrschen. Krisenherde zuhauf:  Syrien, Ukraine, Libyen, Nigeria, Palästina, Irak,… und das sind noch längst nicht alle aktuellen Konflikregionen. Dort scheinen unzugängliche Hardliner, Kriegstreiber und Fanatiker die Bühne zu beherrschen.

Ein Tollhaus, wenn man bedenkt, dass Rezepte für ein friedliches Miteinander längst vorliegen. Doch wer hört z.B. auf die Friedensforscher, die solche Rezepte erforscht und entwickelt haben? Wo erst einmal die Emotionen aufgeputscht sind, dringt die Stimme der Vernunft nicht mehr durch.

Und Deutschland, bisher immer abseits stehend, und mit Hinweis auf seine jüngere Geschichte sehr zurückhaltend mit militärischer Beteiligung an internationalen Befriedungsaktionen, kann sich auf Dauer nicht so heraushalten wie bisher. Es gab schon militärische Beiträge in Afghanistan und anderswo, aber als Weltpolizisten und deren Helfer ließen wir gern Anderen den Vortritt.

Nun Irak: Plötzlich heißt es, ein Genozid an Jesiden und anderen Volksgruppen im Irak muss verhindert werden. Und andere Regierungen, die eingreifen, fragen auch die deutsche: Was könnt, was wollt ihr beitragen? Die innerdeutsche Debatte ist eröffnet. Dazu ein Beitrag: Hilfe für Kurden: Deutschlands planlose Irak-Politik – Andere Meinung – Meinung – Tagesspiegel

Diese Debatte kann niemanden unberührt lassen. Deutschland hat mit Waffenexporten schon viel Geld verdient. Soll es weiter seine Hände in61+ Unschuld waschen und sich nicht darum kümmern, was Andere mit diesen Waffen anstellen? Das ist Gesprächsstoff!

Man bedenke auch die Konsequenzen, wenn man im fernen Ausland militärisch eingreift. Man kann das von Fall zu Fall entscheiden, dabei aber auch Überraschungen erleben, weil nicht alles nach Plan verläuft. Schön, dass die Regierung Schröder sich 2002 entschieden hat, im Irak nicht mit einzumarschieren. Afghanistan war dann ein anderer Fall, oder? „Nichts ist gut in Afghanistan“, stellte nach einigen Jahren Margot Käßmann fest. Und wer möchte ihr, nach weiteren Jahren, da widersprechen?

US-Präsident Obama wollte die US-Soldaten aus dem Irak nach Hause holen und tat dies dann auch. Und jetzt? Der Irak ist ein politischer Scherbenhaufen, und die Gewaltbesessenen, die sich „Islamischer Staat“ nennen, nutzen das zu einer Offensive, der sich einheimische Kräfte nicht entgegenstellen können. Zuschauen ist falsch, Eingreifen womöglich auch, wenn nicht alles nach Plan läuft.

Nun diskutiert mal schön!

W. R. 13.08.2014

016+

Homo sapiens, bei Teilabschaltung seines hochgelobten Gehirns, sich gegenseitig abschlachtend