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Visionen

AM Tresen ging es hoch her: Die Stammtisch-Runde stritt über die aktuelle Politik:
„Wie der Kanzler den Finanzminister rauswarf, das war unwürdig!“
„Quatsch! Das war das einzig Richtige. Ich bin kein Scholz-Fan, aber da hat er mir seit Langen mal richtig gut gefallen. Das war authentisch, wie er sich den Frust über die FDP in der Koalition von der Seele geredet hat. Hätte er vielleicht schon früher tun sollen, als die FDP einen wochenlang ausgehandelten Kompromiss kurz nach der Verkündung wieder in Frage stellte. So kann man keine Politik machen, es sei denn, man will den Bruch der Koalition provozieren.“
„Das war aber ein schlechter Zeitpunkt, wo gerade Trump die Wahl in den USA gewonnen hatte!“
„Es war höchste Zeit! Und daran sieht man doch, dass der Kanzler mit sehr viel Geduld versucht hat, die Ampel-Koalition zusammenzuhalten. Dem zum Trotz hat die FDP noch einen draufgelegt mit ihrem jüngsten Verhalten…“
„… und verliert keine Zeit, sich direkt der Union an den Hals zu werfen, auch mit der Forderung nach sofortigen Neuwahlen.“
„Eben. Dabei wusste jeder aufgeklärte Zeitgenosse, dass Neuwahlen gar nicht SOFORT stattfinden können. Das braucht eine Mindest-Vorlaufzeit, damit es überhaupt ordentlich organisiert werden kann. Das hatten die Populisten aber gar nicht auf dem Schirm.“ „Wollten sie auch nicht, weil sie dem Volk nach dem Munde reden. Außerdem wollten sie Scholz daran hindern, seine Umfragewerte zu verbessern.“
„Hör mir auf mit Umfragen! Das sieht man ja gerade wieder in den USA, wie zuverlässig die sind. Von wegen Kopf-an-Kopf-Rennen! Trump hat spektakulär gewonnen. Schlimmer konnte es kaum kommen.“

„Und die EU streitet wie eh und je, keiner will nationale Interessen zurückstellen — aus Angst vor Wahlerfolgen rechter Populisten. Wir haben keine europäische Außenpolitik, auch keine gemeinsame Verteidigung und Rüstung, und das, obwohl seit Jahren klar ist, dass ein uneiniges Europa zwischen China und den USA nix zu melden hat. Auch nicht gegenüber Putins Russland. Zum Haareraufen!“

„Und AfD und BSW sorgen dafür, dass vor allem Putin sich die Hände reiben kann…“

„Erst recht, seit Trump zusammen mit Elon Musk sich warm läuft für eine Regierung der Groß-Kapitalisten, Verschwörungsmythen-Fans, Rassisten, Frauenhasser, Justiz-Feinde… Da ist alles Negative versammelt. In früheren Jahrhunderten hätten viele Leute gesagt: Das ist der Beginn der Herrschaft des Antichristen. Er verführt immer mehr Menschen dazu, das Trennende und Zerstörende zu befeuern und sich von Menschlichkeit, Versöhnung und Friedfertigkeit abzuwenden. Das zog schon mit Putin am Horizont herauf, aber Viele wollten die Anzeichen nicht sehen.“

„Jetzt werd mal nicht komisch mit Deinem Antichrist und so, wir leben doch nicht im Mittelalter!“

„Bist Du Dir da so sicher? Vieles sieht nach der Rückkehr alter Ideen aus, nicht nur die AfD will die Zeit weit zurückdrehen. Und nun will das auch noch der mächtigste Mann der Welt.“

„Trump, meinst Du?“

„Ich weiß nicht, ob das nicht bald Elon Musk sein wird. Der scheint davon zu träumen, König der Welt zu werden.“

„Gar nicht so weit hergeholt — wenn der alte Trump dement wird oder unzurechnungsfähig, was er vielleicht schon in Ansätzen ist, dann hört er womöglich nur noch auf seinen Kumpel Elon …“ —

Au weia, was für schlimme Visionen! Mir reichte es, ich trank mein Bier aus und verließ schnell das Lokal. Draußen war trübes November-Wetter: kein Stern, nur von den Lichtern der Stadt aufgehellter Wolkenteppich. Ein Düsenflugzeug übertönte den Verkehrslärm.

W. R. (keine KI*)

* Anm. v. 03.12.24: Warum dieser Hinweis? Ganz einfach: Wer kann noch sicher sagen, was im Netz original geschaffen wurde, und was mit KI künstlich gefakt oder geklont wurde? Mehr dazu z.B. hier >Künstliche Intelligenz: Cate Blanchett äußert Besorgnis über den Einfluss von KI – DER SPIEGEL

Friedensgespräche

ES wurde etwas lauter diesmal — am Theken-Stammtisch. War die verbreitete Hektik, die verhärtete Debattenkultur, die Spaltung der Gesellschaft nun auch hier angekommen?
„Ich finde, da hat der Söder völlig recht: Die Union sollte nicht mit den Grünen zusammengehen, nicht in einer kommenden Bundesregierung.“
„Das sehe ich anders. Woher weiß denn Söder, ob demnächst die Union überhaupt noch eine Wahl hat, mit wem sie koalieren könnte? Söder geifert schon lange gegen die Grünen, er hetzt und verleumdet, er verteufelt die Grünen als seinen Hauptfeind. Angeblich sind die ideologisch festgefahren, aber wenn ich mir Söder anhöre, dann scheint ER der Festgefahrene, der eine ideologische Wagenburg des Konservatismus hochzieht. Was tut denn Söder gegen die sich anbahnende Klimakatastrophe? Er umarmt vor laufenden Kameras Bäume, das kostet nix, und niemand muss irgendwas ändern.“
„Ach kommt, wir haben doch zurzeit andere Probleme: die Wirtschaft. Die wird doch auch von zuviel Umweltschutz behindert…“
„Was?? Zuviel Umweltschutz? Bist du blöde, oder was? Wie kann es denn zuviel Umweltschutz geben? Es gibt doch immer noch viel zu wenig Umweltschutz, und vor allem Klimaschutz. Bei uns in Deutschland, wie auch in anderen Industrienationen.“
„Also, wer ist hier blöde, das verbitte ich mir! Schau dir die Wirtschaftszahlen an…“
„… und daneben die rasant steigenden Kosten durch Unwetter, Dürre, …“
„… und Kriege, die nicht nur Geld verbrennen, sondern auch weitere Flüchtlingsmassen in Bewegung setzen. Ich kapier’s nicht: Wie kann man der Ukraine nicht genug von den versprochenen Waffen liefern, aber dann über viele Flüchtlinge aus der Ukraine jammern, über überforderte Kitas und Schulen, usw.“
„Man hätte eben schon längst mehr über Frieden verhandeln müssen!“
„Sicher, aber mit wem, du Dödel? Wenn Putin nur die Unterwerfung der Ukraine akzeptiert, sonst aber nicht ernsthaft verhandeln will und denen alle E-Werke und Heizanlagen kaputtschießt…“

Die Debatte wurde hitziger und lauter, ich fühlte mich als unbeteiligter Zuhörer nicht wohl und ging erstmal zur Toilette. Als ich zurückkam, hatte sich die Debatte nicht beruhigt. Ich trank mein Bier aus und zahlte. Bevor ich durch die Tür war, hörte ich noch:

„Waffen liefern schafft keinen Frieden!“

„Wenn der Krieg erstmal im Gange ist, helfen keine warmen Worte. Die Waffen der Anderen schaffen dann Tatsachen, die dir auch nicht gefallen werden!“

„So kann die Welt nicht in Frieden leben!“

„Genau! Solange Leute lieber die Waffen sprechen lassen, gibt es keine wirklichen Friedensgespräche.“

„Ach ja, Friedensgespräche — wer wünscht sie sich nicht? Aber wenn für unsere Friedenssehnsucht die Ukraine dem Putin ausgeliefert wird? Geht es hier darum, dass wir Friedensfreunde uns gut fühlen? Was fühlen die Menschen, die nicht von Putins Soldaten gefoltert, vergewaltigt und abgemurkst werden wollen? Wie kann man nur aus „Russlandfreundlichkeit“ so empathielos sein?“

Hinter mir fiel die Tür zu, ich stand vor der Kneipe und blickte in den Nachthimmel. Ich sah keine Sterne, es war zu hell hier. —

von W. R. mitgehört und aufgeschrieben

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Leiden am Homo Sapiens

Was der Homo Sapiens sich derzeit auf dem Globus leistet, spottet mal wieder jeder Beschreibung. Nein, ich meine jetzt nicht die Leute, die immer noch den Klimawandel leugnen und beharrlich gesicherte Erkenntnisse der Wissenschaft als Lüge ablehnen, weil ihnen die Entlastungslügen der Profiteure an der Verbrennung fossiler Energie besser gefallen. Da können ganze Landstriche absaufen oder ausdörren, da können zu stark erwärmte Meere immer mehr katastrophale Wettereignisse auslösen, Gletscher in nie gesehenem Tempo abschmelzen… Nein, nein, das ist kein extremer Klimawandel, nur normale Schwankung, und schon gar nicht von Menschen gemacht… Parole: Augen zu und an den Weihnachtsmann glauben!

Wenn ich davon rede, was sich Homo Sapiens derzeit leistet, meine ich im Besonderen das, was in den letzten Wochen unsere Nachrichtensendungen beherrscht: die Gewaltausbrüche und Kriegshandlungen des Homo Sapiens, sowohl von Einzelpersonen wie von staatlichen Akteuren. Man kann sich nur noch die Haare raufen, wenn der angeblich vernunftbegabte Homo Sapiens (wie er sich stolz nennt) Amok läuft, Hass und Hetze verbreitet und diese als Ansporn zu Gräueltaten konsumiert, wie er mit Anderen Hassparolen schreit und sich einem gewalttätigen Mob anschließt, wie er auf Gewalttaten gegnerischer Horden mit noch mehr Gewalt reagiert und ständig nur noch nach Rache und Vergeltung ruft…

Die Menschheit hat mit solchem Verhalten schon so viele Erfahrungen gemacht, dass Beobachter von außen, sagen wir mal: außerirdische Besucher, annehmen könnten, diese Erfahrungen müssten gerade den Homo Sapiens mit seinem geistigen Anspruch endlich dazu bringen, dieses ganze Gewalt-Theater zu hinterfragen und dessen entsetzliche Sinnleere zu erkennen.

Die Geschichte lehrt uns, dass diese Erkenntnis schon lange gereift ist, aber leider nur bei einzelnen, nachdenklichen Menschen, zeitweise sogar bei einer größeren Zahl von Einsichtigen. Doch diese waren nie zahlreich genug, waren nie in einer überwältigenden Mehrheit. Und obwohl es Zeiten gab, in denen die allermeisten Menschen sich nur nach dauerhaftem Frieden sehnten, wurden doch immer wieder Konflikte vom Zaun gebrochen und angeheizt, wurde kalkuliert Hass gesät, wurden Feindbilder aufgebaut, wurde zu Gewalt aufgerufen…

Das Schauspiel, das zurzeit etwa der Nahe Osten bietet, ist jenseits aller Phantasie von Romanautoren. Aber auch die brutal realisierten Großmachtphantasien der russischen Führung tragen Züge des menschenfeindlichen Wahnsinns, und wenn man auf Putins engste Verbündete schaut, dann sieht man ähnliche Gesinnungen von Machtbesessenheit und Rücksichtslosigkeit gegenüber Menschen und Menschenleben.

Wladimir Putin, Xi jin Ping, Kim Jon Un reichen sich nicht nur bei persönlichen Treffen die Hand für die Kameras, sie sind sich auch in der Gesinnung einig, Machtziele über das Leben von tausenden von Menschen zu stellen. Das haben Autokraten und Diktatoren leider so an sich. Wenn sie erst einmal an der Macht sind, geben sie sie nicht mehr her, im Zweifel werden noch mehr Gefängnisse für Kritiker gebaut, werden Gegner umgebracht, wird die Bevölkerung überwacht und mit ständiger Propaganda zum Glauben an die Stärke und Weisheit der Führer „erzogen“.

Die Idee der Menschenrechte, in Europa vor Jahrhunderten gereift und in vielen Aufständen und Revolutionen politisch wirksam geworden, hat sich in den sogenannten westlichen Ländern weitgehend durchgesetzt und zur Bildung von Regierungssystemen geführt, die mehr oder weniger demokratisch sind und nicht nur durch Beteiligung der Bevölkerung in Wahlen, sondern auch durch Gewaltenteilung die staatliche Macht in kontrollierten Grenzen halten und damit die Alleinherrschaft von Personen, Gruppen oder Parteien verhindern oder zumindest erschweren.

Auf ihre unbeschränkte Macht pochende Herrscher oder Gruppen lehnen folgerichtig die Idee der Menschenrechte ab und verabscheuen Demokratie. In China behaupten Machthaber seit Langem, die Menschenrechte seien der eigenen Kultur fremd und passten nicht nach Asien. Russlands Machthaber Putin hasst Demokratie geradezu und fasste daher vor Jahren den Entschluss, die Ukraine als Staat zu vernichten bzw. in ein russisches Imperium zurückzuholen, nachdem dort eine Revolution stattgefunden hatte und eine Mehrheit sich von Russland ab- und der EU zuwandte.

Von Nordkorea ist bekannt, dass die von Stalins Kommunismus geprägte Führung gnadenlos ihre absolute Macht ausübt und im Zweifel die Priorität statt auf ausreichende Ernährung der Bevölkerung lieber auf militärische Hochrüstung und ein Programm zur Entwicklung von Atomwaffen legt.

Wenn wir auf den Iran blicken, dann sehen wir dort Züge eines Regimes, das Ähnlichkeiten mit den vorgenannten aufweist. Als ideologische Stütze dient hier nicht eine geschönte Vergangenheitsidee von wiederzuerrichtender Großmachtstellung, auch nicht eine kommunistisch gefärbte Herrschaftsidee, sondern das Prinzip Gottesstaat. Dort bestimmen die obersten Verwalter der Religionsinhalte, was Gottes Wille sei und was das politisch zu bedeuten habe. Die Bevölkerung wird von „Religionswächtern“ überwacht und mit Verhaltens- und Kleidungsvorschriften drangsaliert, besonders die Frauen.

In Ländern, in denen eine rigide Staatsführung herrscht, will diese ihren Machtbereich möglichst umfassend kontrollieren und daher möglichst uniformieren. Autoritäre Führer haben ein Problem mit Minderheiten, sowohl mit ethnischen Minderheiten in ihrem Staatsgebiet als auch mit Gruppen, die in religiösen Fragen, in der Lebensführung, in der sexuellen Orientierung nicht einem verordneten Einheitsbild entsprechen.

Wir erleben in Deutschland ja auch aktuell, dass es Menschen gibt, die autoritäre Führer gut finden und deshalb auch eine Abneigung gegen alle von einer gedachten Norm abweichenden Lebensentwürfe und Denkweisen entwickeln.

Diese Vorstellung vom gesellschaftlichen Einheitskorsett herrschte bekanntlich besonders im Mittelalter, und daher ist es kein Wunder, dass sich damals auch der Antisemitismus festsetzte, gefördert von der christlichen Kirche. Die Kirche spielt da inzwischen nicht mehr mit, aber weltliche Ideologen kaperten diese Auffassung von der Ausgrenzung und benutzten sie als Hetz- und Ablenkungsmittel für die Menschen, die sich über die politischen Verhältnisse beschweren wollten oder könnten. Diese perfide Strategie gipfelte in dem Spruch „Die Juden sind unser Unglück“, womit man die Menschen für dumm verkaufte und sie von den wirklichen Machtverhältnissen in Politik und Wirtschaft ablenkte.

Im russischen Zarenreich verfiel der Geheimdienst auf die Idee, zur Ablenkung der Kritik an der Zarenherrschaft und den gesellschaftlichen Verhältnissen die Mär von einer jüdischen Weltverschwörung zu erfinden. Um das Phantom einigermaßen glaubhaft in die Welt zu lancieren, setzten sich einige Geheimdienstler hin und schrieben ein Buch, das sie mit dem Titel „Die Protokolle der Weisen von Zion“ in Umlauf brachten — ein angebliches Originaldokument, in Wahrheit eine dreiste Fälschung mit dem Ziel, Juden zu diskreditieren und unter Generalverdacht als Staatsfeinde zu stellen.

Heute würde man das Fake News nennen, aber auch heute fallen ja Viele auf erfundene Nachrichten herein, vor allem auf solche, die im Netz kursieren und so tun, als verbreiteten sie wahre Nachrichten, die von den (gewissenhaft berichtenden) Medien bewusst verschwiegen würden. Bekanntlich wird das Netz inzwischen mit Falschmeldungen geradezu überschwemmt, die meist von autoritären Machthabern im Ausland veranlasst sind, um uns zu verwirren, zu verunsichern und gegeneinander aufzuhetzen.

Homo Sapiens macht sich selbst das Leben, vor allem das Zusammenleben mit anderen Menschen, unnötig schwer, indem er/sie oft das Trennende zu sehr in den Blick nimmt und darüber vergisst, dass alle Menschen auf dieser Erde viel mehr Gemeinsames verbindet, als es je an Unterschieden geben könnte.

Um den oben zitierten Spruch zurechtzurücken: Nicht die Juden, auch nicht irgendeine sonstige ethnische oder religiöse Gruppe ist unser Unglück; unglücklich macht sich Homo Sapiens mit den künstlich aufgebauschten Unterschieden, mit den Schubladen, in die Menschen einsortiert und mit denen sie oberflächlich bewertet werden. Unser Ungück sind Ausgrenzung, Diffamierung, Gewalt gegen Menschen, oder anders gesagt: Wir machen uns unglücklich mit einer Welt voller trennender Grenzen, in der wir alle diejenigen ablehnen, die nicht unserem Selbstbild entsprechen. Und, Hand auf’s Herz: Unser Selbstbild ist doch mehr oder weniger geschönt, die Schatten im Bild schieben wir gern von uns weg und projizieren sie auf Andere.

Genauso wie manch ein Mensch ein realistisches Selbstbild nicht ertragen kann, so kann er auch nicht ertragen, dass er an anderen Menschen Züge erkennt, die er bei sich selbst leugnet. Daher neigen Viele dazu, Fremden negative Eigenschaften zuzuschreiben: Sie wollen selbst gut dastehen, einen schlechten Charakter haben nur Andere. Sie machen nie wirklich Fehler, die sehen sie aber umso deutlicher bei Anderen…

W. R. (ein Homo Sapiens, keine KI)

P.S. Aufmerksame BesucherInnen dieser Website fragen sich wohl, was die Überschrift dieses Beitrags meint. Wer ein wenig über den Inhalt nachgedacht hat, kommt von selbst darauf — oder erinnert sich vielleicht an den schon vor Jahren gehörten Witz:

Treffen sich zwei Planeten. Sagt der eine: Oh-oh, ich leide an Homo Sapiens. Sagt der Andere: Das geht vorbei.

Grundsätzliche Bemerkung am 09.10.24:

Man hört und liest Sätze wie: „Der Hass auf Juden ist größer geworden.“ Das, lieber Nachbar-Homo-Sapiens, musst Du mir erklären! Wie kannst du jemanden hassen, wenn der dir nichts getan hat, der nicht gegen deine Interessen handelt, der einfach nur sein Leben als normaler Bürger leben will so wie du? Erklär mir dein Motiv zu hassen!

Ich höre Gestammel und allgemeine Ausflüchte in Aussagen über „die Juden“. Die sind aber an den Haaren herbeigezogen, und wenn ich nachfrage, was ihn persönlich stört, ist er weiter in Erklärungsnot und brabbelt was von „Man weiß doch…“ und „Schon lange…“ Darauf sage ich: „Man weiß doch, dass der ganze rassistische Unfug keine reale Basis hat, dass Juden Menschen wie wir sind — und nicht nur Juden…“ Da wird er verlegen, setzt noch zu einer Erwiderung an, wendet sich aber ab und trollt sich.

Habe ich ihn überzeugt? Ich vermute, eher nicht. Denn Vorurteile hat der Homo Sapiens nur, weil er sie haben will, nicht etwa aus guten Gründen, sondern aus Dünkel und Denkfaulheit. Ja, so ist es leider, Herr Nachbar. Ab und zu sollte man mal seine Einstellungen überprüfen und überlegen, ob sie noch auf der Höhe der Zeit bzw. des allgemeinen Wissens sind. Und ob sie dem eigenen, behaupteten Standard von Menschlichkeit entsprechen.

Aber dazu gehört, dass man überhaupt bereit ist zum Nachdenken… Wenn der Nachbar dazu nicht bereit ist, sucht er sich lieber Gesellschaft, wo er in seinen Vorurteilen bestärkt wird. Damit er sein Denkvermögen nicht anstrengen muss.

Man weiß doch: Auch so isser, der Homo Sapiens.

Einwurf: Gehirn einschalten!

EINWURF: Man hört, die AfD sei eine Gefahr für unsere Demokratie. Das ist viel zu sanft formuliert, denn die AfD und die gewaltbereiten Islamisten triggern sich gegenseitig und fördern dumme Kurzsichtigkeit bei ihren Anhängern und Sympathisanten. Beide Seiten sägen am Ast, auf dem wir sitzen: Die Islamisten wollen unsere Freiheit zerstören, ebenso die Rechtslastigen, und das sogar aus ähnlichen Motiven.
Die AfD will, dass im AfD-Staat wieder der Blockwart ums Haus patrouilliert und unser Leben überwacht — genau wie im Gottesstaat auch. Außerdem will die AfD unsere Wirtschaft ruinieren.
Putin gefällt das. Wen das nicht stört, der lege endlich seine Scheuklappen ab, im Zweifel kann man hier im Blog nachlesen, wer Putin ist (siehe „Putin verstehen“, u.a. Beiträge). Und kommt mir nicht mit dem BSW! Ähnliche Masche, von der cleveren Sahra Putinknecht eingefädelt, bei Trump viel abgeschaut und von Lafontaine verfeinert.
Ehe mir übel wird, noch dies: Meine letzte Hoffnung setze ich auf die Vernünftigen, die nicht allein aus dem Bauch heraus politische Entscheidungen treffen, sondern dazu auch ihr Gehirn einschalten.
W. R.

Noch eins: Ich habe nichts gegen Russland-Freundlichkeit, im Gegenteil, ich habe auch Sympathie mit den Menschen in Russland. Aber gerade deswegen kann ich diesen blutigen Möchtegern-Zaren Putin nicht gutheißen. Wieviele Zehntausend junge Soldaten mussten schon für seine Machtfantasien sterben? Wieviele gute Leute mit Gewissen hat er schon in Lager gesteckt oder umbringen lassen? Dieser skrupellose Geheimdienst-Mann an der Spitze des Machtapparates bringt Unheil über Russland.

Übrigens, Ihr Algorithmus-Gesteuerten: Was Ihr in den social media als „russlandfreundlich“ wahrnehmt, ist getarnte Putin-Propaganda, und wer es jetzt noch nicht begreift, der kommt aus seiner Blase eh nicht mehr raus. Merke: Russlandfreundlich sein heißt, gegen Putin sein. Punkt.

Und hallo, Ihr Algorithmus-Gesteuerten und Verschwörungsgläubigen: Den „großen Austausch“ der Bevölkerung gibt es tatsächlich — aber ganz woanders, als Ihr glaubt! Den gibt es in Russland und den von Russland besetzten Gebieten der Ukraine, da werden nicht nur Kinder entführt und weit weg in Russland zu Putin-treuen „Patrioten“ erzogen, da werden Menschen aus Russland in größeren Mengen umgesiedelt und in die Häuser von getöteten oder geflohenen Ukrainern eingewiesen. Putin knüpft damit auch an alte, von Zaren und von Stalin verübte Praktiken an. Auf Menschen und ihre Wünsche wird da grundsätzlich keine Rücksicht genommen, da findet in der Tat ein geplanter und von oben verordneter Bevölkerungsaustausch statt.

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Putin verstehen

ES gibt eine neue Herausforderung für Putin-Versteher und Friedens-Idealisten: Putin lässt einen Tag vor einem Nato-Gipfeltreffen mitten in Kiew das größte Kinder-Krankenhaus der Ukraine aus der Luft angreifen und z.T. zerstören. Jetzt, bitte, erklärt mal, warum Ihr für Putin seid und gegen Waffen- (und Luftabwehr-) Lieferungen an die Ukraine. Wo ist Eure moralische Basis, wo Euer Verstand angesichts dieser Fratze des russischen Regimes?
Und kommt mir bloß nicht mit irgendwelchen Ausflüchten, die der Nato oder sonstwem die Schuld an dieser bestialischen Kriegführung zuschieben wollen. Putin hat schon in Syrien vor vielen Jahren gezielt Kankenhäuser, Schulen etc. in „Rebellengebieten“ bombardieren lassen. Das hatte nichts mit Verteidigung irgendwelcher Interessen an Russlands Grenzen zu tun, wie ein Blick auf die Landkarte zeigt. Putin ging es nur darum, den blutigen Diktator Assad in Syrien an der Macht zu halten — um russischen Einfluss auf die Region nicht zu verlieren. Moral spielte auch da absolut keine Rolle. Zum Machterhalt ist eben alles erlaubt, wirklich alles, so glauben diese Diktatoren.
Bei Putin braucht es keine Enthüllungen von Verfehlungen oder Kriegsverbrechen durch Wikileaks oder andere, denn er legt selbst Wert darauf, dass man seine brutale Fratze sieht und ihm alles zutraut. So will er unter seinen Kritikern, Gegnern und Feinden maximalen Schrecken verbreiten. Deswegen treibt er auch seine Soldaten in der Ukraine zu brutaler Behandlung von Gefangenen wie Zivilbevölkerung an. Das Entsetzen soll als zusätzliche Waffe wirken. Niemand soll hoffen. dass moralische Fragen bei Putin eine Rolle spielten.

Also, Ihr seht: Ich bin ein wahrer Putin-Versteher.

W. R.

Übrigens: Auch ein paar andere Regime haben hässliche Fratzen zu bieten. Welche? Schaut mal, wer in den Nachrichten bei persönlichen Treffen Putin besonders freundschaftlich die Hand drückt… (und ihm dann Waffen und Munition liefert).

Nachtrag am 10.08.2024: Angesichts der derzeitigen Weltlage (und damit meine ich wirklich die globalen politischen, wirtschaftlichen und Klimaverhältnisse) find ich es unverantwortlich, wenn hierzulande PolitikerInnen und Andere öffentlich fordern, die Hilfe für die Ukraine zu kürzen oder ganz einzustellen. Das und auch die prinzipiell russlandfreundliche Haltung Vieler sehe ich äußerst kritisch, um nicht zu sagen: Diese Einstellung grenzt schon an Landesverrat — angesichts der Weltlage, wohlgemerkt. Landesverrat heißt: sich gegen die Interessen des eigenen Landes stellen und bewusst dem eigenen Land Schaden zufügen, indem man mit einer fremden Macht gegen das eigene Land paktiert.

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Nachtrag am 14.09.2024: Russische Staatsmedien diskutieren derzeit herauf und herunter größenwahnsinnige Weltreichsfantasien, z.B. unter dem Motto: „Unsere Grenze sollte der Atlantik sein.“ Tja, wenn AfD und BSW kräftig mithelfen, kann das vielleicht was geben…: Deutschland als Vasall Russlands. Aus der Hölle lässt Josef Dschugaschwili, genannt Stalin grüßen und klatscht sich vor lauter Freude auf die Schenkel.

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Ergänzung am 19.09.2024: Putin verstehen, das heißt ganz naheliegend auch: Dieser Mann kam durch den Geheimdienst nach oben. Das bedeutet, dass er weiterhin wie ein Geheimdienstmann denkt, dass er bevorzugt die ihm lange bekannten Mittel einsetzt, und die ihm lange bekannten Männer, nämlich Ex-Kollegen. Das bedeutet ferner: Putin hat keinerlei Bedenken, unsere Politik über die social media zu beeinflussen und im Sinne des Vorgehens gegen den geringsten Widerstand die in Deutschland verbreitete, altgewohnte Sympathie für Russland auszunutzen. Er möchte uns weismachen, dass wir nicht trennen sollten zwischen Sympathie mit den russischen Menschen und Sympathie für den Paten und Kriegsverbrecher Putin. Und wer macht da kräftig mit? AfD und BSW. Mehr zu Putins verdeckter Manipulation > Russlands hybride Kriegsführung: »Der Kreml stuft Deutschland als leichte Beute ein« – DER SPIEGEL

Mehr als nur ein bisschen Frieden

Viele Menschen bewegt die Frage: Was ist in der Welt los, wenn gewaltaffine Machthaber zunehmend die Weltpolitik beeinflussen, wenn ihre Kritiker und Gegner gefangen gehalten, gefoltert, umgebracht werden, wenn Machthaber in Wahnvorstellungen von einer Großmachtstellung oder Weltherrschaft Kriege anzetteln und Nachbarländer überfallen… ?
Seht Euch das Gebaren dieser Machtpolitiker an: Vor Kameras spielen sie den „Starken Mann“, der alles (und noch mehr) im Griff hat und jeden Widerstand platt macht. Diese autoritären Herrscher und Diktatoren haben sich mit Hilfe des Militärs an die Macht geputscht oder nach einer Karriere im Geheimdienst mit allen dort erlernten Mitteln und Tricks sowie Seilschaften alter Kollegen an die Macht gedrängt.
Damit ist nicht hinreichend erklärt, warum es viele solcher Typen gibt und warum Viele ihnen nacheifern und Macht über Menschlichkeit stellen, ja sogar letztere ganz aus den Augen verlieren. Diese Typen glauben, es sei gerade die Rücksichtslosigkeit, die sie nach oben bringe. Und sie bilden sich ein, dafür besondere Bewunderung zu verdienen, weil sie auf ihre speichelleckende Entourage hören. Es wäre besser für unsere Gesellschaft und für die Welt überhaupt, wenn sich viel mehr Leute einig wären, solches Verhalten zu ächten und nicht nur moralisch fragwürdig zu finden.

Wer, um seine Macht zu vergrößern, keine Skrupel kennt und auch nicht danach fragt, was es den betroffenen Menschen bringen soll, an einer Front verheizt zu werden in einem Krieg, der den meisten Menschen im Land der Angreifer rein gar keinen Vorteil bringt, der gehört geächtet und vor ein Gericht gestellt. Und das Land der Angegriffenen sollte jede Unterstützung bekommen, den Angreifer zurückzuschlagen, um den Schaden zu begrenzen und weitere Schäden zu verhindern.

Was bringt es denn dem einzelnen Staatsbürger, sich für aggressive Politik einspannen zu lassen? In Deutschland gibt es wahrlich genug historische Beispiele vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Zweiten Weltkrieg, die uns klar machen: Krieg ist Mist. Und in der Regel brechen Kriege nicht aus, sondern werden mit Absicht riskiert oder sogar angezettelt. Manchmal aus männlicher Ehrenpusselei, mal als Ausflucht vor Kritik im Inneren, mal aus plattem Kalkül der Machtgier und der Aussicht auf reiche Beute, etc.

Krieg ist aber auch für die Mächtigen riskant, die sich daraus Vorteile versprechen. Wie die Geschichte zeigt, werden selten die Vorstellungen erfüllt, die sich Angreifer ausgerechnet oder erhofft haben. Schon Herodot, der erste Historiker der Griechen, berichtet von einem König, der ein Nachbarland angreifen wollte und vorher ein Orakel über seine Erfolgsaussichten befragte. Die Antwort: „Wenn du diesen Krieg beginnst, wirst du ein großes Reich zerstören.“ Das nahm er erfreut als Verheißung auf und griff an. Doch das Resultat war: Er wurde geschlagen, das Reich, das er zerstörte, war sein eigenes.

Denken Sie selbst an Beispiele, Sie finden sicher welche von Kriegen, die für die Angreifer im Desaster endeten. Historische Studien haben festgestellt: Krieg verläuft nie nach Plan.

Auch aktuell sehen wir, dass Putins Plan für seinen Eroberungskrieg gegen die Ukraine nicht aufging. Alle Welt hat gesehen, dass sein „Blitzkrieg“-Vorstoß auf Kiew im Desaster und mit Rückzug endete. Und dass ab März 2022 der Krieg anders verlief, als russische Militärs sich das gedacht hatten. Was den weiteren Kriegsverlauf betrifft, so treten in unseren Medien immer wieder Militärexperten und auch selbsternannte Experten auf, die wissen wollen, was für die Zukunft zu erwarten sei.

Darunter sind Stimmen, die verkünden, dass Russland diesen Krieg gar nicht verlieren könne, weil es ein so großes Land sei. Das klingt in meinen Ohren oberflächlich, wenn nicht naiv. Wer keine Ahnung von militärischen und kriegslogistischen Dingen hat, neigt vielleicht dazu, so etwas für überzeugend zu halten. In diesem Krieg sind aber bisher schon einige Dinge passiert, die manche Pessimisten nicht für möglich hielten, weil sie die Ukraine von vorneherein für hoffnunslos unterlegen hielten.

Manchmal beschleicht mich das Gefühl, die Unterstützung aus westlichen Ländern für die Ukraine kam (aus was für Gründen auch immer) nicht zügig und konsequent, man debattierte (vor allem bei uns) über Waffengattungen und ihre Wirkungsweise, man äußerte Furcht vor Eskalation, man wollte Putin nicht reizen…. Dabei war es doch Putin, der keine Rücksicht auf irgendwen nahm und diesen Krieg vom Zaun brach. Und Putin drohte und droht immer wieder mit Eskalation durch Einsatz von Nuklearwaffen. Warum wohl?

Immer noch fordern Friedensbewegte, unsere Regierungen sollten mehr „die hohe Kunst der Diplomatie“ nutzen und weniger von Waffenlieferungen reden. Dazu fällt mir zuerst immer das Foto aus dem Kreml ein, wo im Februar 2022, einige Tage vor dem russischen Angriff, Kanzler Scholz zum Gespräch mit Putin an einem Tisch sitzt, und Putin hat ihn sich an einem absurd langen Tisch gegenüber gesetzt. Das war schon die symbolische, bildliche Verhöhnung aller diplomatischen Bemühungen. Putin ließ sich nicht vom Krieg abhalten. Putin, der Machtmensch, zeigt gern in Bildern, was für ein machtvoller, starker Kerl er sei.

Unsere Friedenbewegten im Lande greifen ständig unsere Regierung und „den Westen“ wegen „zuwenig diplomatischer Benühungen“ an, reden aber fast gar nicht von der Gegenseite am Verhandlungtisch. Und da kommen wir wieder an den Anfang, an den nicht vorhersehbaren Verlauf von Kriegen. Gegen die historische Erfahrung wird behauptet, die Fortsetzung der Unterstützung für die Ukraine sei sinnlos, man müsse sofort über Waffenstillstand verhandeln. „Jeder Krieg endet am Verhandlungstisch“, riefen sie. Ja, aber soweit sind wir doch noch nicht. Die Frage lautet zuerst: Was muss entscheidend passieren, damit überhaupt verhandelt wird?

Solange Putin sich von der Fortsetzung des Krieges mehr verspricht als von einem Waffenstillstand, wird er nicht ernsthaft in Verhandlungen eintreten wollen. Das liegt auf der Hand. Leider war aber die Unterstützung der Ukraine nicht so konsequent, wie sie hätte sein müssen, damit Putin größere militärische Niederlagen erlitten hätte. Nur das hätte ihn umstimmen können.

Darüber hinaus muss man sich klarmachen: Der Charakter Putins und seines Herrschaftsapparates ändert sich nicht, wenn er irgendwelche Vereinbarungen über Waffenstillstand oder Frieden unterschreibt. Das ist ja nach wie vor Fakt: Putin hat gezeigt, dass er Vereinbarungen und Verträge ignoriert, wenn es ihm Vorteile bringt. Darum ist mit seiner Unterschrift noch nicht viel gewonnen. Einen Frieden bekommen wir erst, wenn er effektiv eingebunden wird in ein Sicherheitssystem, das in Europa wieder stabile Grenzen und deren Respektierung schafft.

Ich halte es für eine Illusion zu glauben, dass Russland seine imperialen Ziele aufgeben wird, nachdem Putin schon die Geschichtsbücher für die Jugend umschreiben ließ und ständig Propaganda für seine Vorstellung der „russischen Welt“ macht. Wenn einer schon Stalin (!) als Vorbild wiederbelebt und seine Soldaten Gräueltaten unter Zivilisten begehen lässt (Die Militär-Einheit, die in Butscha viele zivile Tote auf den Straßen zurückließ, wurde von Putin persönlich vor Fernsehkameras mit Orden belohnt), was soll man da für die Zukunft erwarten?

Zu erwarten ist, dass die Saat des imperialistischen Denkens in Russland auch auf lange Sicht aufgehen wird, dass Putins Werteprinzip der rücksichtslosen Gewalt die russische Gesellschaft nachhaltig prägen wird, dass also Russland nicht als friedensstiftender Faktor in Europa wirken wird (egal, wie der aktuelle Krieg in der Ukraine beendet wird).

Wer jetzt der Ukraine die Unterstützung entziehen will, ist entweder politisch naiv oder von Putins Propaganda eingenommen. Beides läuft auf eine Unterwerfung unter die Herrschaft von Putin hinaus. Dies sollten alle bedenken, die glauben, ein schneller Waffenstillstand und Frieden mit Putin um jeden Preis sei das Gebot der Stunde.

Im Übrigen finde ich es unverschämt, wenn „Friedenstauben“ der Ukraine nahelegen, auf Gebiete zu verzichten, damit Ruhe einkehre. Ruhe für wen? Ihr könnt nicht Putin Gebiete schenken, die Euch gar nicht gehören! Putin hat sich schon widerrechtlich Teile der Ukraine angeeignet und dort „Russifizierung“ mit all ihren hässlichen Konsequenzen begonnen. Das wollt Ihr ihm durchgehen lassen und ihm auch noch eine Belohnung geben? Für ein bisschen (vorläufigen) Frieden? Glaubt Ihr denn, danach könntet Ihr ruhiger schlafen? Das ist in meinen Augen Traumtänzerei.

Offensichtlich geht es um viel mehr als nur um die Frage, wie man den aktuellen Krieg in der Ukraine beendet. Es geht nicht um ein bisschen Frieden, um eine Atempause zu haben, während Putin weitere Ziele auf dem Kartentisch absteckt. Es geht um eine stabile Friedensordnung, in der wirklich Friede in Europa einkehrt — und bleibt.

W. R.

P.S. Mehr zur aktuellen Debatte um Pazifismus und Waffen siehe Essay „Und den Menschen ein Wohlgefallen?“, zu finden in der Unterseite Clio, 6.

Zusatz am 11.08.24: Der Vorstoß ukrainischer Truppen in den Bezirk Kursk beweist, dass die ukrainische Armee bisher daran gehindert wurde, ihre Operationen so zu planen, wie es die russische Seite kann. Der Westen hat stets seine Waffenlieferungen an Bedingungen gebunden — zum Vorteil der russischen Seite: Im Gegensatz zur Ukraine konnte das angreifende Russland vor effektiven Angriffen auf sein Gebiet relativ sicher sein. Putins Propaganda bezeichnet den berechtigten Angriff der Ukraine auf russisches Staatsgebiet denn auch als „Provokation“; wenn er „Provokation“ sagt, versucht er wieder einmal, besonders den Deutschen Angst zu machen. Bei den Ukrainern kann er seinen Terror sowieso nicht mehr steigern. Putin versucht an der mentalen Front, deutsche Friedenstauben weich zu kochen, weil er die deutsche Hilfe für das angegriffene Land sehr gern ausschalten würde. Und weil er mit seinen Trollfabriken die Möglichkeit hat und nutzt, die Tiktok-Generation zu beeinflussen und AfD und BSW weiter Schützenhilfe zu geben. —

Blick nach vorn

AM 23. Mai 2024 wurde offiziell gefeiert, dass unsere Verfassung, das Grundgesetz, vor 75 Jahren verkündet wurde und in Kraft trat. 1949 hatte man Lehren aus der Zeit der Weimarer Republik, der Nazi-Zeit und dem Zweiten Weltkrieg gezogen und diese in die Verfassung eingearbeitet — auf der Grundlage der Menschenrechte. Damit bekam (damals nur West-) Deutschland eine Verfassung, die man in historischer Perspektive als die beste, d.h. freiheitlichste sehen muss, die je auf deutschem Boden in Kraft trat.

Es gibt aber auch Menschen, die den Blick zurück wenden und mit soviel Freiheit offenbar überfordert sind. Sie möchten lieber gegängelt werden, sie wollen Entscheidungen lieber mächtigen Autoritäten überlassen, sie wollen einen „starken Mann“ an der Spitze des Staates bewundern und im Gleichschritt hinter ihm hermarschieren, egal wohin. Bloß nicht viel denken und mitentscheiden müssen! Da wird höchstens mal hinter vorgehaltener Hand gemeckert, sich aber prinzipiell geduckt. Wie soll mit so gestrickten Gemütern eine Demokratie funktionieren, die diesen Namen verdient?

Putin setzte in Russland vor etlichen Jahren den Begriff „gelenkte Demokratie“ in Umlauf, um seinen Weg in die Diktatur zu vernebeln (Unser G. Schröder hatte Putin geholfen, indem er ihn in einem Interview als „lupenreinen Demokraten“ bezeichnete). Allen musste klar sein: Putins Worthülse sollte für Verwirrung sorgen, denn eine echte Demokratie wird nicht von irgendwo gelenkt. Darüber hinaus ist eine Demokratie nicht bloß durch Wahlen definiert, sondern z.B. auch durch Meinungsfreiheit und Gewaltenteilung, Minderheitenschutz, etc. Ihr wisst schon (hoffe ich stark!). Dennoch benutzen Autokraten und Diktatoren gern das Instrument von Wahlen, wenn sie zuvor dafür gesorgt haben, dass keine Opposition eine Chance hat. Seit Hitler legt jedes autoritäre Regime Wert auf zumindest den Anschein, dass die große Mehrheit der Bevölkerung seiner Herrschaft zustimmt.

Hierzulande gibt es, wie gesagt, Menschen, die sich für so ein Modell Putin erwärmen und auch Chinas Diktatur nicht schlimm finden. Dabei wäre die Frage, ob das auch so bliebe, wenn sie morgen in einem solchen System leben müssten, wo sie nicht mitentscheiden dürfen, was von oben befohlen, erwünscht, erlaubt und verboten ist. Aber wenn dem Esel zu wohl wird, geht er auf’s Eis — sagt ein altes Sprichwort. Und Einigen geht es in unserem Staat anscheinend zu gut, sie nehmen das als selbstverständlich.

Aber reden wir nicht länger von Leuten, die von der übrigen Welt wenig wissen, oder sich in eine schöngefärbte Vergangenheit zurücksehnen, die es so nicht gab und die es auch nicht geben wird. Wenden wir den Blick nach vorn!

Was brauchen wir denn in einer Welt, die schon zwei Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts erlebt hat und vor Problemen steht, von denen man eins sicher sagen kann: Sie werden nicht mit Mitteln und Methoden aus Opas Mottenkiste gelöst. Das hat z.B. ein Putin schon zu spüren bekommen: Mit seinem „schnellen“ Eroberungskrieg in der Ukraine ist er auf den Bauch gefallen. Und was Hitler nicht geschafft hat, wird auch Putin nicht schaffen: Sie konnten die Welt nicht davon überzeugen, dass das „Recht des Stärkeren“ alles Recht in den internationalen Beziehungen schlägt… zumal beide sich verrechnet haben, was die Gegenwehr angeht. Auch Putin wird die Puste ausgehen, schon jetzt hat er sein (erträumtes) „Großrussland“ politisch von China abhängig gemacht. Wirtschaftlich ist er auf dem Holzweg, wenn er glaubt, die meisten Länder würden in Zukunft von seinen Rohstofflieferungen (Öl, Gas, Uran-Brennstäbe) abhängig sein. Das Verbrennen fossiler Energieträger ist ein Auslaufmodell, die russische Wirtschaft muss sich baldigst umorientieren. Da sehen wir übrigens einen Grund für die verbreitete Propaganda gegen Klimawandel, der geleugnet wird, und gegen die Energiewende.

Aber auch Deutschland kann sich nicht auf Lorbeeren der Vergangenheit ausruhen. Der ehemalige „Exportweltmeister“ muss sich auch veränderten Bedingungen anpassen, z.B. was die Elektromobilität betrifft. Aber dieses Thema wollen wir an dieser Stelle nicht vertiefen. Wichtig ist, dass wir erkennen: Man muss mit der Zeit gehen, nichts bleibt auf ewig, wie es ist.

Und da wir eingangs über das Jubiläum „75 Jahre Grundgesetz“ sprachen, fragen wir uns auch, ob dieses Grundgesetz in allen Teilen so bestehen kann, wie es konzipiert wurde. Müssen wir nicht von Zeit zu Zeit überlegen, ob diese Verfassung veränderten Bedingungen und neuen Herausforderungen angepasst werden muss? Das geschieht ja auch manchmal, es gibt Änderungen, und es gibt Ergänzungen, die im Laufe der Jahrzehnte vom Bundestag mit der nötigen Zweidrittel-Mehrheit beschlossen wurden. Denn es ist klar, dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes 1948/49 nicht alles vorhersehen konnten, was in Zukunft zu klären und zu regeln sein würde.

Wenn wir den Blick nach vorn richten, können wir uns natürlich auch Gedanken darüber machen, ob und wie unser Grundgesetz auf neue Entwicklungen und Herausforderungen eingestellt werden soll. Darüber hat sich auch Renan Demirkan zum Jubiläum ihre Gedanken gemacht und in einem Artikel formuliert. Dieser ist auf jeden Fall lesenswert, wenn man Denkanstöße schätzt und sich mit Vorschlägen auseinandersetzen möchte, die den Blick nach vorn richten. > Kölner Stadt-Anzeiger e-paper

W. R.

Bemerkung am 3. Oktober 2024: Wollen wir nicht mal darüber diskutieren, ob eine Partei wie die AfD verboten gehört? Und wollen wir nicht mal darüber nachdenken, ob die Hauptforderung des BSW nicht verkappter Landesverrat ist, um uns zu Vasallen von Putins Russland zu machen?

AfD und BSW verbreiten die Erzählung, wir würden von den USA beherrscht. Was sollte denn besser werden, wenn uns statt den USA demnächst Russland beherrschte? Schaut Euch doch mal an, wie es den Russen unter Putin geht! Die große Mehrheit wäre froh, wenn sie dort leben könnten wie die Mehrheit der Deutschen hier. Und die wären auch schon froh, wenn Putin nicht ihre Söhne an der Front zu tausenden rücksichtslos verheizen würde, und wenn das viele Geld für die Hochrüstung wenigstens teilweise für soziale Zwecke im Land ausgegeben würde. Also, wer es gut mit den Menschen in Russland meint, der kann nur hoffen, dass Putin keinen Krieg gewinnt und keinen weiteren anfängt, und dass er bald abtritt oder seine Politik ändert.

Wer glaubt, die Einstellung der Hilfe für die Ukraine würde Frieden bringen, der muss sich erst einmal fragen lassen: Frieden für wen? Und was blüht dann den von Russland beherrschten Menschen in der Ukraine? Und wer soll dann die vielen neu ankommenden Flüchtlinge aus der Ukraine versorgen?

Denken, nicht nur gefühlsduselig nicken beim Ruf nach Frieden! Ist das so schwer?

German Angst?

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, einen ruhigen Abend in meiner Stammkneipe zu genießen und mich auch beim Abendessen nicht stören zu lassen. Das lief auch gut an, bis die Runde der Stammgäste am Tresen sich zusammenfand. Ich hatte mir fest vorgenommen, in diesem Falle wegzuhören und mein Ohr nicht wieder der Diskussion am Tresen zu leihen. Doch bald war ich doch wieder dabei, die Debatte zu verfolgen, weil sie mich inhaltlich interessierte. Ich bekam nicht mit, wer welche Meinung vertrat, wollte ja auch gar nicht hinhören und -sehen, aber soviel hörte ich trotzdem:

„Also, dat wär ja ein Ding, mit dem Scholz mich positiv überraschen würde: Wenn die Ukrainer plötzlich mit ein paar Taurus-Marschflugkörpern den russischen Nachschub an die Front unterbrechen würden! Die aktuelle Lage im April 2024 gibt das her, es wäre ein starkes Zeichen für Umdenken des Kanzlers angesichts der veränderten Lage. Was würde passieren? Die Russen könnten ihre befürchtete Offensive auf Charkiv nicht wie geplant durchführen und müssten sie verschieben — und genau das braucht die Ukraine jetzt dringend, nämlich die Zeit, bis die endlich beschlossene Hilfe aus den USA vor Ort eintrifft. Ist ja gut, dass sich Scholz in Europa für weitere Lieferungen von Luftabwehrsystemen stark macht. Aber die Ukraine braucht zurzeit mehr. Und ich würde Scholz demnächst wieder wählen, wenn er diesen Schritt… “ —
„Nun stopp mal, das geht zu weit! Er hat Taurus nicht liefern wollen, und ein Großteil seiner Partei findet das gut, ich übrigens auch! Russland ist immerhin Atommacht, die darf man nicht leichtfertig reizen.“ —
„Moooment mal! Das ist ein sehr fragwürdiges Argument. Vor allem streut das die russische Propaganda immer wieder, weil es gerade in Deutschland Eindruck macht. Besonders in der SPD glaubt man, der eigene Markenkern in der Außenpolitik sei Willy Brandts Friedenspolitik. Kann man glauben, geschenkt! Das muss aber nicht im 21. Jahrhundert weiterhelfen. Im Kalten Krieg hatten wir eine in vieler Hinsicht andere Weltlage. Was damals gut lief, kann man nicht 1:1 auf heute übertragen. Und wir haben ja schon erfahren müssen, dass Russland heute nicht so handelt wie die Sowjetunion damals. Deswegen haben sich doch Viele getäuscht und sich von Russlands billigem Gas abhängig gemacht.“ —
„Das war doch unter Merkel von der CDU!“ —
„Ja, und wer saß mit am Kabinettstisch? Wir hatten die GroKo von CDU und SPD. Schon vergessen?“ —
„Hört auf damit, jetzt geht’s um heute und morgen! Allerdings sind in der SPD und anderswo noch nicht alle Friedenstauben aufgewacht und meinen immer noch, sie könnten verhandeln statt Kriegführung unterstützen. Dabei wollen sie nicht wirklich auf die militärischen Notwendigkeiten blicken — wohl auch, weil sie sich nur mit Friedensideen befassen, aber keinen Schimmer vom Verlauf und den möglichen Wendungen von Kriegen haben. Putin hat es ja klar gesagt: Bei der gegenwärtigen, für ihn aussichtsreichen Lage sieht er keinen Grund zu Verhandlunngen.“ —
„Eben, und daran könnten einige Taurus-Einschläge an den richtigen Stellen etwas ändern. Das heißt: Erst wenn die Lage aus Putins Sicht nicht mehr aussichtsreich ist, sondern ihm die Kontrolle auch über annektierte Gebiete entgleitet, erst dann können wir mit Verhandlungsbereitschaft rechnen. Dann nämlich hätte Putin Angst, noch mehr zu verlieren, und würde sich beeilen, das Erreichte zu sichern — bevor er womöglich weggeputscht wird. Darum geht es doch.“ —
„Das sehe ich auch so. Und ich bezweifele, dass Putins Umfeld ihm allein den Roten Knopf überlassen wird, um Atomwaffen einzusetzen. Russland würde sich politisch weitgehend isolieren, vor allem von China.“ —
„Da ist was dran. Übrigens hat der Iran schon mal US-Militäreinrichtungen im Mittleren Osten angegriffen, obwohl die USA eine starke Atommacht sind. Und, haben die USA einen Atomwaffen-Einsatz auch nur angedroht? Haben sie nicht. Bei uns tun aber Einige so, als säße Putin mit nervösem Finger am Roten Knopf im Kreml. Das kommt vor allem von Leuten wie Sarah Putinknecht.“ —
„Die schüren die German Angst, wie das im Ausland oft spöttisch heißt. Putin gefällt das. Der alte Geheimdienst-Fuchs weiß genau, wie man Leute einschüchtern und in Angst versetzen kann. Nur muss das Opfer auch mitspielen und sich einschüchtern lassen. Wirklich Angst haben müssen doch die Leute, die Putin offen kritisiert haben und im Gefängnis landen, oder ins Ausland fliehen. Sie sind nirgendwo sicher.“

Ich hatte meine Zeche bezahlt und verließ das Lokal, während am Tresen Einer eine Runde gab, und alle sich zuprosteten und weiter friedlich im Gespräch blieben. Das war das Sympathische an dieser Runde: Selbst wenn sie verschiedener Meinung waren und sich stritten, waren sie sich einig darin, hier nur Meinungen und Argumente auszutauschen und niemanden persönlich für seine Meinung anzufeinden. Und deshalb trafen sie dort immer wieder zusammen und genossen einen angeregten Abend.

W. R.


Glaubwürdig bleiben

ES ist ermüdend. Ein pazifistisches Mantra soll bewirken, dass die Realität es sich anders überlegt und sich an den Glaubenssätzen von Pazifisten orientiert.

Da wäre z.B. das Mantra: „Diplomatie statt Waffenlieferungen.“ Die Vorsitzende der neugegründeten Partei BSW hatte ein Schild mit diesem Slogan neulich vor ihr Rednerpult geklebt. Sie und andere kritisieren, dass beim Krieg in der Ukraine nur vom Militärischen, aber fast nie von Diplomatie und Verhandlungen die Rede sei. Dabei wird zunächst allen weniger Informierten vorgespiegelt, es gäbe keine diplomatischen Bemühungen um Waffenstillstand und Friedensverhandlungen; des weiteren wird ignoriert, dass Diplomatie sich oft hinter den Kulissen bewegt und sich daher gerade nicht für alle sichtbar im öffentlichen Raum abspielt.

Die pazifistische Argumentation lässt auch einen wichtigen Grundsatz außer Acht: Man kann einen Krieg nur verhindern, bevor er begonnen hat. (Ich vermeide das Wort „ausbricht“, weil Krieg im Unterschied zu einem Vulkanausbruch immer von Menschen herbeigeführt wird und kein unvermeidliches Naturereignis ist.) Ist ein Krieg erst in Gang gekommen, stoppt ihn so schnell keine Diplomatie, weil sich mindestens eine der Konfliktparteien Chancen ausrechnet, militärisch Vorteile zu erlangen, wenn nicht gar den Krieg zu gewinnen.

Kriegsherr Putin setzt derzeit darauf, dass die Zeit für ihn arbeitet, weil a) der Westen der Ukraine nicht genug Munition und Waffen liefert, b) die von Trump gelenkten Republikaner im US-Kongress weiter die Hilfen für die Ukraine blockieren, c) die kommenden Wahlen in den USA Trump direkt an die Macht bringen könnten. (Man unterschätzt dabei weithin die Wirkung der Wühlarbeit von Putis Trolls im Netz, besonders in den social media.)

Wohlgemerkt: Pazifismus ist eine moralisch ehrenwerte Haltung. Es kann aber schwierig werden, diese Haltung in der Wirklichkeit durchzuhalten, wenn die Zeichen auf Konflikt stehen und gewalttätige Auseinandersetzungen drohen. Der S.R. selbst nahm 1981-83 an Demonstrationen gegen die Nato-Nachrüstung teil, seit damals hat sich die Welt ein deutliches Stück weiter gedreht. Das bedeutet, dass er längst nicht mehr ungeprüft an früheren Glaubenssätzen und politischen Einschätzungen festhält, sondern Manches überdacht hat und seinen Blick nicht Ideologien unterordnet, die vor 40 Jahren im Kalten Krieg Bedeutung hatten.

Es scheint angebracht, klar und deutlich zu sagen: Es tobt ein globaler politischer und kultureller Kampf zwischen Autoritarismus und freiheitlicher Gesellschaft. Manche sagen auch einfach: zwischen Diktatur und Demokratie. Putin steht für Diktatur, für seine persönliche Herrschaft über Russland, und diese Herrschaft will er nicht nur durch Niederschlagung jeglicher Opposition, sondern auch durch Konflikte und Kriege stabilisieren, weil er damit die Bevölkerung nötigt, ein nationales Interesse mit seiner Position als Machthaber zu verknüpfen. Putins Mantra: Die Nato, der Westen bedroht uns, wir müssen zusammenstehen und uns wehren.

Was Putin in seiner jüngsten Rede zur Lage der Nation sagte, enthielt nichts Neues. Seine Propaganda sagt Dinge über „den Westen“, die man größtenteils durch „das russische Regime“ ersetzen kann, damit sie stimmen. Er hat kein Problem damit, Fakten auf den Kopf zu stellen und russische Kriegsverbrechen zu leugnen. Er bemüht sich in mehrfacher Hinsicht, Stalin nachzueifern, am liebsten wäre ihm der Name „Wladimir der Schreckliche“ in den Geschichtsbüchern (die er ohnehin schon umschreiben lässt.)

Wo ist der reale Ansatz der pazifistisch Gesinnten, mit Putin ins Gespräch oder gar in Verhandlungen zu kommen? Wer fordert, wir sollten bedingungslos die Waffenlieferungen an die Ukraine einstellen, der meint Kapitulation auf Kosten der Ukraine. Muss man dazu mehr sagen?

Aber es käme ja noch viel schlimmer: Die Ukraine ginge unter, Putin würde maßlos triumphieren und im Hochgefühl seiner Popularität die nächsten „Spezialoperationen“ in Angriff nehmen. Das glaubt Ihr nicht? Ja, könnt Ihr denn nicht weiterdenken? Und China würde sich ermutigt fühlen, schnell Taiwan militärisch einzunehmen, das wäre ein Riesenerfolg für Diktator Xi.

„Der Westen“ würde weltweit als Verlierer betrachtet, seine Werte von Menschenrechten und Demokratie würden von keinem Land mehr ernst genommen. Das Verhältnis von Diktaturen zu Demokratien würde vollends zu ersteren kippen. Folge: Die Welt würde noch mehr zersplittert in zahlreiche gewaltbereite, nationalistische Regime, die mit anderen Ländern nur noch Zweckbündnisse auf Zeit eingehen.

Ideologisch würden diese Verhältnisse fußen auf dem Prinzip „Kampf jeder gegen jeden“, die Nationalismen würden Feindschaften wachsen lassen, überall würde man die Unterschiede und das Trennende thematisieren und Gemeinsamkeiten beiseite wischen. Faschismus würde sich in der Welt ausbreiten.

Nun meinen sicher Einige: Das ist doch übertrieben, das geht viel zu weit. Ich aber sage: Wer weiterdenkt und Kenntnisse aus der Geschichte einbezieht, wer sich wenigstens erinnert, dass sich vor dem 24.02.2022 niemand bei uns den Überfall Russlands auf die Ukraine vorstellen konnte oder wollte, der müsste vorsichtiger sein mit optimistischen Prognosen.

Darum stimme ich der These zu: Die Ükraine verteidigt nicht nur ihr Land, sie kämpft und blutet auch für uns, indem sie Putins Eroberungskrieg zu stoppen versucht und das Europa der freiheitlichen Lebensweise verteidigt. Putin darf nicht gewinnen, und mehr noch: Putin muss eine Niederlage einstecken, die Ukraine muss siegen. Und das gerade auch aufgrund unserer Hilfe — damit wir in der Welt glaubwürdig bleiben.

S. R.

Dazu noch ergänzende Beiträge auf diesen Links:

Republikaner stoppen Ukraine-Hilfe: Wladimir Putins Saat geht auf – Kolumne – DER SPIEGEL

Ukraine-Krieg Der deutsche Mittelweg ist gescheitert – Gastbeitrag – DER SPIEGEL

zu Putis speziellen Geschichtsverweisen: Wladimir Putin: Früherer mongolischer Präsident Tsakhiagiin Elbegdorj trollt Kremlchef mit Landkarte – DER SPIEGEL

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Höcke, make Germany small again!

Man könnte sich fast totlachen darüber, aber dieser Irrsinn hat Methode: Im Fernsehen sah ich Bernd, Verzeihung, Björn Höcke vor einer öffentlichen Versammlung reden, wo er die Massenptoteste in deutschen Städten gegen die AfD und den Faschismus ansprach. Ihm fiel nichts Besseres ein, als einen irren Gedankensalto zu machen und — es ist schon unglaublich — zu behaupten, dass in den friedlichen Massenprotesten dieselben Leute gelaufen wären, die 1933 in Fackelzügen für Hitler aufgetreten seien.

Das muss man sich mal reinziehen: Der mit Amtssiegel bestätigte Faschist Höcke versucht, Demonstranten gegen den Faschismus als das Gegenteil darzustellen. Das ist Lügen nach der Methode Putin: Immer das Gegenteil behaupten, die eigenen Schandtaten Anderen zuschieben, dass sich die Balken nur so biegen.

Das ist nicht frech, das ist schon halsbrecherisch tollkühn. Wie sauer muss Höcke über diese Demonstrationen sein, dass er so einen Quark verzapft und sich damit lächerlich macht! Jetzt werden einige Leute, die ihn bisher irgendwie noch für wählbar hielten, wohl endlich wieder ihr Gehirn einschalten und sich fragen, ob sie so einem Kerl den Steigbügel halten sollen für ein politisches Amt.

Wer AfD wählt, sagt damit im Grunde: Ja, ich will mal voll verarscht werden! Die „Altparteien“ sind mir noch zu anständig, aber jetzt haben wir die Chance, Deutschland ohne Skrupel so richtig in den Abgrund zu stoßen! Make Germany small again! Mit Höcke und seinen Kumpanen müsste das gelingen.

W. R.

BesucherInnen, die diesen Beitrag genossen, interessierten sich auch für den Blog-Beitrag „Köln-Notizen #17“ vom 09.01.2015. —