Milliardäre und die Anderen

AM Tresen meiner Stammkneipe war es relativ ruhig, bis ich mein Essen am Tisch genossen hatte und ein weiteres Kölsch bestellte. Das Gemurmel am Tresen, wo die übliche Runde versammelt war, wurde plötzlich durch ein lautes Geräusch unterbrochen. Einer hatte seine Hand auf den Tresen geklatscht und schimpfte los:

„Trumps „Friedensplan“ ist eine blanke Frechheit gegenüber der Ukraine. Aber was sollen sie machen? Der Winter kommt, und Putin bombardiert ständig Heizkraftwerke und andere Infrastruktur, von Wohnhäusern ganz abgesehen. Russland hat auf Kriegswirtschaft umgestellt und kann das noch lange so weitermachen.“ –

„Woher willst du das denn wissen?“ entgegnete sein Nachbar an der Theke. „Ich habe gelesen, dass Russlands Wirtschaft gar nicht gut läuft, dass dort die Panzerproduktion bald zum Erliegen kommt, dass sie kaum noch schweres Gerät an der Front einsetzen. In ihrer Verzweiflung setzen sie auf Masse von Soldaten, die bei Angriffen verheizt werden. Ihre Bomberflotte ist durch ukrainische Drohnenangriffe auch reduziert und muss von Flugplätzen fern der Front starten, ähnlich wie die Schwarzmeerflotte. Moderne Technik ist wegen der Sanktionen schwerer zu importieren. Das Einzige, was sie derzeit hochfahren können, ist die Produktion billiger Drohnen. Die lassen sie in möglichst großen Schwärmen anfliegen, um die Luftabwehr der Ukraine zu überfordern…“ –

„… und machen damit die Bevölkerung mürbe. Sag ich doch, Russland kann das noch lange weitermachen. Putin wartet darauf, dass sie bald um Frieden betteln.“ –

„Da könnte er lange warten. Aber Trump will ihm unbedingt goldene Brücken bauen. Nach dem Gipfeltreffen in Alaska, das nichts gebracht hat außer eine Aufwertung von Putin, setzt er nun einseitig die Ukraine unter Druck, seinem Plan zuzustimmen. Dabei, so scheint mir, will er wieder hauptsächlich Putin aus der Patsche helfen. Der bekommt nach diesem Plan nicht nur fast alles, was er wünscht, während die Ukraine praktisch kapitulieren soll — Trump will Putin auch davor bewahren, über Misserfolge zu stürzen. Trump glaubt wohl, mit einem Putin zukünftig gute Geschäfte machen zu können.“ –

„Ja, das scheint Trump vor allem wichtig zu sein. Gute Geschäfte, Deals machen von Autokrat zu Autokrat, mit dem saudischen Prinzen, mit Xi Jin Ping, mit Nordkoreas Diktator, egal, Hauptsache Deals. Trump spricht nicht von Vereinbarungen, Verträgen und so, er spricht immer von Deals, weil er immer als Geschäftsmann denkt.“ –

„Das sehe ich auch so. Und weil er nicht genug von Politik versteht, verlässt er sich weitgehend auf das, was ihm die Heritage Foundation in das Project 2025 reingeschrieben hat. Das ist sein Rezeptbuch, mit dem kocht er –“

“ — wobei ihm nicht jedes Menu gelingt. Auch weil er so wankelmütig ist und mal auf den, mal auf jenen anderen hört. Er ist einfach unzuverlässig. Und jetzt macht ihn auch noch die Epstein-Affäre nervös. Da braucht er dringend Ablenkung, am besten nochmal so einen Coup wie beim Gazakrieg.“ –

„Also, über seinen Charakter haben wir schon viel gehört. Ich persönlich glaube immer noch, dass Putin irgendwas gegen ihn in der Hand hat. Trump ist doch inzwischen so mächtig, dass er zu Putin nicht mehr in Bewunderung aufblicken müsste.“ –

„Sollte man meinen. Aber er fällt immer wieder zurück in diese rätselhafte Putin-Sympathie.“ –

„Vielleicht stehen ihm ja auch ein paar Milliardäre auf den Füßen, die wieder am Russland-Geschäft verdienen wollen.“ –

„Klar, und an den Rohstoffen, die günstig aus der Ukraine kommen sollen.“ –

„Wie auch immer, den beteiligten Amerikanern ist die Ukraine und ihre Menschen egal, es geht nur ums Geschäft. Trump hört wohl nur auf die.“ –

„Wenn er überhaupt mal auf jemanden hört. Er soll ja morgens immer erst seinen Lieblings-TV-Sender Fox News gucken und sich danach eine politische Meinung bilden. Andere Präsidenten ließen sich von ihrem Fachleute-Stab beraten und vom CIA briefen, um aktuell Bescheid zu wissen. Das ist Trump zu mühsam, da langweilt er sich nach wenigen Minuten, er schaut lieber bewegte Bilder.“ –

„Traurig. Die Amerikaner haben mehrheitlich einen hemdsärmeligen Immobilienmakler gewählt, der große Töne spuckt und lügt und nach Laune Kehrtwendungen macht. So einen Typen zum mächtigsten Mann der Welt zu machen ist grob fahrlässig und eine Schande.“ –

„Aber womöglich wird Trump ja bald wegen fortschreitender Demenz kaltgestellt, und —„

„— und Vance übernimmt? Nein, danke, dann wird alles nur schlimmer, das ist ein Radikaler.“

„Na, dann Prost, liebe Leute, schlucken wir unseren Ärger darüber mal runter. Jupp, ne Runde hier am Tresen, wir müssen uns die Welt mal wieder schön trinken!“ —

Um alles mitzukriegen, hatte ich mein Handy auf dem Tisch auf Aufnahme gestellt, allein aus dem Gedächtnis hätte ich das nicht so genau wiedergeben können. Natürlich habe ich das dann gelöscht, keine Angst, ich tue nichts Ungesetzliches, ich brauche das nur als Gedächtnisstütze, wenn es mal ein längerer Report wird. Und ich habe das ja soweit anonymisiert, dass keine Personen zu identifizieren sind. Also, keine Aufregung, hier werden keine Persönlichkeitsrechte verletzt.

Aufregen kann man sich leider zu Recht über so vieles Andere, nicht nur über das, was am Tresen Thema war. —

Wenig später trat ich gesättigt vor die Tür der Kneipe, ein kalter Wind fasste mich an, ich schlug den Mantelkragen hoch und vergrub meine Hände in den Taschen. In einiger Entfernung sah ich zwei Füße in Turnschuhen, da lag ein Mensch in einem Ladeneingang unter einer Plastikplane, offensichtlich ein Obdachloser. Neben ihm stand eine halbleere Flasche Fusel, das war seine Wärmequelle. Trotzdem fror er und zog seine Füße unter die Plane, kauerte auf der Pappkarton-Unterlage und griff zur Flasche. Ich überlegte, ob und wie ich ihm helfen könnte. Da näherte sich ihm ein Mann und sprach ihn an. Ich konnte nichts von der Unterhaltung verstehen, jedenfalls erhob sich nach kurzer Zeit der Obdachlose, der Mann neben ihm hakte sich ein, und beide gingen davon. Im Vorbeigehen hörte ich Wörter wie „Bahnhofsmission“ und „Obdachlosenhilfe“. Dann entfernten sie sich.

Ich stand da im Halbdunkel und hatte das beschämende Gefühl, Menschen im Stich zu lassen, denen es schlecht ging. Aber kann ich denn allen helfen? Mir wurde kalt, ich musste losgehen. Auf dem Weg zu meinem warmen Zuhause beschloss ich, wenigstens an die örtliche Obdachlosenhilfe zu spenden. Das ist das Mindeste, dachte ich.

Wir leben in einem angeblich reichen Land — aber immer mehr Menschen haben keine Wohnung. Nicht das Land ist reich, sondern ein Teil davon. „Na und?“ sagen die Wohlhabenden. „Strengt euch mehr an,“ sagen einige Milliardäre, „Dagobert Duck bückt sich noch als alter Mann auf der Straße nach jedem Kreuzer.“ Aber wenn Donald Duck das auch tut, wird er davon nicht reich. Es muss also doch was Anderes sein, was den Unterschied macht…

W. R.