Geld, lange Yachten, und Bildung

Das Engagement vermögender Leute für Bildung und soziale Projekte lässt auf die Zukunft der Menschheit hoffen, die ansonsten düster aussähe… z.B. indem die zunehmend Superreichen, abgekoppelt vom Leben der weniger Betuchten und Armen, sich nach dem Privatjet noch eine weitere, diesmal 42m lange Yacht leisten, weil der Nachbar eine 38m lange am Anleger vertäut (und auch keine bessere Idee hat, wie er seine nicht benötigten zig Millionen ausgeben könnte). Aber lassen wir das schwere Leben der Superreichen beiseite und fragen uns, wie die öffentlichen Aufgaben der Daseinsvorsorge von meist verschuldeten Gemeinden, Städten, Ländern und dem Bund finanziert werden sollen, wo doch ständig Geld in Steueroasen abfließt und die o.g. weniger betuchten und armen Steuerzahler* nicht beliebig hoch belastet werden können.

Zur Daseinsvorsorge gehören das Gesundheitssystem, die Verkehrs-Infrastruktur, das Bildungswesen, die Trinkwasserversorgung, die Abwasserentsorgung und -klärung, und einiges mehr. Diese Dinge werden von Allen genutzt, aber nicht von Allen finanziert. (Wie das? Es gibt z.B. Firmen, die in Deutschland verdientes Geld nicht hier versteuern, aber gern die hier bereitstehende Infrastruktur nutzen.)

Es ist ja erklärtermaßen auch ein Anliegen der F.U.F., Bildung und das Interesse daran zu fördern und zu ermuntern. Darum wird auf fu-frechen.de Einiges an Information und Bildung  geboten — kostenlos (und werbefrei!). Aber auch Andere tun was: Es gibt Stiftungen wie den Kölner Gymnasial- und Stiftungsfond, die dort unterstützend wirken, wo finanzielle und soziale Hindernisse jungen Leuten sonst keine Chance ließen, ihren Begabungen gemäß Schule und Studium zu absolvieren.**
Wir erinnern uns, dass wir regelmäßig in offiziellen Berichten lesen, wie sehr besonders in Deutschland Bildung und berufliche Karriere oft mit sozialer Herkunft zusammenhängen, also Menschen aus schwierigeren sozialen Verhältnissen oder „bildungsfernen Schichten“ gegen Benachteiligungen und Vorurteile anzukämpfen haben und deutlich seltener „höhere“ Bildung und beruflichen Aufstieg erreichen.
Wo es in Elternhäusern (warum auch immer) an Anregung fehlt, müssen vermehrt Anreiz und Förderung von außen dazu beitragen, dass Neugier und Wissensdurst junger Menschen nicht nur geweckt, sondern in anhaltende Lernmotivation gelenkt und gezielt gefüttert werden. Dazu ist offenbar das aktuelle deutsche Bildungssystem nicht flächendeckend in der Lage. (Und das war es schon nicht, bevor vermehrt Flüchtlinge ihren Fuß auf deutschen Boden setzten.)
Kurzum, es tut nicht nur den Geförderten gut, sondern auf lange Sicht auch dem ganzen Land, wenn sich eine gebildete Schicht nicht nur ständig selbst reproduziert, sondern wenn Talente aus allen Schichten der Gesellschaft gefördert und ausgebildet werden, sodass sie auch anspruchsvolle Tätigkeiten mit der erforderlichen Qualifikation ausüben können.

Was wir unter „Bildung“ verstehen, sollte noch einmal klargestellt werden: Es geht nicht allein um Grundlagen- und Fachwissen, das bestimmte Institutionen der Wirtschaft von Schulabgängern und Hochschulabsolventen erwarten. Zur Bildung gehört auch Persönlichkeitsbildung, also auch nicht speziell berufs- und laufbahnbezogene Qualifikationen, die zur menschlichen Entwicklung und Reife beitragen und dem Blick in die Welt einen weiteren Horizont geben, als es eine schmalspurige Ausbildung ermöglicht.

Schließlich liegt es auch im Interesse des Staates, dass seine heranwachsenden BürgerInnen auch ein gewisses Maß an politischer Bildung mitbekommen, damit sie ihr Wahlrecht ausüben und sich ggf. sinnvoll politisch oder sozial engagieren können (späterer Ausbau dieser Bildung nicht ausgeschlossen).

Sinnvolles Engagement für die Gesellschaft/für die Allgemeinheit/für Alle ist sogar manchen der o.g. Superreichen Einiges wert: Sie spenden für soziale Organisationen, gründen selbst Stiftungen, oder finanzieren direkt Schulen in benachteiligten Regionen, oder ähnliche Projekte. Das sind die Menschen, die den höchsten Sinn des Lebens nicht im maßlosen Horten von Reichtümern sehen. Bei denen hat die früher erfahrene Persönlichkeitsbildung zu der Einsicht geführt, dass es befriedigender sein kann, in die glücklichen Augen einiger Menschen zu schauen, denen man helfen konnte, als dem uferlosen materiellen Egoismus zu frönen und eine kaum genutzte Hochseejacht am Kai dümpeln zu lassen. ***

W. R.

* „Wieso arme Steuerzahler?“ denkt jetzt vielleicht manch Eine/r und meint, arme und arbeitslose Leute ohne Einkommen zahlten doch gar keine Steuern. Denkste! Gerade die Ärmsten werden z.B. durch die Mehrwertsteuer stark belastet, die ja bei jedem Einkauf, jeder Handwerkerrechnung usw. fällig ist. Die 19% MWSt zahlt in Deutschland auch der Ärmste, wobei für bestimmte Waren der ermäßigte Steuersatz von 7% gilt. Sie wird auf jedem Kassenbon und jeder Rechnung gesondert ausgewiesen. Wer wenig im Portemonnaie hat und scharf rechnen muss, ist davon proportional härter getroffen als jemand, der gar nicht auf’s Geld schauen muss und immer Plus auf dem Konto hat. Denn anders als etwa die Einkommensteuer kennt die MWSt als Verbrauchssteuer keine Progression. Übrigens ist die Steuer- und Abgabenbelastung nach neuesten Berechnungen in Deutschland vergleichsweise hoch, und das trifft am meisten die niedrigen und mittleren Einkommen, insbesondere Alleinstehende des Mittelstandes (Das nur zur vollständigen Information).

** Kölner Stadt-Anzeiger, 22.02.2017, Ausgabe Köln S. 28: C. Schminke, „Per Stiftung zum  Studium“

*** Dazu als Nachtrag am 06.11.2017 ein Kommentar: Paradise Papers: Zur Hölle mit den Reichen – Kolumne – SPIEGEL ONLINE

Der Chaot im Weißen Haus

Eigentlich steht hier im Blog über Donald Trump schon alles Wesentliche geschrieben. Einzig der aktuelle Blamage-Faktor von Trumps Tweets und verkündeten Maßnahmen ist noch steigerungsfähig. Peinlich? Ein zu schwaches Wort! Er zeigt den Ehrgeiz, als ultimativer Fake-Präsident in die Geschichte einzugehen: 1. Fake als politikunfähiger Präsidenten-Darsteller, und 2. Fake als König der erfundenen Nachrichten.
Was für ein Mensch Trump ist, war zumindest vielen Amerikanern in Kalifornien schon seit den 1980er Jahren bekannt. So knöpfte sich z.B. der berühmte Underground-Comiczeichner Robert Crumb in einer Geschichte den egomanen, machtbesessenen Immobilien-Mogul vor.* Aber bei denen, die ihn 2016 wählten, kam er mit seiner kurzatmigen Sprache (kurze, oft unvollständige Sätze, viele Wiederholungen) und seinen Ausfällen gegen Alles und Jeden gut an — so gut, dass er auch einen Monat nach Amtsantritt noch nicht aus dem Wahlkampfmodus herausgekommen ist und weiter Attacken und „alternative Fakten“ ausspuckt: Die Medien, die ihn kritisieren oder seine Äußerungen korrigieren, sind nicht nur seine Feinde, sondern „Feinde des amerikanischen Volkes“!

Ein Präsident, der wie in seinem Wahlkampf weiter auf Spaltung und Konfrontation setzt, der pöbelt und beleidigt und sich nicht die Mühe macht, ein wenig staatsmännisch zu erscheinen, der die Verfassung geringschätzt, wo sie seinem Ego im Wege steht — wo soll das noch hinführen?

Man fürchtet bereits, dass er vorhat, vier Jahre Dauerwahlkampf zu machen. Was soll er auch tun, wenn er nichts anderes kann? Schlimm, dass im Hintergrund der Finsterling Stephen Bannon die Strippen zieht: Dem ist es womöglich egal, ob am Ende alles in Scherben fällt…

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* Robert Crumb, „Point the Finger“, 1989, gefunden im Sammelband Robert Crumb’s America. SF/CA 1995, S. 83-88.  C. über T.: „singlehandedly making the world an uglier place to live in is one of Trump’s lesser crimes against humanity.“ (S. 84)

Zurück aus der Winterpause

57Was bisher geschah: http://www.zeit.de/video/2017-01/5300010962001/usa-sieben-tage-trump
Dazu die Analyse des SR: Trump pöbelt und verkauft sich als volksnah, hat aber keinen Plan und kann Politik nicht, Diplomatie schon gar nicht. Sein Unvermögen sucht er zu einer Stärke zu machen und als „Kampf gegen das Establishment“ auszugeben. Anscheinend kann er weder Politik noch präsidiales Verhalten, er kann aber Show und Pöbelei. Wider Erwarten Präsident geworden, reitet er erstmal sein Erfolgsrezept aus dem Wahlkampf weiter und hofft, dass ihm oder seinen Beratern schon noch was einfällt, wenn es eng wird. Einstweilen twittert und schockiert, droht und beleidigt er weiter, schwätzt über Folter… Kann er noch einen draufsetzen? Vielleicht die Ankündigung, die Sklaverei wieder einzuführen?

Trump blamiert die USA vor aller Welt: ein angeblich kaputtes Land, das auf seinen Retter Donald Trump gewartet hat. Haben die Amis das verdient? Mir tun sogar seine Wähler leid, die sich (noch?) mit markigen Worten zu ihm bekennen. Das andere Amerika, das Mutterland demokratischer Werte — vertreten z.B. durch Meryl Streep* oder Michelle Obama** — kann nur versuchen, auf Niveau und Distanz zu bleiben, um nicht mit Trump in einen (Nacht)topf geworfen zu werden…

„Good night and good luck!“ 

SR

P.S.: Wenn Ihr scharf darauf seid, Euch fortan ständig über den Obengenannten aufzuregen, dann seid Ihr hier falsch; denn der SR hat nicht vor, jeden Klops, Furz oder Aufreger, den Trump fast täglich ‚raushaut, zu kommentieren. Dafür ist der SR nicht zurück aus der Winterpause. Wieso das? Einen guten Grund nennt dieser Kommentar: Achterbahn mit dem US-Präsidenten: Dauerempörung spielt Donald Trump in die Karten – Politik – Tagesspiegel   Es gibt genug andere wichtige Themen, und, bitte, bleibt besonnen!***

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* Wer gut Englisch versteht, sehe und höre ihre Rede auf der Verleihung des Golden Globe 2017, zu finden auf ihrer Homepage: MSO: Meryl Streep Online .    Ebenso beachtenswert ist …

** Michelle Obamas Rede auf einer Wahlkampfveranstaltung Hillary Clintons im Oktober 2016: http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-08/usa-wahlen-wahlkampf-american-short-stories   (man muss ein wenig scrollen, bis man den Beitrag mit dem Video im Artikel findet).

*** Nachtrag vom 06.02.2017: Wer sich mit einer eher sachlichen Diskussion über den Prollo im Weißen Haus beschäftigen möchte, sei verwiesen auf >„Anne Will“ zu Donald Trump: „Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit“ – SPIEGEL ONLINE Wer den Nerv dafür hat, kann auch dort besserwisserische Wutkommentare aus der antidemokratischen Ecke finden. Aus psychologischer Sicht vielleicht interessant, aber muss man nicht lesen (Warum — siehe >Startseite, Fußnote zu Kommentaren im Netz).

13g+

Zum Neuen Jahr 2017

80aJahresrückblicke 2016 gab es ja schon seit Anfang Dezember in verschiedenen Medien, anscheinend wollte da jeder der erste sein — so wie der Handel teils schon im September die Schokoladen-Nikoläuse und -Weihnachtsmänner anbietet. Mir persönlich gefiel der Rückblick von Dieter Nuhr ganz gut — obwohl auch er auf den billigen Gag mit dem nuschelnden Til Schweiger nicht verzichtete. Urban Priol verweilte etwas länger darauf und zog auch noch Veronika Ferres durch den Kakao, wofür mir allerdings kein Anlass erkennbar wurde.

Ist es vielleicht so, dass manche Kabarettisten glauben, auf ein paar platte Kalauer nicht verzichten zu können, damit im Fernseh-Publikum auch die geistig weniger Aktiven was zu lachen haben? Dann bieten sich als sichere Bank eben die geläufigen Bashing-Objekte an. Wenn über Trumps Frisur schon eine Menge Witze gemacht wurden, dann bitte wenigstens etwas origineller, z.B. wenn Nuhr von einem „auf dem Kopf implantierten Eichhörnchen“ spricht.

Apropos geistige Aktivität: Gern wird die Ferres in einem Atemzug mit ihrem Ehemann Carsten Maschmeyer an den Pranger gestellt. Ich habe zwar nicht verfolgt, was genau ihm derzeit juristisch vorgeworfen wird, bin aber soweit informiert, dass er wie viele Andere eine Gesetzeslücke genutzt hat oder haben soll, die über trickreiche Umwege dazu führte, dass der deutsche Staat ihnen Steuer-Rückerstattungen doppelt auszahlte (sogen. „Cum-Ex-Geschäfte“).

Moralisch sehe ich das in derselben Kategorie wie Hauptwohnsitz-Verlegung in ausländische Steueroasen: zwar legal, aber… Wer moralisch wertet, fragt auch: Warum hat Schäubles Finanzministerium diese Lücke, die jahrelang bekannt war, nicht umgehend gestopft? Warum wurde weiterhin jahrelang sehenden Auges Geld anderer Steuerzahler zum Fenster hinaus geworfen?

Und da komme ich zur Frage der geistigen Aktivität: Laut Bericht eines TV-Magazins war diese Materie so kompliziert, dass es selbst im Ministerium an Sachverstand fehlte, um Durchblick zu bekommen und Abhilfe zu schaffen. Der Sachverstand scheint aber bei Finanzfachleuten in der Wirtschaft vorhanden gewesen zu sein, als sie ihren Kunden die Lücke nutzbar machten. Warum nicht im Ministerium? Man könnte sarkastisch anmerken: Da hatten wohl die externen Fachleute wieder an einem Gesetzesentwurf mitgeschrieben und auf kurzem Dienstweg erfolgreich Lobbyarbeit betrieben. Ihr Text, den im Ministerium keiner richtig verstand, wurde dann Gesetzesvorlage und vom (ebenso wenig durchblickenden) Parlament abgesegnet.

[Zwischenfrage: Kann es sein, dass unsere besten Leute eher in gut bezahlte Positionen in der Wirtschaft einrücken, statt weniger gut bezahlte politische Ämter und Funktionen zu übernehmen?]

Wer will da die Schuld einseitig verteilen? Natürlich ist so etwas dem breiteren Publikum nicht zu vermitteln. Das schreit ja heute ohnehin immer lauter nach einfachen Lösungen, gern auch „postfaktischen“: Verschont uns mit komplizierten Sachverhalten — wir wollen Schwarz oder Weiß, Schuldig oder Unschuldig hören, und zwar schnell! Schäuble kann also schmunzeln, wenn Comedians und Satiriker auf Maschmeyer und Andere draufhauen und von anderen Mitwirkenden ablenken. Deshalb meine Bedenken: Oft artet selbst satirische Unterhaltung in den Medien in Ablenkung von wirklichen Problemen aus.

Wir haben aber schon mehr als genug Ablenkung durch Informationsüberflutung und Zerstreuung, unsere Aufmerksamkeit wird ständig auf etwas Neues oder Anderes gezogen, sodass kaum jemand mehr Pause macht und die Dinge ordnet, einordnet und überdenkt. Statt wohldurchdachte Fragen zu entwickeln und Zusammenhänge zu verstehen (ach, wie mühsam!), fallen die Leute lieber auf allerlei gut klingende „Informationen“ und sensationelle Verschwörungstheorien herein. Am liebsten konsumieren sie zur Nachricht gleich die vorgegebene Meinung und deftige Emotionen mit (nach bekanntem VorBILD).

Entschleunigung im Bereich Information und Medien täte oft gut, statt immer der nächsten Sau nachzurennen, die gerade wieder durch’s Dorf getrieben wird…  als ginge es nur darum, kein Spektakel zu verpassen. Überspitzt formuliert: Die wollen uns nicht mehr informieren, die wollen nur noch Quote und Werbeeinnahmen steigern — im TV wie im Internet. Ich möchte nicht wissen, wieviele interessante Meldungen im Mediengeschäft untergehen, weil sie nicht unterhaltsam genug sind bzw. weil nicht die richtigen Bilder dazu gezeigt werden können (obwohl schon viele Leute Handy-Videos von schlimmen Unfällen etc. an die Medien liefern).**

Also: Was diese Website fu-frechen.de anzuregen versucht, wird hoffentlich aus den obigen Ausführungen deutlich. Ansonsten schaue man ins Impressum sowie in die Startseite, oder in die Unterseite Clio oder andere.

In diesem Sinne: Ein gutes, ein an Fakten und klugen Einsichten interessiertes und orientiertes Neues Jahr 2017 allen BesucherInnen dieser Website!

S. R.

* mehr dazu >Finanzrichter zum Dividendenstripping: Drohen Steuernachzahlungen im großen Stil?

** Wohltuend hebt sich davon Vieles ab, was man sich z.B. im Radio auf WDR 5 anhören kann — vorausgesetzt, man gehört zu den Menschen, die noch mit Konzentration und Geduld längeren Wortbeiträgen folgen wollen und können und zu Vielem mehr als nur eine Kurzmeldung wissen wollen. Schade, dass ein Sendekanal, der oft ausführlicher als jede Nachrichtensendung Hintergründe und Zusammenhänge beleuchtet, de facto ein Minderheitenprogramm sendet. Es soll ja auch eine Menge Leute geben, die nicht in der Lage sind, den Sinn längerer Sätze oder eines längeren Textes zu erfassen. Von denen gehen aber auch viele wählen: eine leichte Beute für Stimmvieh-Fänger (ja, die mit den einfachen Weltbildern und einfachen Lösungen für Probleme, die in ihrer Komplexität von Vielen nicht einmal ansatzweise begriffen werden). Genau: Darum kleben sie in Wahlkämpfen diese unsäglichen Plakate mit den simplen Slogans (die im Zweifel nichts aussagen)!

13g+

Köln-Notizen Dez. 2016

50Wollen wir einen vorausschauenden Blick in den bevorstehenden Jahreswechsel wagen? Was sehen wir in der Kristallkugel? Zumindest eins: Nach dem großen Medien-Hype „Silvesternacht 2015 in Köln“ werden soviele Polizisten und andere Ordnungshüter Dom und Hauptbahnhof umschwirren, dass jeder trotzdem noch hergekommene Übergriffige fürchten muss, eine unerkannte Polizistin in Zivil anzupacken, die ihn gleich auf’s Kreuz und in Handschellen legen wird. Seine „Heldentat“ kann er sich anschließend auf der Wache im Videobeweis gestochen scharf ansehen.

Ein Bekannter erzählte mir vor Jahren, dass er in einer gerammelt vollen Kneipe an Karneval mit einer attraktiven Frau tanzte und sie im Gedränge am Hintern begrapschte. Das gefiel ihr wohl nicht, denn unvermittelt griff sie ihm in den Schritt und drückte fest zu. Er kriegte kaum Luft vor Schmerz, die Frau verschwand im Gewühl. Könnte das nicht eine Alternative sein für diejenigen, die einen Übergriffigen nicht auf Armlänge halten können?

Was bringt das Jahr 2017 für Köln? Die Zeitungen unken bereits: Da wird es nicht weniger, eher mehr Staus auf den Straßen in und um Köln geben. Wenn man dem etwas Positives abgewinnen kann, dann dies: schlecht für Kriminelle, die schnell das Weite suchen wollen. Folglich positiver Nebeneffekt: weniger Einbrüche in Köln, und damit rechnerisch eine höhere Aufklärungsquote, sofern die Polizei nicht Unmengen von Überstunden abfeiern muss. Überall wurde in letzter Zeit mehr Polizei-Präsenz gefordert; da man aber jahrelang Personal abgebaut hat, können die zusätzlichen Polizisten nun nicht aus dem Hut gezaubert werden. Sie müssen erst einmal ausgebildet werden, und solange muss das vorhandene Personal vermehrt Überstunden machen. —

Was wird es sonst im Neuen Jahr 2017 geben? „Reichsbürger“ aufgemerkt: Wer nicht in diesem Staat, sondern in einer echten GmbH leben will, der wandere nach der Inauguration des neuen Präsidenten Donald Trump (20.Januar) flugs in die USA aus! Jetzt schon zeichnet sich ab, dass er sein Kabinett großenteils aus Geschäftsleuten bildet, die wie er selbst im Geldmachen groß sind, und denen er wegen ihres „Verhandlungsgeschicks“ im Big Business zutraut, das bisschen Politik flott zu erledigen.

Und wenn es mit der USA-GmbH nicht so laufen sollte, wie er es seinen Wählern (oder Kunden?) versprochen hat, dann… ja meine Güte, Leute, dann macht Trump eben keine 2. Amtszeit und entzieht sich den Konsequenzen, schließlich bedeutet GmbH doch „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“! Dann wird Amerika eben nicht „great again“, die Mittelschicht wird ganz abgehängt, Ölkonzerne ruinieren weitere Landstriche, und China als großer Gläubiger übernimmt am Ende den überschuldeten Laden, während Trump twittert, dass er dann mal weg ist, nämlich ins Exil nach Russland, zu seinem Gönner Putin. Und der übernächste Präsident der US-GmbH hat womöglich einen chinesisch klingenden Namen und macht die USA zu einem Sonderverwaltungsgebiet Chinas — wie Hongkong.

Übrigens haben die Chinesen ein Sprichwort, das sagt: „Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die Einen Mauern, die Anderen Windmühlen.“ Denkt mal drüber nach.

W. R.

13g+

Am 7. Dezember…

… geschah so Manches in der Geschichte. In Deutschland war es der Tag im Jahre 1835, als am Gleis der neuen Eisenbahnstrecke Nürnberg-Fürth eine große Menschenmenge die erste Fahrt eines mit einer Dampflokomotive bewegten Eisenbahnzuges sehen wollte. Die Lok war eigens aus England importiert worden, die Kisten mit den Einzelteilen brauchten Wochen für ihren Weg. Über Land mussten sie mit Fuhrwerken transportiert werden und etliche Zollgrenzen passieren. Auch der Lokführer war aus England eingereist.

Eröffnung der Eisenbahnstrecke Nürnberg-Fürth am 7.12.1835 (Abb. aus der "Gartelaube", 1885; Wikipedia, gemeinfrei)

Eröffnung der Eisenbahnstrecke Nürnberg-Fürth am 7.12.1835 (Abb. aus der „Gartenlaube“, 1885; Wikipedia, gemeinfrei)

Es herrschte großer Andrang, viele Menschen wollten mit diesem Personenzug fahren. In mehreren Stichen und Lithografien wurde das Ereignis festgehalten — siehe unser Beispiel, eine Darstellung, die in der „Gartenlaube“ erschien.

Eine große Nachfrage beim Publikum rief auch der erste Personenzug hervor, der im Jahre 1839 von Köln nach Müngersdorf fuhr.

Dort an der Bahnstrecke war ein schönes Gebäude als Bahnhof und Ausflugslokal errichtet worden, von wo man bis Köln und ins Bergische Land blicken konnte.  Dieses Gebäude ist der einzige noch erhaltene von den frühen Bahnhöfen in Deutschland und steht heute unter Denkmalschutz.
Mehr über dieses Gebäude mit Garten sowie Vieles über frühe Eisenbahngeschichte erfährt man hier auf fu-frechen.de / Clio, 8.2.

Bahnhof Belvedere in Köln-Müngersdorf, Gartenseite 2016

Bahnhof Belvedere in Köln-Müngersdorf, Gartenseite Sept. 2016

W. R.

13g+

Wetterleuchten in „God’s own country“

13b-2ÖGE Gott ihn erleuchten“, verlautet der Vatikan nach Trumps Sieg im Präsidentschaftswahlkampf in den USA. http://www.europeonline-magazine.eu/vatikan-zu-trump-wahl-moege-gott-ihn-erleuchten_494165.html
Diesem Wunsch können sich Viele weltweit nur anschließen.
Als W.R. wenige Tage vor der Wahl ein paar Auszüge aus Donald Trumps Wahlreden sah, konnte er kaum glauben, dass 1. ein Mensch, der sich um ein hohes Staatsamt bewirbt, derart widerliche Dinge ins Mikrofon sagt, und dass 2. ein solcher Kandidat mit gehäuften Lügen und Beleidigungen dermaßen viele Wählerstimmen sammeln würde.
Wie das vor sich ging, erklärt vielleicht dieser Artikel: http://www.sueddeutsche.de/digital/us-wahl-praesident-troll-1.3241266 *

Was soll man von diesen WählerInnen halten? Geht es da überhaupt noch um Politik im eigentlichen Sinne? Ist Amerika noch zu retten? Es wird wohl nicht reichen, nur Trump als Präsidenten zu erleuchten, da wird mehr Arbeit für IHN anfallen in „God’s own country.“

W. R.

1ub-2Nachtrag am 11.11.2016   Wer eine Interpretationshilfe braucht, dem sei gesagt, dass der Vatikan mit der oben zitierten Verlautbarung meint: Da hilft nur noch beten (wenn überhaupt etwas).  —  Die AfD, die Brexit-Kampagne und Donald Trumps Wahlreden haben uns vor Ohren geführt, dass wir im „postfaktischen Zeitalter“ leben: Fakten und Wahrheit sind beliebig austauschbar geworden durch Behauptungen und Lügen; statt Faktenrecherche von Journalisten ist bei vielen Leuten nur noch Gewäsch und Gepolter auf ihren Lieblings-Internetseiten gefragt, die die eigenen Ansichten und Vorurteile bestärken. So erklärt sich der große Zulauf von Trump in den USA, meinen einige Analysten; andere sehen als Hauptgrund die Enttäuschung der vom globalisierten Kapitalismus Abgehängten und Verarmten.  —  Es wird jetzt viel Kaffeesatz gelesen: Was hat Trump wohl vor? Ja was wird er wohl tun, wenn er als Minister, Berater und Zuarbeiter überwiegend Hardliner aus dem republikanischen Lager holt? Am wahrscheinlichsten ist ein Retro-Kurs des „Law-and-Order“, denn schärfere Gesetze signalisieren härteres Durchgreifen und Stärke, ohne dass damit schon etwas getan oder viel Geld in die Hand genommen werden muss. Hauptsache, es macht erstmal Eindruck bei der Bevölkerung, auch wenn es real nichts verbessert. Am Ende könnten die USA einem Gottesstaat ähneln, wo statt der Scharia ein alttestamentarischer Rigorismus das öffentliche Leben bestimmt… — Jetzt kneife mich mal jemand, dass ich aus dem Alptraum aufwache, denn schwarzsehende Kommentare gibt es schon genug, und draußen ist auch schon wieder finsteres Novemberwetter! Vielleicht hilft manchen Rheinländern die Flucht in den Sessionsauftakt des Karnevals; andere mögen einen Anlass sehen, sich die Welt zu Hause schön zu trinken; und einige werfen vielleicht eine der guten alten Cognacbohnen ein, und noch eine, und nochmal eine, und trösten sich mit Nostalgie: Früher war nicht alles schlechter…

020-3 Weinbrandbohnen* Ergänzung am 27.11.2016: Nach viel Kritik an Facebook liest man auch von der Bedeutung des Fernsehens in jenem Wahlkampf, insbesondere vom konservativen US-Sender Fox. Die in den ländlichen Bezirken wahlentscheidenden älteren weißen Männer, heißt es, hätten nach Umfragen überwiegend aus dem TV ihre politischen Informationen bezogen, während das Internet eher für jüngere Leute als Informationsquelle von Bedeutung war (Näheres >US-Wahlkampf: Nicht Fake News auf Facebook haben die Wahl entschieden | ZEIT ONLINE ). Wie auch immer: Auch in Europa werden diese Vorgänge aufmerksam analysiert…

1ub-2

Kraftmeier am Bosporus

8daIn Deutschland tritt eine Parlaments-Abgeordnete von ihren politischen Ämtern zurück, nachdem öffentlich bekannt geworden ist, dass sie einen Teil ihrer offiziellen Biografie (Abitur, Jurastudium, Staatsexamina) gefälscht hat. Ähnliches geschah mehreren Politikern, nachdem ihre Doktorarbeiten einer Plagiatsüberprüfung nicht standgehalten hatten.

In der Türkei ist man da offenbar großzügiger: Staatspräsident Erdogan hat anscheinend auch seine offizielle Biografie mit einem Hochschulabschluss geschönt, dabei aber übersehen, dass die Urkunde von einer Akademie ausgestellt wurde, die erst im Folgejahr gegründet wurde, und von Leuten unterzeichnet ist, die erst im folgenden Jahr ihre Ämter an dieser Hochschule antraten. Genau genommen hätte er ohne diesen akademischen Abschluss (laut Verfassung) nicht türkischer Staatspräsident werden dürfen (mehr >Recep Tayyip Erdogan: Hat er sein Diplom gefälscht? – SPIEGEL ONLINE ).
Das verschärfte offenbar nur seinen öffentlichen Ton gegen Akademiker, die es sich angeblich auf Staatskosten gut gehen lassen, und gegen kritische Journalisten.

Dann kam der niedergeschlagene Putschversuch vom Juli 2016, das „Gottesgeschenk“ (so sein Kommentar). Nun wütete Erdogan ungebremst los gegen Gebildete im Staatsdienst und kritische Medien. Er scheint ein persönliches Problem damit zu haben, dass es Leute gibt, die ihn oder seine Politik kritisieren.
Das könnte sich bei ihm so abspielen: Die wollen mir was, die gönnen mir meinen Aufstieg aus einfachen Verhältnissen an die Staatsspitze nicht. Das Mittel meiner Wahl: „Säuberungen“ im Staat, weg mit all den Klugscheißern, die mir als Führer der Türkei nicht zujubeln, die nicht für mich auf die Straße gehen.
Viele Gebildete kommen aus den Schulen der Gülen-Bewegung, die er früher zum Verbündeten hatte und nun zum Staatsfeind und Putsch-Anstifter erklärt hat. Nicht, dass man diese religiös geprägte Bewegung sympathisch finden müsste — sie scheint ein wenig wie Scientology auf islamisch zu sein. Aber die „Machtergreifung“ Erdogans durch einen Putsch von oben, als Reaktion auf das oben erwähnte „Gottesgeschenk“, macht ihn keineswegs sympathischer.
Folge seiner „Säuberungen“ wird ein Chaos in Justiz, Verwaltung und im Bildungswesen sein, die vielen suspendierten, entlassenen und verhafteten Leute wird er mittelfristig nur unzureichend durch andere, teils weniger qualifizierte Köpfe ersetzen können, zumal die erwünschte Gesinnung wichtiger ist als Qualifikation. (Eine Personalpolitik nach Parteibuch statt Qualifikation hat auf Dauer noch keiner Organisation gut getan.)
Und das türkische Militär dürfte auch geschwächt sein — nicht unwichtig bei der Größe dieser Armee. Die ist immerhin Teil der Nato. Auch deshalb kann der Zustand der Türkei anderen  Nato-Staaten nicht egal sein. Dass auch noch die Wirtschaftsentwicklung der Türkei in Turbulenzen kommt, macht die Lage nicht einfacher. Jedenfalls kann Erdogan mit seiner Innenpolitik nicht auf einen baldigen Beitritt zur EU hoffen. Es scheint ihm viel wichtiger zu sein, weiter zu kraftmeiern, gegen Kritiker Amok zu laufen und sich für die Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei auszusprechen, als dem Land den Weg in die EU offenzuhalten.

Im Laufe des Oktober 2016 zeichnet sich ab, dass Erdogan auch außenpolitisch nicht von der Kraftmeierei lassen kann. Heißt konkret: Er nimmt großtürkische Expansionsträume auf und greift militärisch in den Bürgerkrieg in Syrien und im Irak ein. Der Nordirak mit der Stadt Mossul wird als früherer Teil des Osmanischen Reiches (das es nicht mehr gibt) nun für die Türkei beansprucht (Putin lässt grüßen). Auch andere Machthaber und Diktatoren versuchten in der Geschichte, Gebiete „heim ins Reich“ zu holen… Das ist ein so abgestandenes Rechtfertigungsmuster von Expansionspolitik, dass es einen Historiker schon anöden kann. >Türkei: Recep Tayyip Erdogan träumt vom Osmanischen Reich – SPIEGEL ONLINE

8dbEbenso altbekannt ist das Muster, bei Schwierigkeiten im Inneren die Unzufriedenheit u.a. dadurch einzudämmen, dass man einen äußeren Feind aufbaut und nationale Geschlossenheit im Inneren einfordert. Dieses Mittel hat sogar Margaret Thatcher als Regierungschefin einer westlichen Demokatie nicht verschmäht: Während des Falkland-Krieges (1982) bezeichnete sie die Kritiker im Lande als „the enemy within“. Auch George W. Bush jr verfuhr so mit Kritikern seines Krieges gegen den Irak (2002). Dieses Muster kopiert derzeit Erdogan, der ja Krieg gegen die PKK, gegen kurdische Peschmerga in Syrien und im Irak, und gegen den IS führt.

Was geht das uns an, die wir als Deutsche in Deutschland leben? Haben wir uns nicht aus „innertürkischen Angelegenheiten“ herauszuhalten? Kann es uns nicht egal sein, wenn „weit hinten in der Türkei die Völker aufeinanderschlagen“, wie Goethe eine Figur in seinem „Faust“ sagen ließ? Erstens nein, weil in Zeiten der Globalisierung nicht einmal egal ist, ob im fernen China der sprichwörtliche Sack Reis umfällt; zweitens nein, weil die Türkei, wie gesagt, Nato-Partner ist, und ein Handelspartner Deutschlands; drittens nein, weil die aktuelle Flüchtlingsproblematik auch mit der Politik der türkischen Regierung verbunden ist; viertens (und eigentlich am wichtigsten) nein, weil viele Türken und türkischstämmige Menschen in Deutschland leben und ein großer Teil von ihnen die Politik Erdogans lautstark gutheißt und unterstützt.

Was das für die Mentalität und das Selbstverständnis vieler Türken und Türkinnen hier bedeutet, bringt eine Deutschtürkin mutig und unverblümt auf den Punkt: >Tuba Sarica | Integration · Islamkritik · Weltgeschehen

Vielleicht sollte man auch erwähnen, dass man Erdogan gewähren ließ, als er zum innertürkischen Wahlkampf nach Deutschland kam und in Großveranstaltungen seinen Landsleuten zurief, sie seien nach wie vor Türken und brauchten sich nicht in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Das war zwar vorrangig als Stimmenfang für den Wahlkampf in der Türkei gedacht, man konnte es aber zugleich als eine de-facto-Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Bundesrepublik Deutschland sehen. (Wohlgemerkt: Das war lange vor dem Flüchtlings-Deal!)

9eDerzeit ist deutlich zu erkennen, dass Erdogan seine Machtpolitik trotz aller Kritik aus dem Ausland fortsetzt und sogar verstärkt. Ähnliches sehen wir auch bei anderen Machtpolitikern, die in ihren Ländern autoritäre Regime auf- und ausbauen. Kritik aus dem Ausland wird zu einer Verschwörung umgedeutet, Kritik im Inland niedergeknüppelt. Der Staatspräsident erklärt: Hier wird die „fortgeschrittene Demokratie“ (!) verteidigt. Wie bitte? Das ist doch eher die fortgeschredderte Demokratie: Kritiker werden in „Schutzhaft“ genommen, die Medien gleichgeschaltet.

Dazu noch eine weitere Stimme: >Offener Brief von Shermin Langhoff in Berlin: „Das Ende der Demokratie in der Türkei“ – Politik – Tagesspiegel

Während Erdogan so tut, als ließe ihn alle Kritik an seinem autoritären Regime kalt, sammelt er doch fleißig Ehrendoktor-Titel, um sich mit einer Aura akademischer Weihe zu umgeben und damit die Fragen nach seinem Universitätsabschluss in den Hintergrund zu drängen. Hauptsache, er erscheint seinen Anhängern weiter als der vielgeehrte, große, starke Mann. Die Anderen werden eingeschüchtert und mundtot gemacht.

W. R.

Köln-Notizen 4/2016

50Zunächst: Wir erinnern uns (oder lesen nach), was zum Blog auf der >Startseite von fu-frechen.de geschrieben steht. Darum verweisen wir erstmal auf den Kalender der FUF (>FUF – der Club/Gedenk- und Feier-Kalender der FUF) zum heutigen 01.09. Gestern allerdings wollten unsere Medien gern den Jahrestag von Merkels „Wir schaffen das!“ thematisieren, wobei nicht mehr herauskam als die bekannten Pro- und Kontra-Standpunkte. Mir ist dabei längst klar, dass Merkel ihre Politik gar nicht seit dem 31.08.2015 stur verfolgt hat, wie Gegner ihr gern vorhalten, vielmehr sah ich danach verschiedene Anzeichen einer realpolitischen Anpassung an die sich ändernde Lage. Das wurde leicht übersehen wegen Horst Seehofers Getöse um Obergrenze und Grenzendichtmachen. Aber das nur am Rande, denn ich sehe mich nicht berufen, hier zur großen Verteidigung von Merkel bzw. ihrer Politik auszuholen oder zum großen CSU-Bashing. Letztlich geht es da auch um Verhinderung weiterer Wahlerfolge der AfD.
Und so sehr ich manche sachlich begründete Kritik an der Regierung verstehen kann, so sehr widerstrebt es mir, gewissen Kotzbrocken der AfD Gehör zu schenken, allen voran jenem Geschichtslehrer H. (eine Schande für seine Zunft!), der in meinen Augen einige Disziplinarverfahren und Anzeigen wegen Volksverhetzung verdient. Es fällt mir auch sehr schwer, Leute nicht als Nazis zu bezeichnen, die sich rassistisch äußern. Dieselben empören sich aber, dass sie „in die rechte Ecke gestellt“ werden.

Natürlich ist Rassismus auch ein wesentlicher Kernpunkt der NS-Ideologie, ganz klar! Wie geschichtsvergessen muss man denn sein, das nicht zu wissen (oder sich dumm zu stellen) und sich ganz naiv als braven Demokraten zu bezeichnen?! Wie wenig vom Grundgesetz weiß so ein Mensch? Wie fremd sind ihm die Menschenrechte?

Mich erstaunt oder erschreckt oft, wie Menschen neue Nachrichten einfach in ihr altes Weltbild einordnen oder, wenn das nicht geht, diese schlicht ignorieren. Klar, der Mensch hängt am Gewohnten, aber muss er deshalb sein Weltbild mit einer Mauer aus Vorurteilen schützen, muss er deshalb wider besseres Wissen-Können an falschen Behauptungen kleben bleiben?

Da wir oben das Signet „Köln-Notizen“ haben, will ich auch aus Köln ein Beispiel anführen: Die Ursache für den Einsturz des Stadtarchivs (2003) wird immer noch untersucht. Einige Leute unkten bereits: Das zieht sich ja ewig hin, das wird solange verschleppt, bis keiner mehr schuld ist… Das passt schön in das Weltbild, das sich kritisch gibt und überall nur Machenschaften wittert. Wahr hingegen scheint mir, dass die technische Ermittlung der Einsturzursache (die gerichtsfest sein muss — und mit hohen Schadenersatzforderungen verbunden ist!) größtmögliche Sorgfalt erfordert und nicht beliebig beschleunigt werden kann. Also dauert das eben — in einem Rechtsstaat.

Beim Neubau des Stadtarchivs am Eifelwall gibt es auch Verzögerungen und Kostensteigerungen. Das passt wiederum ins Bild für diejenigen, die inzwischen gewohnheitsmäßig auf die Stadt Köln bzw. die Stadtverwaltung einprügeln. Dabei sind diese Verzögerungen u.a. auf die erhöhte Vorsicht bei der Kampfmittelräumung zurückzuführen, denn Köln ist im Zweiten Weltkrieg ziemlich plattgebombt worden und hat seither eine Menge Blindgänger im Boden.

Das nochmal als Erinnerung, auch an den 1. September. Jedem sind hoffentlich noch die Fotos der Kölner Ruinenlandschaft von 1945 im Gedächtnis (>Koeln 1945 – Köln – Wikipedia) , auch wenn aktuell ähnliche Bilder z.B. aus Syrien in den Fernsehnachrichten zu sehen sind. Hier in Köln, in ganz Deutschland hoffentlich ist das eine bleibende Erinnerung und Erfahrung: Krieg ist das schlimmste, was uns passieren kann. Und das fängt damit an, dass man sich zerstreitet und den Streit eskalieren lässt, anstatt friedliche Mittel zum Gespräch und zum Interessenausgleich zu nutzen — und fest zu etablieren. Dazu gibt es auch eine EU.

Doch manche Polit-Clowns wollen uns die überholte Vorstellung auftischen, dass NATIONAL das allein seligmachende Prinzip der Politik sein sollte. Schmarrn! Ein „Europa der Vaterländer“ hatten wir schon, z. B. vor dem Ersten Weltkrieg, und vor dem Zweiten. Unsere blutig und teuer erkauften Erfahrungen sollten uns eine Lehre sein! Wer das für eine billige Phrase hält und nichts davon wissen will, wie Krieg entsteht, kann sich gern hier über die konkrete Wahrheit informieren: Krieg in Jugoslawien: Ein Filmemacher aus Sarajevo erzählt – SPIEGEL ONLINE

Doch diese Erfahrungen muss man eben auch zur Kenntnis nehmen! Das heißt vor allem: nicht mit der Zuspitzung von Konflikten spielen, erst recht nicht mit Gewalt und Krieg als Möglichkeit der Auseinandersetzung. Damit sollte man nicht einmal drohen. Doch dazu muss man mental auch in diesem Jahrhundert ankommen und nicht Vorstellungen anhängen oder nachtrauern, die uns früher in Kriegstreiberei und Kriegswahn geführt haben. Dazu muss man auch die alten Illusionen vom Nationalstaat mit homogenem Staatsvolk ablegen und sich die Wirklichkeit anschauen: Wo man versucht hat, mit Gewalt ein uniformes Staatsvolk zu schaffen, gab es unterdrückte Minderheiten, Konflikte, Aufstände. Am besten fahren Staaten oder Staatenbünde, die von vorneherein Vielfalt zulassen und den Staat nicht völkisch definieren, sondern über das, was alle wollen: das gemeinsame Wohl.

Damit hat man beispielsweise in Köln auch weniger ein Problem. So war es kein Zufall, dass ein Pegida-Ableger „Kögida“ sich in Köln nicht etablieren konnte (mehr >Blog / Köln-Notizen #17, vom 09.01.2015). Ein rechtsradikal gesinnter Mann, verzweifelt über mangelnden Rassismus in Köln, glaubte sich daraufhin berechtigt, zur Mordtat zu schreiten in der verblendeten Hoffnung, damit seinen politischen Vorstellungen Realität zu geben >Blog / DD in Köln, vom 17.10.2015. Wie bei anderen Terroristen auch, steht da Gewalt und Blutvergießen als Mittel an erster Stelle. Wer so etwas gutheißt, verlässt nicht nur den Boden unserer Verfassung, er stellt sich vielmehr auch außerhalb der menschlichen Gesellschaft.

Wie sagt eine kölnische Redensart: „Levve un levve losse.“ (Leben und leben lassen.) …!

W. R.

Kurzer Nachtrag: Der erwartete Erfolg der AfD bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern verstärkt leider auch den Eindruck, dass Menschen am (geografischen) Rande der Republik, anscheinend wenig beleckt von politischem Grundwissen, mit dem Bauch ihr Kreuz in der Wahlkabine gemacht haben: Wo fast keine Flüchtlinge oder überhaupt Ausländer gesichtet werden, ist die Abwehr und Angst am größten!

Die wenigsten Wähler wissen überhaupt, was die aus verschwommener Protest-Haltung gewählte AfD an konkreten programmatischen Zielen nennt. Das ist geradezu die Stärke der AfD-Propaganda: drastische Sprüche klopfen, aber im Ungefähren bleiben. Damit wird keiner der o.g. Wähler überfordert, oder abgeschreckt, oder gar zum Denken verleitet. Na dann: Viel Spaß im Deutschen-Getto! Eines ist leider auch zu erwarten: Ausländische Investoren werden sich nicht darum reißen, in diesem Landstrich Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist das Traurigste an diesem Wählerverhalten (nicht nur in MV): Sie sehen keine Zusammenhänge, wo sie sie sehen sollten. Mehr zu MeckPomm >Mecklenburg-Vorpommern: Das passiv-aggressive Bundesland – SPIEGEL ONLINE – (Ja, hat nicht direkt mit „Köln-Notizen“ zu tun. Sollte man aber mal anschauen, damit man sich in Deutschland besser auskennt.)

Der Nachtrag war doch nicht so kurz. Tschuldigung, aber man will ja den BesucherInnen dieser Website ein möglichst fundiertes Informationsangebot liefern — über den Tag hinaus. Für’s geifernde Schnellkommentieren sind Andere zuständig.

W. R. 05.09.2016

13g+

Gewalt verstehen?

IMG_5949Was ist los in Europa, in der Welt? Sind es nur die Sensationsnachrichten, die dieses Bild vermitteln, oder nimmt die Bereitschaft zur Gewalttätigkeit unter den Menschen wirklich zu?
Man  gewinnt den Eindruck: Jeder durchgeknallte Wirrkopf glaubt inzwischen, er könne seine Aggressivität willkürlich an irgendwem abreagieren, und jeder Versager versucht mit einer Gewalttat in den Medien groß rauszukommen, und weil es mehr Beachtung bringt, bekennt er sich zu irgendeiner Terror-Ideologie.
Es sind gar keine politischen oder religiösen Motive, die die meisten Terror-Mordtaten auslösen, es sind vielmehr emotional gestörte Seelen, die ihre Gefühle nicht mehr kontrollieren können und ein beliebiges Objekt suchen, um sich abzureagieren.
Die meisten der in den Medien als Aufreger gemeldeten Gewalttaten haben einen gemeinsamen Hintergrund, egal ob es diese Einzeltäter-Attentate oder jene Gruppengewalt von Hooligans ist. Es sind kranke Seelen, oft von erlittener Gewalt geprägt, die von der Vorstellung beherrscht werden, ihr Dasein habe den einzigen Zweck, ihre angestaute Aggressivität in Gewalt zu entladen, koste es, was es wolle.
Hooligans bestärken und befeuern ihre Idee in der Gruppe und mit Alkohol (der bekanntlich enthemmt), politische oder religiöse Fanatiker heizen ihre Menschenfeindlichkeit oft im Internet auf, wo sie sich, wie wir hören, radikalisieren, d.h. wo sie eine passende Ideologie für ihre Gewaltbereitschaft finden, sodass sie bald selbst glauben, im Namen einer höheren Sache zu handeln. Das gibt dem Mörder ein besonderes Hochgefühl: Ich lande im Paradies, oder wenigstens für kurze Zeit im Focus der medialen Aufmerksamkeit – was für ein Höhepunkt, was für ein spektakulärer Abgang!
Ursprung dieser Gewaltbereitschaft ist eine aus persönlichen Kränkungen und Ohnmachtserfahrungen geborene Zerstörung ihres Glaubens an das Gute in der Welt, ein aus persönlicher Versagenserfahrung und Hoffnungslosigkeit gezeugter Glaube an die Verderbtheit der sie umgebenden Gesellschaft bzw. der Welt überhaupt — woraus die Folgerung gezogen wird, es sei eh alles egal, und es spiele keine Rolle mehr, wen und wieviele es treffe.
So sammelt sich ein Hass an, der nur noch danach trachtet, loszuschlagen und möglichst Vielen viel Leid zuzufügen. Der aus Versagensgefühlen geborene Selbsthass lässt dabei jede Rücksicht auf das eigene Leben vergessen — und fertig ist der ideale Selbstmordattentäter.
Wer sich mit den politischen oder religiösen Deklamationen in Bekennerschreiben etc. aufhält, sieht also am entscheidenden Tatmotiv vorbei. Da hilft kein „Verständnis“ für die (angeblichen) Motive der Mörder oder Terroristen, denn damit versteht man nicht wirklich, was solche Täter antreibt. Und damit versteht man auch nicht, warum noch lange nicht jeder zum Gewalttäter und Amokläufer wird, der sich gegen Unrecht ausspricht und auflehnt.
Man kann auch nicht mit einem Hooligan über angeblich ungerechtes Vorgehen der Polizei diskutieren, wenn der doch ohnehin in eine Gewalt-Kultur hineingewachsen ist und gerne Gewalt-Eskalationen provoziert. Es gibt Milieus, wo Gewalt die erste Wahl als Problemlösung ist, es gibt Kreise, in denen Gewalttaten gefeiert und die Täter aus den eigenen Reihen zu Helden gemacht werden. Das muss man nüchtern zur Kenntnis nehmen, auch wenn man selbst solchen Kreisen fern steht.

Kann man Gewalt verstehen? Ja, man kann im Einzelfall ihre Ursache verstehen, aber: verstehen bedeutet noch lange nicht entschuldigen und verzeihen. Und auf gar keinen Fall: tolerieren.

Wer zu Gewalttätigkeit neigt, möchte trotzdem moralisch in gutem Licht erscheinen, und Menschen finden meist Gründe, Vorwände oder Ausreden, um ihr Handeln (zumindest vor sich selbst) zu rechtfertigen. Gewaltbereite Menschen legen sich eine Begründung zurecht, die z.B. auf der Grundannahme IMG_5950fußt, die Welt sei nun mal von ständigem Kampf bestimmt, es gelte das Recht des Stärkeren, und man müsse sich ständig mit Gewalt durchsetzen. Darauf fußt auch die Weltanschauung von Faschisten: Sie meinen, Gesprächsbereitschaft und Kompromisse seien etwas für Schwächlinge. Daher verachten sie Demokratie und Völkerverständigung, setzen vielmehr auf Machteroberung und Machtpolitik, und — einmal an der Macht — planen sie Krieg gegen andere Völker… einfach aus Prinzip, denn Frieden langweilt sie.

Auch heute gibt es Menschen, die in pubertären und spätpubertären Machtfantasien z.B. an die nationalsozialistische Ideologie anknüpfen — oder sich von Propaganda des Terror-Machtapparates IS beeindrucken und faszinieren lassen. Wer charakterlich nicht so gefestigt ist,  wer die Identifikation mit Machokultur und großspurige Machtdemonstration braucht, um sich nicht als unsicheres Würstchen zu fühlen, der schließt sich leicht solchen Gruppen oder Organisationen an, fühlt sich als Teil von etwas Größerem, Höherem, und wird dabei meist unmerklich zum Werkzeug fremder Interessen.

Manchmal sind es die einfachen Erklärungen einer komplizierten Welt, gepaart mit emotionalen Parolen und der Nestwärme in der Gruppe oder Masse, die eine unwiderstehliche Anziehung auf verunsicherte, verstörte Geister und Gemüter ausüben. In wohliger Übereinstimmung mit der Masse lassen sich die zuvor friedlichen Mitläufer zu Ausschreitungen hinreißen, für die sie allein nicht die Traute hätten. Man braucht Beispiele nicht in der Geschichte zu suchen, die Gegenwart bietet dafür genug Anschauung.*

Gewalttätigkeit lässt sich schwer aus der Welt schaffen, wenn Menschen schon als Kinder in einem gewaltbereiten Umfeld aufwachsen, wenn sie Gewalt als natürliche Begleiterscheinung ihres Lebens akzeptiert haben, wenn sie nicht gelernt haben, Konflikte auch durch Gespräch, Kompromiss und Interessenausgleich zu lösen. Was in Familie und Gesellschaft für friedliche 10eKonfliktlösungen sorgt, kann und muss auch zwischen Staaten funktionieren. Die Geschichte Europas sollte doch 26bAbschreckung genug sein: Sie zeigt, welche Folgen es haben kann, wenn man lieber auf nationalistische Überheblichkeit, Größenwahn, Gewalt und militärische Macht setzt: Das Ding entwickelt eine unheilvolle Eigendynamik, und am Schluss fährt die größte Ernte der Sensenmann ein.

Leider lernen andere Regionen und Kontinente nicht aus unserer Geschichte, z.B. aktuell in Syrien: Der dortige Krieg, der das Land ruiniert, erinnert an den unsäglichen Dreißigjährigen Krieg in Europa (1618-48), dessen Schauplatz hauptsächlich Deutschland war. Damals mischten mehrere ausländische Mächte mit und griffen in ihrem eigenen Interesse in den Krieg ein — ohne Rücksicht auf die Bevölkerung. Lest die Folgen nach in den Geschichtsbüchern!

W. R., im Juli 2016

* Nach Ortega y Gasset gibt es eine typische Charakterstruktur, die den Menschen zum Element der Masse macht und ihn bewegt, seine Individualität aufzugeben; er schwimmt gern in der Masse, wo er scheinbar als Mitläufer keine Verantwortung hat, sich aber immer in der Masse geborgen fühlt. „Masse“ wird hier zum Kennzeichen auch des Einzelnen, der nicht individuell denken, fühlen, beurteilen und entscheiden will, sondern sich meist der Herde anschließt.

Menschen treten (egal in welcher Anzahl) als „Masse“ auf, wenn sie z.B. einem Verkehrsunfall, einer Vergewaltigung in der Fußgängerzone, einer Schlägerei gaffend zuschauen, ohne selbst in irgendeiner Weise helfend einzugreifen, ohne die Polizei zu rufen, ohne den Rettungskräften Platz zu machen, etc.

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